Im dritten Jahr der Pandemie steht das internationale Krisenmanagement im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Wegen der Wandlungsfähigkeit des Virus hat sich bisher kaum eine Regierung weltweit als dauerhaft erfolgreich bei der Bekämpfung der Corona-Epidemie erwiesen. Es besteht zweifellos ein großes Stabilitätsbedürfnis. Jene, auch in Österreich aktive, sogenannte Zukunftsforscher lagen, wie auch manche gefeierte literarische Schnellschussproduzenten, völlig falsch in ihren voreiligen großen langfristigen Schlussfolgerungen. Bei Prophezeiungen zum Jahresanfang ist besondere Vorsicht geboten.

Was der führende deutsche Soziologe Andreas Reckwitz über die Bedeutung der Personalisierung am Beispiel des deutschen Wahlergebnisses sagte, dürfte auch für Wahlgänge in anderen demokratischen Staaten gelten. "Die Authentizität, die Glaubwürdigkeit, die man einem Spitzenpolitiker zuschreibt, ist zu einem entscheidenden Wahlkriterium geworden. Die Wähler sehen zudem, dass in der Politik, etwa im Krisenmanagement von Regierungen, die Person, die entscheidet, tatsächlich eine wichtige Rolle spielt."

Kaum eine Regierung weltweit hat sich als dauerhaft erfolgreich bei der Bekämpfung der Corona-Epidemie erwiesen. Im Bild: Eine Frau erhält in Israel ihre 4. Impfung.
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Das erfährt man in Italien, einem Land, das in 75 Nachkriegsjahren 67 Regierungen hatte. Den erstaunlichen Wiederaufstieg verdanken die Italiener in erster Linie der Führungskompetenz Mario Draghis, des Ex-Chefs der Europäischen Zentralbank, der seit 13. Februar 2021 an der Spitze einer Koalitionsregierung steht. Auch in dem bisher von einem korrupten "starken Mann" beherrschten Bulgarien und dem ähnlich strukturierten Tschechien lösten die jüngsten Regierungswechsel verhaltenen Optimismus aus. Zugleich sehen wir in den Vereinigten Staaten ebenso eine aus den Fugen geratene politische Entwicklung wie in Frankreich oder in Großbritannien im Zeichen des rapide gesunkenen Ansehens der Regierenden.

Gefahren für den Weltfrieden

Man muss bei der Abwägung der Chancen und Risiken im neuen Jahr die Warnung von Reckwitz beachten: "Der historische Blick relativiert manches – sowohl das blinde Vertrauen in eine widerspruchsfreie Progressivität der Entwicklung als auch die defätistische Katastrophenstimmung, die immer wieder darauf folgte" (vgl. Das Ende der Illusionen, 2019). Die liberale Demokratie hat immer wieder auch in diesen drei Ländern akute Krisenperioden überlebt.

Anders muss man die Gefahren sehen, die durch die unabsehbaren Handlungen der Diktatoren Wladimir Putin und Xi Jinping nicht nur für die bedrohten Staaten wie die Ukraine oder die Insel Taiwan, sondern für den Weltfrieden entstehen könnten. Dazu gehören auch die Nebenwirkungen etwa in der Balkanregion oder in der Nachbarschaft Chinas und im Südchinesischen Meer. Angesichts der totalen Medienkontrolle und der lückenlosen Isolierung des Herrschers und seiner Clique in beiden Ländern könnte die Illusion der Allmacht den Drang, den Bogen zu überspannen, bestimmen.

Die sich abzeichnende Führungslosigkeit der Europäischen Union nach dem Abgang der "Kompromissmaschine" Angela Merkel und die Unsicherheit bezüglich der Wiederwahl Emmanuel Macrons, des einzigen visionären Europapolitikers, gekoppelt mit den gewaltigen innenpolitischen Problemen US-Präsident Joe Bidens bedeuten im neuen Jahr nichts Gutes. (Paul Lendvai, 4.1.2022)