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Menschen über 60 Jahre erhalten in Israel bereits die vierte Dosis ihrer Corona-Impfung.

Foto: Reuters/Ronen Zvulun

Die Ziffer vier drückt der Pandemie in Israel derzeit ihren Stempel auf. Nachdem das Land im September aus der vierten Welle aufgetaucht war, rollt nun die Omikron-Welle übers Land, und zwar mit solcher Wucht, dass sich die Infektionen binnen einer Woche vervierfachen. Laut Prognosen wird in wenigen Wochen jeder vierte Israeli mit Covid-19 infiziert sein. Die Regierung rollt daher die vierte Impfkampagne aus.

Die aktuellen Inzidenzen übertreffen alles, was aus früheren Wellen bekannt war. Am Sonntag wurden mehr als 5.000 Neuinfektionen gezählt, schon am Freitag könnten es mehr als 20.000 sein, sagte Premierminister Naftali Bennett am Sonntagabend. Wobei diese Zahlen das tatsächliche Inzidenzbild wohl kaum wiedergeben können, da die Teststationen und Labors heillos überfordert sind. Die Schlangen vor den Testzentren sind lang, Sonntagfrüh lag die Wartezeit mancherorts bei über zwei Stunden.

Der vierte Stich wird vorerst an alle Israelis über 60 Jahre, Immungeschwächten und medizinisches Personal vergeben, wenn seit dem dritten Stich mehr als vier Monate vergangen sind.

Touristinnen und Touristen dürfen kommen

Zugleich plant die israelische Regierung einen Schritt, der in früheren Wellen unvorstellbar gewesen wäre: Schon am Sonntag sollen Touristen einreisen können, wenn sie vollständig geimpft sind und nicht aus einem Hochrisikoland kommen. Das ist eine Totalwende in der israelischen Covid-Politik, die man auch als Resignation vor Omikron beschreiben kann. Die Regierung setzt nicht mehr auf das Abflachen der Infektionskurve, sondern vor allem darauf, den Anstieg der schweren Erkrankungsfälle zu bremsen. Zwar führt Omikron weniger häufig zu schweren Verläufen, dafür sei die Variante aber "vier- oder fünfmal ansteckender als Delta", sagt der ehemalige Corona-Beauftragte Ronni Gamzu – in absoluten Zahlen könnte also auch die Zahl der schweren Fälle mindestens Delta-Rekordniveau erreichen.

Das erklärt auch, warum die Regierung auf den vierten Stich setzt: Wenn jemand schwer erkrankt, sind es Ungeimpfte oder geimpfte Ältere. Die meisten älteren Israelis haben ihren Booster vor mehr als vier Monaten erhalten, der Schutz ist stark verringert.

Von zusätzlichen Einschränkungen ist derzeit keine Rede. "Omikron breitet sich so schnell aus, dass Beschränkungen mehr wehtun, als sie helfen", sagt Gamzu. Wolle man wirksam gegen Omikron vorgehen, müsste man das öffentliche Leben um 60 Prozent reduzieren, sagt Epidemieforscher Eran Segal.

Dilemma Durchseuchung

Ist Israel also auf dem Weg zur Durchseuchung? Offen aussprechen will das niemand. Unter den Regierungsberatern herrscht Uneinigkeit, ob das überhaupt möglich ist. So glaubt Gamzu, dass eine Herdenimmunität "in wenigen Monaten" machbar sei. Israel sei dank einer hohen Boosterrate relativ gut gegen eine hohe Mortalität abgesichert.

Dem widerspricht Ron Balicer von der Krankenkasse Clalit: Wer eine Durchseuchung mit Omikron für eine taugliche Strategie halte, sei auf dem Holzweg: "Ein dreifach verringertes Hospitalisierungsrisiko – das ist nicht unbedingt das 'Sicherheitsprofil', das ich mir für meine Freunde wünsche, schon gar nicht für die Älteren unter ihnen", twitterte Balicer am Montag. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 4.1.2022)