Ob die Atomkraft als "grüne" Technologie zu sehen ist oder nicht, ist in Europa umstritten.

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Berlin/Brüssel – Die deutsche Regierung ist sich laut Regierungssprecher Steffen Hebestreit in ihrer Beurteilung der EU-Kommissionsvorschläge zur Klassifizierung von Energieträgern einig. SPD, Grüne und FDP planen demnach, Erdgas vorerst als Brückentechnologie zu nutzen, sagte Hebestreit am Montag in Berlin. Die Rechtsakte der EU-Kommission wäre aber nicht nötig gewesen. Den Einsatz von Kernkraft lehne die Regierung zudem ab, über eine Klage denke man aber nicht nach.

Die österreichische Regierung hat hierzu andere Pläne. Für Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) ist der Entwurf der EU-Kommission "nicht akzeptabel". Das bekräftigte sie am Montag im "Morgenjournal" des ORF-Radios Ö1. Für den Fall, dass die EU-Kommission die Pläne tatsächlich so umsetzt, kündigte Ministerin Gewessler einmal mehr an, auf Basis eines Rechtsgutachtens "den Klagsweg zu beschreiten".

Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, dass Atomenergie und Erdgas mit Auflagen als nachhaltige Energieträger eingestuft werden sollen. Die Klassifikation für "grüne" Technologien in der sogenannten Taxonomie soll dazu beitragen, dass private Investitionen verstärkt in erneuerbare Energien fließen.

Gewessler überlegt Klage

Gewessler betonte, dass das Einstufungsschema (Taxonomie) von Energieformen durch Brüssel als Label für Finanzprodukte, wie Investmentfonds diene. Der Finanzmarkt spiele eine große Rolle bei der Umleitung von Geldströmen hin zu mit Sicherheit umwelt- und klimaschützenden Technologien. Daher brauche es ein glaubwürdiges Label, auf das sich Anleger verlassen können. Dennoch könne und müsse jedes Land seine künftige Energiepolitik für sich entscheiden. Die Umweltministerin kritisierte auch die Vorgangsweise der EU-Kommission, den Vorschlag am Silvestertag kurz vor Mitternacht an die Mitgliedsstaaten zu versenden. Den EU-Staaten blieben nun nur zwölf Tage, um die Pläne zu kommentieren.

Der deutsche Justizminister Marco Buschmann will sich dafür einsetzen, dass die EU-Vorschläge noch geändert werden. Wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag in Berlin sagte, denke man aber nicht wie in Österreich über eine Klage nach. Diese könne sich ohnehin nicht auf den Inhalt der Vorschläge beziehen, sondern nur auf die Frage, ob die EU-Kommission überhaupt befugt sei, einen Vorschlag zur sogenannten Taxonomie vorzulegen.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sicherte seiner Ministerin laut "Kronen Zeitung" (Montag) jedenfalls "volle Unterstützung" im Kampf gegen Atomstrom zu: "Österreichs Haltung zur Atomkraft ist völlig klar: Für uns ist das keine nachhaltige Form der Energieproduktion." Europaministerin Karoline Edtstadler erklärte: "Ziel muss es sein, die Klimaziele zu erreichen, ohne Atomenergie als 'grün' einzustufen." FPÖ-Chef Herbert Kickl forderte erneut einen Austritt Österreichs aus dem Euratom-Vertrag und kündigte einen diesbezüglichen Antrag im Nationalrat an.

Macron und Scholz

In Deutschland sorgt die Debatte jedenfalls auch innenpolitisch für Wirbel: Der CSU-Europapolitiker Markus Ferber sieht im Vorschlag der EU-Kommission eine Niederlage des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) gegen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Die neue deutsche Regierung habe sich vehement gegen eine solche Einstufung ausgesprochen, sagte der Europaabgeordnete am Montag. Nun habe sie "ihre erste Bewährungsprobe in Brüssel gehörig verpatzt". "Olaf Scholz hat gegen Emmanuel Macron klar den Kürzeren gezogen."

Ferber spielte darauf an, dass die geplante Einstufung insbesondere als Zugeständnis an Frankreich gilt, das bei der Energieversorgung stark auf Atomenergie setzt. Scholz hatte nach Angaben von Diplomaten auch am Rande des EU-Gipfels im Dezember mit Macron über das Thema gesprochen. Zum Verlauf gibt es bisher allerdings keine genaueren Informationen.

Die nun bekannt gewordenen Pläne der EU-Kommission sehen konkret vor, dass Investitionen in neue AKWs als nachhaltig eingestuft werden können, wenn die Anlagen neuesten Technikstandards entsprechen und ein konkreter Plan für eine Entsorgungsanlage für hoch radioaktive Abfälle spätestens 2050 vorgelegt wird. Zudem soll Bedingung sein, dass die neuen Anlagen bis 2045 eine Baugenehmigung erhalten. Hintergrund ist die sogenannte Taxonomie, die Anleger in die Lage versetzen soll, ihre Investitionen auf nachhaltigere Technologien und Unternehmen umzustellen, um so zur Klimaneutralität Europas bis 2050 beizutragen. Es wird damit gerechnet, dass sie weitreichende Auswirkungen hat, da sich als nachhaltig eingestufte Projekte deutlich leichter und günstiger finanzieren lassen dürften.

Umweltschützer werfen der Kommission vor, ein vollkommen falsches Signal zu setzen. Auch Ferber äußerte sich in diese Richtung. "Man kann Kernenergie nicht als nachhaltig einstufen, solange die Entsorgungsfrage nicht gelöst ist." Wie die Kommission das Thema angehe, sei "schlichtweg nicht seriös". (APA, red, 3.1.2021)