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Die Volksabstimmung gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf 1978 und die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 1986 haben sich in das kollektive Gedächtnis Österreichs eingebrannt.

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Das strikte Nein zur Atomkraft ist Kernelement österreichischer Politik – und einer der wenigen Punkte, in denen die Parlamentsparteien nicht gespalten sind. Die Ablehnung von Atomstrom ist seit der Volksabstimmung über das Kernkraftwerk Zwentendorf im Jahr 1978 politischer Konsens und wurde im Jahr 1999 auch in der Verfassung verankert.

Auf internationaler Ebene blieb Österreich im Kampf gegen Atomkraftwerke bisher aber weitgehend erfolglos. Selbst in Europa hat die Republik wenig Mitstreiter. Die Mehrheit der EU-Staaten befürwortet die Einstufung von Atomstrom als CO2-arme, grüne Energie – ein Standpunkt, der mit einer Verordnung der EU-Kommission nun in Recht gegossen werden soll. Österreich will den Rechtsakt verhindern, theoretisch wäre das auch möglich – sowohl politisch als auch rechtlich. In der Praxis dürfte der Plan aber ein schwieriges Unterfangen werden.

Österreich will klagen

Die aktuelle Taxonomie-Verordnung wurde bereits im Juni 2020 gemeinsam von EU-Kommission, Rat der EU und Europäischem Parlament beschlossen. Sie legt fest, dass nur jene Wirtschaftstätigkeiten als "grün" gelten, die einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Umweltziele leisten. Die EU-Kommission wird in einem "delegierten Rechtsakt" jedoch konkretisieren, welche Branchen damit genau gemeint sind – und will Gas und Atomkraft unter bestimmten Voraussetzungen in die grüne Liste aufnehmen. Politisch könnte der Rechtsakt nur mit einer qualifizierten Mehrheit im Rat oder einer einfachen Mehrheit im Parlament abgewendet werden. Das ist derzeit aber unwahrscheinlich.

Für Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) ist der Plan der Kommission jedenfalls "nicht akzeptabel". Das bekräftigte sie am Montag im "Morgenjournal" auf Ö1. Sollte die Kommission die Pläne tatsächlich umsetzen, will die Ministerin "den Klagsweg" an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) beschreiten. Aus Sicht Österreichs hat die Kommission im geplanten Rechtsakt den Spielraum überschritten, den die Taxonomie-Verordnung vorgibt. In einem Gutachten argumentiert das Ministerium damit, dass Atomstrom weder das Nachhaltigkeitskriterium noch das Vorsorgeprinzip erfüllt. Demnach müssen mögliche Belastungen für die Umwelt vermieden werden.

Aus Sicht von Peter Hilpold, Professor für Europarecht an der Universität Innsbruck, wäre eine Klage Österreichs aber wenig erfolgversprechend. "Wenn der Europäische Gerichtshof einer solchen Klage stattgeben würde, wäre das geradezu revolutionär", sagt Hilpold. Denn die zahlreichen Abwägungsfragen, die damit verbunden sind, müsse grundsätzlich der Gesetzgeber beantworten – und nicht die Gerichtsbarkeit. "Ich würde mich daher weniger auf eine Klage verlassen als auf eine entsprechende politische Initiative", sagt Hilpold.

Florian Stangl, Rechtsanwalt für Umweltrecht, sieht das ähnlich. "Bei Klagen gegen EU-Rechtsakte sind Mitgliedstaaten eher in der Rolle des Davids als in jener des Goliaths." Ein Vorgehen gegen die Aufnahme der Atomkraft in die Taxonomie-Verordnung sei "schwierig".

"Legitimes Ziel" der EU

Der EuGH habe schon in der Vergangenheit geurteilt, dass der Ausbau der Kernenergie grundsätzlich ein legitimes Ziel der Union ist und gefördert werden darf. Eine relevante Frage könnte jedoch sein, ob Atomkraftwerke nicht den Zweck der Taxonomie-Verordnung konterkarieren. Der Bau der Kraftwerke dauert sehr lange, für die Erreichung der Klimaziele kämen Atomkraftwerke deshalb teils zu spät. Durch die Taxonomie-Verordnung könnten Finanzströme allerdings in Richtung Atomkraft gelenkt werden – und weg von Investitionen in erneuerbare Energien.

Bisher war das rechtliche Vorgehen Österreichs gegen Atomstromprojekte jedenfalls von wenig Erfolg gekrönt. Gescheitert ist zuletzt etwa eine Klage gegen Subventionen für das geplante britische Atomkraftwerk Hinkley Point C. Die österreichische Regierung hatte 2015 mit Unterstützung Luxemburgs gefordert, die Beihilfen für das Kraftwerk zu stoppen. Das Gericht der Europäischen Union wies die Klage 2018 aber in erster Instanz ab. 2020 bestätigte auch der Europäische Gerichtshof die Entscheidung. Ein weiteres Verfahren gegen das ungarische Atomkraftwerk Paks ist noch offen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich die Gerichte am Urteil zu Hinkley Point orientieren.

Erfolg mit Stresstest

Zumindest teilweisen Erfolg hatte Österreich mit seiner Forderung nach einem "Stresstest" für Atomkraftwerke in der Europäischen Union. Die Regierung hatte nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima im Jahr 2011 eine Überprüfung gefordert. Dem 2012 vorgelegten Bericht stimmte Österreich jedoch als einziges EU-Land nicht zu, sondern enthielt sich. Im Bericht fehlte laut Regierung eine Bewertung der einzelnen Atomkraftwerke. Außerdem sei der Zeitplan der Überprüfung zu kurz gewesen.

Gemeinsam mit Luxemburg blockierte Österreich im November 2019 zudem die Einigung auf das nächste Euratom-Programm. Grund für das Nein war, dass im Programm die Rede davon war, dass Atomkraft nachhaltig sei und der Erreichung der Klimaziele dienen könne. Umweltministerin Gewessler bemühe sich nun um eine Reform des Euratom-Vertrags hin zu mehr Sicherheit, strengeren Haftungsregeln für AKW-Betreiber und einen Stopp staatlicher Subventionen für Kernkraftwerke.

Den Kampf gegen Atomenergie hat sich die Bundesregierung übrigens auch ins Programm geschrieben. Dort heißt es, dass der Ausbau von Kernkraftwerken in Europa "mit allen zur Verfügung stehenden politischen und rechtlichen Mitteln" verhindert werden soll. Dass Österreichs Bemühen auf viele andere EU-Länder ausstrahlen wird, ist aber eher unwahrscheinlich. (Jakob Pflügl, 3.1.2022)