Es passiert immer wieder, dass man sich in einer Ehe auseinanderlebt und sich scheiden lassen will. Die "besten" Situationen sind jene, in denen sich beide Ehepartner eine Scheidung vorstellen und eine solche einvernehmlich durchführen können. Öfters kommt es aber vor, dass der eine Ehepartner dem anderen eine oder mehrere Eheverfehlungen vorwirft, die so schwer wiegen, dass die Wiederherstellung der Lebensgemeinschaft nicht mehr vorstellbar ist (Ehezerrüttung). Diese Situation kann dann nur in einem streitigen Verfahren gelöst werden. Man spricht dann von Scheidung aus Verschulden.

Keine komplette Trennung

Es gibt jedoch eine weitere Möglichkeit, die besonders dann relevant wird, wenn die Ehepartner kein Einvernehmen finden können, aber auch nicht im Gerichtssaal aufeinandertreffen wollen: die Scheidung wegen Auflösung der häuslichen Gemeinschaft. Das Gesetz sieht vor, dass jeder Ehepartner die Scheidung begehren kann, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten seit mindestens drei Jahren beziehungsweise sechs Jahren aufgehoben ist.

Jedoch gilt nicht jede "einfache" Trennung und der Auszug eines der Ehepartner aus der gemeinsamen Wohnung als Auflösung der häuslichen Gemeinschaft. Damit hat sich der OGH zuletzt im August 2021 befasst (OGH 6.8.2021, 6 Ob 131/21i).

Im konkreten Fall ist der Ehemann aus der gemeinsamen Ehewohnung im Jahr 2008 ausgezogen. Bis Juni 2018 gab es allerdings über größere Zeiträume wöchentlichen sexuellen Kontakt zwischen den Ehepartnern. Darüber hinaus hatten sich diese regelmäßig getroffen, gemeinsam Freizeitaktivitäten gesetzt und Gespräche geführt. Die Ehefrau hatte zu diesem Zeitpunkt noch in einer vom Ehemann angemieteten Wohnung gelebt. Der Ehemann hingegen wohnte in einem Gartenhaus, das sich auf einer Liegenschaft der Ehefrau befand. Es gab noch einen gemeinsamen Kredit der Ehepartner, den sie für den Umbau ebendieses Gartenhauses aufgenommen hatten.

Der Ehemann stützte sich in seiner Scheidungsklage auf die Auflösung der häuslichen Gemeinschaft, weil er faktisch seit 2008 (somit seit mehr als zehn Jahren) nicht mehr in der gemeinsamen Ehewohnung lebte.

Allerdings entschieden sowohl das Erstgericht als auch das Berufungsgericht, dass die häusliche Gemeinschaft in der gegenständlichen Situation nicht als aufgehoben galt. Der OGH schloss sich dieser Beurteilung an.

Die Scheidung wegen Auflösung der häuslichen Gemeinschaft kann obsolet sein, sollten die Ex-Partner sich weiterhin regelmäßig treffen.
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Auf den Einzelfall kommt es an

Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung verstehen die österreichischen Gerichte unter der häuslichen Gemeinschaft nicht nur eine reine Wohngemeinschaft; vielmehr besteht die häusliche Gemeinschaft aus einer Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft. Erst wenn alle drei Voraussetzungen seit drei oder sechs Jahre weggefallen sind, kann von der Auflösung der häuslichen Gemeinschaft gesprochen werden.

Allerdings betonte der OGH in seiner Entscheidung, dass es hier immer auf den Einzelfall ankommt: Die umfassende Judikatur zu dieser gesetzlichen Bestimmung hat auch gezeigt, wie viele unterschiedliche Möglichkeiten es geben kann. So kann die häusliche Gemeinschaft als aufgelöst gelten, auch wenn die Ehepartner in derselben Wohnung leben – dies ist dann der Fall, wenn die Ehepartner ein gänzlich voneinander getrenntes und selbstständiges Leben führen (zum Beispiel getrennte Eingänge in die Wohnung, Verwendung von getrennten Räumlichkeiten) und sie weder wirtschaftlich noch sexuell in einer Verbindung zueinanderstehen (zum Beispiel: OGH 9 Ob 1/04v).

In einem anderen Fall hat der OGH jedoch die Auflösung der häuslichen Gemeinschaft selbst bei räumlicher Trennung verneint, weil die Ehepartner sich noch in einer Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft befanden (zum Beispiel: OGH 7 Ob 566/82). Eine Geschlechtsgemeinschaft liegt allerdings dann nicht mehr vor, wenn sich die Ehepartner nur mehr gelegentliche besuchen oder fallweise sexuelle Kontakte miteinander haben (zum Beispiel: OGH 7 Ob 566/82, OGH 7 Ob 567/79).

Im konkreten Fall hat der OGH die Auflösung der häuslichen Gemeinschaft verneint, weil es zwischen den Ehepartner für länger als sechs Jahre nach dem Auszug des Ehemannes aus der gemeinsamen Ehewohnung weiterhin zu regelmäßigen Besuchen und Kontakten kam; de facto wohnten die Ehepartner getrennt voneinander, befanden aber sich weiterhin in einer Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft und hatten daher zwischen 2008 und 2018 eine innige seelische und psychische Beziehung geführt.

Unheilbare Zerrüttung?

Bei der Auflösung der häuslichen Gemeinschaft ist daher jeweils der Einzelfall relevant, sodass keine pauschale Regelung getroffen werden kann, wann die Gemeinschaft tatsächlich als aufgehoben gilt.

Zudem gilt bei der Auflösung der häuslichen Gemeinschaft für einen Zeitraum von drei Jahren noch Folgendes zu berücksichtigen: Das Gericht wird hier nicht automatisch die Ehe scheiden. Vielmehr wird das Gericht darüber hinaus überprüfen, ob die Auflösung der häuslichen Gemeinschaft in den letzten drei Jahren zu einer unheilbaren Zerrüttung der Ehe geführt hat. Darunter versteht man die Aufhebung jeglicher geistigen, seelischen oder körperlichen Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und das Wegfallen der ehelichen Gesinnung zumindest bei einem der Ehepartner. Die Zerrüttung zwischen den Ehepartnern muss dazu geführt haben, dass sich diese die Wiederherstellung einer Lebensgemeinschaft unter keinen Umständen mehr vorstellen können. (Andreea Muresan, 7.1.2022)