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Ex-Finanzminister Hans Jörg Schelling (li.) mit Thomas Schmid.

Foto: Picturedesk / Georges Schneider

Die Akte Siegfried Wolf erlaubt nicht nur Einblick in den extravaganten Umgang zwischen türkisen Beamten im Finanzministerium und offenbar privilegierten Steuerzahlern, sondern sie wirft auch ein Schlaglicht auf eine Behörde, die selten im Licht der Öffentlichkeit steht: die Großbetriebsprüfung. Wird sie allerdings einmal Thema, bringt das meist Aufregung mit sich.

Die Großbetriebsprüfung kommt zum Zug, wenn es um große Beträge beziehungsweise komplexe Steuerangelegenheiten geht. Nach der Neustrukturierung der Finanzverwaltung hat ihre Aufgabe das Finanzamt für Großbetriebsprüfung übernommen, zusätzlich gibt es das Finanzamt Österreich.

Sachbearbeiter entdeckte "unrichtige" Steuererklärungen

In Bezug auf die Causa Wolf kam die Großbetriebsprüfung ins Spiel, nachdem ein Sachbearbeiter im Februar 2012 entdeckt hatte, dass Wolfs Steuererklärungen seit 2007 "unrichtig" waren, wie die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) in einem Aktenvermerk festhält. Das Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz hatte sich 2007 geändert, Wolf hätte dort bezogene Einkünfte auch in Österreich versteuern müssen. Daraufhin führte die Großbetriebsprüfung für das zuständige Finanzamt die Steuerprüfung durch, in deren Rahmen Wolf übrigens auch eine Selbstanzeige "in Bezug auf Stock-Options, Lebensversicherung und Flugreisen" abgegeben hat. Auch das erschließt sich aus dem Akt der WKStA.

Letztlich stellten die Großbetriebsprüfer fest, dass Wolf rund elf Millionen Euro nachzuzahlen habe – was bei Genanntem nicht gerade Begeisterung, sondern eine Flut an Interventionen auslöste. Aus dem Akt der WKStA, die wegen Bestechung und Bestechlichkeit ermittelt, lassen sich zwei Fronten ausmachen. Auf der einen Seite eben die "strengen" Großbetriebsprüfer und die zuständige Fachabteilung im Finanzministerium; auf der anderen Seite Wolf und seine Ansprechpartner wie der damalige Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) und dessen Generalsekretär Thomas Schmid. Zu Wolfs mutmaßlichen Verbündeten zählte auch die Vorständin des für ihn zuständigen Finanzamts.

Die dürfte sich damals in einer Zwickmühle befunden haben: Sie plädierte dafür, Wolf mild zu behandeln; die Großbetriebsprüfung sah dazu keine rechtlichen Möglichkeiten. Inzwischen ist die Beamtin Beschuldigte der WKStA: Sie soll sich bestechen lassen haben, um Wolfs Steuerangelegenheiten "parteilich" zu erledigen. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung. Das Finanzministerium setzte als Reaktion nun "erforderliche Maßnahmen", will aber "aus Datenschutzgründen" nicht mehr dazu sagen.

"Parallelverfahren" für Wohlgelittene

Die bekannt gewordenen Chats im Fall Wolf erlauben den bisher tiefsten Einblick, wie im türkisen Finanzministerium für Wohlgelittene "Parallelverfahren" abseits der offiziellen Dienstwege und Aktenläufe geführt worden seien, wie die WKStA das ausdrückt. Als ein Sektionschef in der Causa Wolf der Ansicht der Großbetriebsprüfung folgte, riet Schelling seinem Kabinettschef Schmid, dieser solle an die "kreative Intelligenz" des hohen Beamten appellieren. Schmid bezeichnete den Sektionschef und die Fachvorständin der Großbetriebsprüfung als "Zweierbande", gegen die man chancenlos sei. Aber: Man könne die Lehre ziehen, dass die Finanzverwaltung "kundenorientierter" werden müsse. Ein ähnliches Muster zeigte sich in der Suche nach "steuerbaren" Personen für den Öbag-Aufsichtsrat.

Der Konflikt zwischen Fachbeamten und der Weisungsspitze soll vor allem in der Zeit zwischen Sommer 2016 und der Nationalratswahl 2017 eskaliert sein. Neben der Causa Wolf schlugen laut Informationen des STANDARD vor allem zwei andere Fälle Wellen: die Großbetriebsprüfung der Vorarlberger Illwerke sowie die Steuerangelegenheiten von KTM-Chef Stefan Pierer.

Vorarlbergs Steuerschulden

Bei Ersterer ging es um das sogenannte Heimfallsrecht: Das Unternehmen Illwerke, das zu 95 Prozent dem Land Vorarlberg gehört, betreibt Kraftwerke, die eigentlich dem Land gehören. Vereinbart ist, dass diese wieder dem Land "anheim"-fallen sollen – dann müssen die Illwerke sie dem Land wieder abkaufen. Dabei soll es um eine Summe von mehreren Hundert Millionen Euro sowie dementsprechend hohe Steuerabgaben gegangen sein.

Wie im Fall Wolf sollen die Großbetriebsprüfer "streng" agiert haben – und wie im Fall Wolf soll es zu Interventionen gekommen sein: Mehrfach habe Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) im Finanzministerium vorgesprochen, intern soll dann Druck auf die Großbetriebsprüfer ausgeübt worden sein. Eine weitere Parallele zur Causa Wolf: Das zuständige Finanzamt – bei Wolf in Niederösterreich, bei den Illwerken in Vorarlberg – soll sich gegen die Großbetriebsprüfung gestellt und das letzte Wort gehabt haben. Weder Finanzministerium noch Wallner äußerten sich auf Anfrage dazu; der jetzige Finanzminister Magnus Brunner arbeitete übrigens einst bei den Illwerken.

Auch rund um ÖVP-Großspender Stefan Pierer gab es Aufregung: Kurz vor der Nationalratswahl 2017 machte Kai Jan Krainer (SPÖ) publik, dass sich Pierers Name auf der sogenannten Abschleicherliste befand. Laut Krainer habe Pierer Ende 2013 rund zwanzig Millionen Euro von Liechtenstein nach Österreich überwiesen; wenige Tage später hätte das wegen eines neuen Abkommens Abgaben in der Höhe von zirka sechs Millionen Euro verursacht. Das sei bei einer Großbetriebsprüfung aufgefallen. Konsequenzen gab es für Pierer nicht, die Vorgehensweise wurde als legal angesehen.

"Der Computer hinterlässt Spuren"

Im Finanzministerium setzte daraufhin eine Jagd nach Krainers Maulwurf ein. "Der Computer hinterlässt Spuren", schrieb Schelling an Schmid. Sektionschef Eduard Müller, später Finanzminister und heute Vorstandsmitglied in der Finanzmarktaufsicht (FMA), ließ auch prüfen, ob jemand Steuerdaten von Schellings einstigem Arbeitgeber XXXLutz abgerufen hätte – darauf gab es keine Hinweise.

All diese Verwerfungen, zu denen das Finanzministerium "aufgrund des Amtsgeheimnisses und der abgabenrechtlichen Geheimhaltungspflicht (dazu) keine Auskunft" erteilt, führten zu Umbesetzungen und Umstrukturierungen. Die "strenge" Fachvorständin der Großbetriebsprüfung etwa verließ selbige Ende November 2017 und wechselte zu jenem Sektionschef, mit dem sie laut Schmid im Fall Wolf eine "Zweierbande" gebildet hatte. Ihrem Nachfolger und zwei von dessen Mitarbeitern soll gleich gezeigt worden sein, welches Klima nun herrschte: Sie wurden rund um den Fall Pierer vom Ministerium angezeigt. Mit einem Schlag sei den Führungskräften bewusstgemacht worden, "wer im Ministerium nun den Ton angibt: Türkis", erinnert sich ein Informierter.

Lukrative Steuerbehörden

Das Paradoxe daran ist, dass die Großbetriebsprüfung durch die Reform der Finanzverwaltung an Macht gewonnen hat. Nach einer personellen Ausdünnung bis 2016 erhielt sie auch mehr Stellen. Das Problem der Politik: Auch wenn die Großbetriebsprüfung Brösel mit Verbündeten aus der Wirtschaft verursacht, ist sie höchst lukrativ: Laut einem Rechnungshofbericht erwirtschaftet jeder Mitarbeiter für den Fiskus das Zehn- bis Dreißigfache seiner eigenen Personalkosten. (Renate Graber, Fabian Schmid, 31.12.2021)