Im September jährte sich der Dieselskandal bei Volkswagen zum sechsten Mal – die Gerichte sind noch immer voll damit beschäftigt.

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Wien/Wolfsburg – Hunderttausende Einzelvergleiche mit Fahrzeughaltern sind geschlossen, zahlreiche Grundsatzfragen geklärt – und doch lässt die Aufarbeitung des Abgasskandals die deutsche Autoindustrie auch 2022 nicht los. Bei Volkswagen, wo "Dieselgate" vor gut sechs Jahren seinen Anfang nahm, erwarten Verbraucher und Konzernjuristen ab Februar weitere Entscheidungen.

Allein in Österreich warten Gerichte in rund 1200 Einzelverfahren und 13 (von insgesamt 16) vom Verein für Konsumenteninformation (VKI) angestrengten Sammelverfahren auf das Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Folgen die Höchstrichter dem Generalanwalt des EuGH, dann entspricht ein Schummelsoftware-Auto von Volkswagen, dessen Abgasreinigung zwischen 15 und 33 Grad abgeschaltet wird, nicht dem Kaufvertrag und kann selbst dann zurückgegeben werden, wenn der Verbraucher das Fahrzeug in Kenntnis des Vorhandenseins dieser unzulässigen Abschalteinrichtung erworben hätte. Ihm "wird nicht das Recht genommen, gemäß der EU-Richtlinie 1999/44 die Vertragsauflösung zu verlangen", sagt Anwalt Michael Poduschka mit Verweis auf den Schlussantrag des Generalanwalts. Poduschkas Kanzlei führt 788 Einzelverfahren, die bis zum EuGH-Entscheid unterbrochen sind, davon 80 liegen beim OGH, der seinerseits einen EuGH-Vorabentscheid erbat.

Schadenersatz – oder doch nicht?

Mit Schadenersatzansprüchen befasst ist auch der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe, wo Ende 2021 rund 1200 Dieselverfahren anhängig waren, etwa die Hälfte davon betraf VW (ohne Audi). Voraussichtlich bis in den März hinein soll es noch einmal um die Verjährung gehen, konkret darum, in welchen Fällen Schadenersatzansprüche wegen Wertminderung von Kfz mit manipulierter Emissionsreinigung verjährt sind. Geplant sind fünf Parallelverfahren zu dem Thema.

Grundsätzlich hätten Betroffene innerhalb von drei Jahren, also bis Ende 2018, vor Gericht ziehen müssen. Der BGH entschied zwar bereits: Wer unzweifelhaft bereits 2015 vom Dieselskandal wusste und erst 2019 oder später klagte, geht leer aus. Jedoch dürfen Gerichte dies Klägern nicht allein wegen der breiten Medienberichterstattung unterstellen – daher kann es Klärungsbedarf geben. Zumal die strafrechtliche Verjährung bei gewerbsmäßigem Betrug erst nach 30 Jahren eintritt. Der Strafprozess gegen Führungskräfte von Volkswagen hat ja erst begonnen.

Aktionärsklagen

Weiters geht es um die Frage, ob Dieselbesitzer auch bei einem Autokauf nach erfolgter Information der Finanzmärkte durch Volkswagen zur "Dieselthematik" noch Ansprüche haben. Dazu sind mündliche Verhandlungen vorgesehen. Der BGH hat eine Haftung des Autobauers bei solch späten Käufen im Grunde abgelehnt. Die Richter wollen allerdings prüfen, ob VW trotz Verjährung womöglich sogenannten Restschadenersatz zahlen muss.

Abseits des "Skandalmotors" EA189 kommt nun auch das Nachfolgemodell EA288, das laut VW keine unzulässige Abschalteinrichtung hat (und daher mit dem EA189 "nicht vergleichbar" sei), vor das Höchstgericht. Hier hätten Gerichte fast immer zugunsten des Herstellers entschieden. Offen ist nach wie vor, wie Schadenersatzforderungen von VW-Aktionären und -Großinvestoren rund um die Abgasaffäre bewertet werden. Das Oberlandesgericht Braunschweig will die mündliche Verhandlung in dieser Sache Ende April nach Stellungnahmen der Parteien fortsetzen.

Betrugsprozess ...

Zurück zum Strafverfahren. Nach dem enormen Andrang im großen Aufklärungsprozess zur Dieselaffäre scheint das Betrugsverfahren vorerst ins juristisch Kleinteilige abgetaucht. Immer weniger interessierte Beobachter fanden sich laut der Deutschen Presse Agentur dpa in den vergangenen drei Monaten auf der Tribüne der Braunschweiger Stadthalle ein. Bis zum 10. Jänner pausiert das Verfahren und der Start ins Jahr 2022 erscheint schwierig.

Nach der Abtrennung des Verfahrenskomplexes gegen Ex-Konzernchef Martin Winterkorn wird in dem Strafprozess vier Führungskräften von Volkswagen unter anderem gewerbs- und bandenmäßiger Betrug mit manipulierter Software in Millionen Autos vorgeworfen. Den Angeklagten drohen langjährige Haftstrafen.

... verläuft schleppend

Inhaltlich kommt der Betrugsprozess schleppend voran. Beobachter fürchten, dass 2022 Langeweile droht und mancher Gerichtstag wenig zielführend wird. Mehr als 130 Verhandlungstage sind bis in den Sommer 2023 geplant.

Zuletzt wurden Verhandlungen häufig abgesagt, weil vorgesehene Zeugen sich auf das Aussageverweigerungsrecht beriefen. Viele von ihnen können Auskünfte verweigern, weil sie selbst in nachgelagerten Dieselverfahren angeklagt sind. Traf man sich doch in kleiner Runde im Großen Saal, ging es häufig um die Frage, wie dieses riesige Verfahren verschlankt werden kann. Daneben wurden Anträge gestellt und über Gutachten gesprochen. Am 11. Jänner sind wieder Zeugen geladen. Ob diese auch erscheinen oder erneut eine Aufhebung droht, ließ sich kurz vor dem Jahreswechsel nicht abschätzen. (Luise Ungerboeck, 2.1.2022)