Regietheater zum Abgewöhnen: die Linzer "Aida"-Fassung von Regisseurin Sabine Hartmannshenn.

Foto: Reinhard Winkler

Die Ouvertüre als herbeigesehnte Machtdemonstration: Während die Geigen zu Beginn die zarte Aida-Melodie anstimmen, hebt sich der Vorhang. Auf der pechschwarzen Bühne steht Amneris. Selbstbewusst und siegessicher blickt sie zur Decke ins diffuse Scheinwerferlicht. Die Pharaonentochter, ebenfalls in Schwarz gewandet, wird von vier seltsamen Gestalten umtanzt. Ist das musikalische Vorspiel erst einmal vorbei, heißt es durchhalten im Hier und Jetzt.

Nach einem halben Jahrhundert ist Giuseppe Verdis Pharaonen-Oper "Aida" wieder in Linz zu sehen. Regisseurin Sabine Hartmannshenn hatte die Idee, Verdis Musikdrama als Probe zu inszenieren – und gibt es über weite Strecken der Lächerlichkeit und Trivialität preis. Von den geschmacklosen Alltagskleidern, die vor allem die beiden weiblichen Protagonisten in das denkbar schlechteste Licht rücken, bis zu monströsen Bühnenversatzstücken, die mit Karacho herbeigekarrt werden. Verdis Musik? Nebensache.

Sinnhaftigkeit erschließt sich nicht

"Der viel strapazierte Begriff der ‚Werktreue‘ kann nur ein Phantom sein, dem nachzujagen verlorene Liebesmüh ist. Und seien wir doch einmal ehrlich: Dem Buchstaben eines Textbuchs nachzueifern, bringt doch wenig", schreibt Dramaturg Christoph Blitt im aktuellen Magazin des Landestheaters. Viel wichtiger sei es doch, dem Sinn eines Werkes für die jeweilige Zeit bei einer Inszenierung nachzuspüren. In Linz erschließt sich "Aidas" Sinnhaftigkeit jedenfalls nicht.

Hartmannshenns Wunsch, die altägyptischen Klischees zu bedienen und gleichzeitig eine Distanz dazu herzustellen, scheitert auf mehreren Ebenen. Dass die Regisseurin etwa die Frage nach dem "Blackfacing" darstellen möchte, bekommt der Zuschauer kaum mit. Da hilft es auch nicht, dass eine Maskenbildnerin versucht, Aida schwarze Farbe auf den Arm zu pinseln, woraufhin die Sängerin empört gestikulierend die Probebühne verlässt.

Ebenso wenig erschließt sich, warum die Darstellerin der Amneris plötzlich Kekse serviert und sich in Glitterklamotte und Partyhut auf den mit bunten Luftballons geschmückten Pharaonenthron setzt und mit den Beinchen strampelt, während Radames den Champagner aus der Flasche trinkt.

Echte Gefühle? Fehlanzeige

Weil sich das Thema Ägypten für die Regisseurin nicht vollständig negieren lässt, hat Ausstatter Stefan Heinrichs Requisiten anfertigen lassen, mit denen die Klischees traditioneller Inszenierungen bedient werden sollen. So gerät die Anrufung Ptahs inmitten bunt bemalter Säulen zu einer skurrilen Blutopferszene, bei der Amneris ihrer tanzenden Anhängerschaft erst die Pulsadern aufschlitzt und anschließend deren Blut trinkt.

Für die Triumphszene kommt ein riesiger Pharaonenkopf auf die Bühne, und es regnet goldenes Konfetti. Die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Aida, Amneris und Radames bleibt dabei genauso unglaubwürdig wie das gesamte Rundherum. Das Gefälle zwischen den beiden Frauen, die Verachtung und Unterdrückung wirken aufgesetzt und überspielt. Echte Gefühle und Emotionen sucht man hier, ebenso wie einen roten Faden, vergebens. Erst im dritten und vierten Akt nach der Pause entspinnt sich eine Art Kammerspiel, bei dem Amneris zum Schluss auf dem Boden kauernd den finalen Liebesbekundungen zwischen Aida und Radames lauschen muss.

Dafür wuseln ständig Bühnenarbeiter durchs Bild, ein Putztrupp kehrt, Türen knallen, es wird mit Requisiten herumhantiert, gelacht, geredet und – man vergisst es beinahe – gesungen. Sänger und Chor tragen Alltagskleidung, die gelegentlich mit goldenen Kostümteilen wie Kragen, Lendenschurz und Kopfschmuck versehen werden. Als sich mitten im Geschehen eine barock gekleidete Truppe auf der Bühne verirrt (falscher Proberaum!), ist es endgültig vorbei.

Durchwachsene Besetzung

Die Besetzung ist leider auch durchwachsen: Elena Batoukova-Kerl ist eine überdrehte Amneris, der vor allem in den Mezzotiefen die Luft ausgeht. Da hat ihre Gegenspielerin Sonja Šarić als Aida wesentlich mehr Kraft, und so gelingen ihr trotz missglückter Inszenierung vor allem im vierten Akt berührend schöne Gesangsmomente. Sung-Kyu Park hingegen muss sich als Radames ziemlich zur Decke strecken. Die Überraschung des Abends ist Adam Kim, der einen starken Amonasro gibt.

Weil die Premiere wegen des Lockdowns um einen Monat verschoben werden musste, dirigierte Markus Poschner das zuvor von Enrico Calesso einstudierte Bruckner-Orchester Linz präzise und klangschön durch die Partitur. Es gibt durchwachsenen Applaus für das Ensemble, Bravi für Dirigent und Orchester und Buhs für das Leading Team. (Miriam Damev, 30.12.2021)