Der neue Kindle fällt im STANDARD-Test zwar nicht durch, ist aber dennoch eine verpasste Chance.

Foto: Martin Stepanek

Amazons Kindle ist ein anachronistisches Produkt. Während Smartphones und Tablets mit ultrahoher Auflösung, flüssiger Bedienung und leuchtenden Farben punkten, tut der E-Book-Reader auch im Jahr 2022 vor allem eines: Text in Schwarz-Weiß anzeigen. Die verwendete E-Ink-Technologie und das matte Display garantieren eine spiegelfreie Darstellung, die einem gedruckten Buch sehr nahe kommt und dabei kaum Akku benötigt.

Preis und Ausstattung

Der vom STANDARD getestete Kindle Paperwhite ist die mittlerweile fünfte Auflage dieses Modells. Berücksichtigt man die gesamte Kindle-Serie, ist es sogar die elfte Generation. Daneben gibt es noch die günstigere Basis-Variante mit geringerer Auflösung und den teureren Kindle Oasis, der eine etwas andere Form aufweist und noch mehr LEDs im Display verbaut hat.

Der aktuelle Paperwhite kostet 131 Euro (mit Werbeeinblendungen), die "Kids"-Variante mit inkludierter Hülle und ohne Werbung gibt es ab 151 Euro, für die "Signature Edition" muss man 191 Euro bezahlen. Für den Aufpreis von 40 Euro zur werbefreien Edition bekommt man bei der Signature Edition die Option, das Gerät auch kabellos aufzuladen. Da der Akku des E-Readers aber ohnehin mehrere Wochen hält, ist dieser Vorteil vernachlässigbar.

Die "Kids"-Edition wird mit einer praktischen Hülle ausgeliefert.
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Darüber hinaus sind Lichtsensoren verbaut, welche die Beleuchtung des Displays an die Helligkeit im Raum anpassen. Das ist kein Nachteil, aber auch kein Killer-Feature, das völlig unverzichtbar scheint. Je nach persönlicher Vorliebe muss man bei extremen Lichtverhältnissen (sehr hell beziehungsweise sehr dunkel) ohnehin manuell nachjustieren.

Zehn Jahre Kindle Paperwhite

Seit dem ersten Kindle Paperwhite aus dem Jahre 2012 hat sich einiges getan. Die Ränder sind dünner geworden, das leichtere und geringfügig größere Display (6,8 Zoll) hat eine bessere Auflösung (300 ppi statt 212ppi) und die optional verwendbare Hintergrundbeleuchtung ist durch die höhere Anzahl von mittlerweile 17 LEDs statt ursprünglich vier deutlich ausgeglichener. In den Anfangstagen hatte der Paperwhite bei vielen Geräten noch mit seltsamen Lichtartefakten zu kämpfen, derartiges ist längst Geschichte.

Im direkten Vergleich mit dem zehn Jahre alten Paperwhite reagiert der Touch-Bildschirm schneller, auch das Blättern beziehungsweise der Seitenaufbau ist flüssiger. Mit modernen Touchdisplays kann der E-Reader aber weiterhin auch nicht annähernd mithalten. Das ist einerseits natürlich der E-Ink-Technologie geschuldet, gleichzeitig fallen die Verbesserungen zu jüngeren Paperwhite-Modellen marginal aus.

Erster Paperwhite (links, 2012) vs. aktueller Paperwhite – die Lesefläche ist größer, die Auflösung besser geworden.
Foto: Martin Stepanek

Amazon muss sich hierbei die Kritik gefallen lassen, in einem Jahrzehnt enttäuschend wenig getan zu haben, um die eigentlich spannende E-Ink-Technologie auf ein völlig neues Level zu heben.

Spiegelfrei und akkuschonend

Keine Frage: Wer die Kindle-Bedienung ohnehin gewohnt ist beziehungsweise sich auf das vergleichsweise behäbige Blättern einstellt, wird auch mit dem neuen Paperwhite viel Freude haben. Durch die Feinjustierung bei Schrift, Hintergrundbeleuchtung sowie Lichtfarbe (Bläulich-Weiß bis Weiß-Gelb) erhält man eine Darstellung, die gedruckten Papierseiten ähnlich ist. Dass der Bildschirm nicht wie bei Tablets spiegelt beziehungsweise gleißend leuchtet, ist und bleibt zudem das Hauptverkaufsargument für E-Reader auf E-Ink-Basis.

Dazu kommt die Akkudauer, die unschlagbar ist. Amazon gibt diese mit zehn Wochen bei einer Nutzung von einer halben Stunde pro Tag an. Im wochenlang dauernden STANDARD-Test mussten wir das Gerät tatsächlich kein einziges Mal aufladen. Auch das ist im Vergleich zu Tablets eine Wohltat. Punkten kann der Paperwhite auch mit seinem Gewicht, das um ein Drittel geringer ist als das ohnehin sehr handliche iPad Mini. Darüber hinaus ist er wasserfest (IPX8).

Große Auswahl an Büchern

Was die verfügbaren Inhalte betrifft, ist wenig überraschend alles auf das Amazon-Universum zugeschnitten. Neue Bücher können über den Kindle oder über die Online-Seite von Amazon gekauft beziehungsweise heruntergeladen werden. Die Auswahl ist riesig, mit Kindle Unlimited gibt es sogar eine monatliche Flatrate um zehn Euro, was Zugang zu über einer Million E-Books und über 2.000 Hörbücher bietet. Bei der "Kids"-Variante gibt es Zugang zu 1.000 Kinderbüchern.

Alles wie gehabt: Buchillustrationen gibt es auch in der E-Book-Variante.
Foto: Martin Stepanek

Wer mehrere Geräte oder auch die Kindle-App auf dem Smartphone beziehungsweise Tablet nutzt, kann die eigene Bibliothek und den Lesefortschritt sowie Anmerkungen und Lesezeichen bei Büchern synchronisieren. Ausgesprochen praktisch ist, dass Wörter angeklickt werden können, worauf sich das Wörterbuch öffnet. Gerade bei Büchern in einer Fremdsprache, aber auch für Kinder sowie bei Fachliteratur ist dies ein Segen. Über die sogenannte X-Ray-Funktion kann man zudem Charaktere beziehungsweise Namen und Orte nachschlagen.

Gefangen im Amazon-Imperium

Dass Amazon nach all den Jahren weiterhin alles unternimmt, um digitale Inhalte aus Quellen abseits des eigenen Imperiums vom Kindle wegzuhalten, ist äußerst ärgerlich. So wird das verbreitete ePub-Format für elektronische Bücher weiterhin nicht unterstützt. Um ein eigenes Word-Dokument, PDF oder ein Buch im .mobi-Format auf den Kindle zu bekommen, muss man dieses kompliziert an eine E-Mail-Adresse senden, die mit dem Kindle – und nur mit diesem Gerät – verknüpft ist.

Das ist nicht nur umständlich, sondern produzierte im STANDARD-Test wiederholt Fehlermeldungen. Warum Amazon die Dateiverwaltung nicht über Bluetooth oder zumindest über die Homepage oder die Kindle-App löst, ist im Jahr 2021 wahrlich schwer zu verstehen. Es verfestigt den Eindruck, dass es dem milliardenschweren Konzern beim Kindle weniger um innovative Hardware als ausschließlich um seine eigenen verkauften Inhalte geht. Diese werden eingesperrt, externe Inhalte bleiben außen vor.

Fazit: Verpasste Chance

Dass der Preis für den Kindle Paperwhite relativ günstig ist, bleibt angesichts der fehlenden Innovationskraft und der restriktiven Strategie ein schwacher Trost. Von marktbeherrschenden Unternehmen ist man ein derartiges Verhalten zwar gewohnt. Sympathischer macht es den Konzern aber nicht, zumal man auch aus technischer Sicht beim Kindle Paperwhite das Gefühl nicht loswird: Da wäre deutlich mehr drin gewesen. (Martin Stepanek, 3.1.2022)