Der Gesetzgeber kann die Amtsverschwiegenheit zwar nicht ausdehnen, sie aber einschränken oder gänzlich beseitigen, sagt der Verfassungsjurist Heinz Mayer im Gastkommentar. Lesen Sie dazu auch den Gastkommentar von Mathias Huter: Die schlechten Argumente gegen Transparenz.

Ein "gelebtes Floriani-Prinzip" attestierte Ministerin Edtstadler kürzlich den Verzögerern des Gesetzes.
Foto: Andy Urban

Es ist wieder einmal so weit: Die vor knapp einem Jahr angekündigte Reform des Amtsgeheimnisses steht vor dem Scheitern. Das mit großem medialem Aufwand angekündigte Informationsfreiheitsgesetz, das als Ministerialentwurf das Licht der Öffentlichkeit erblickte, wird nicht kommen. Die Widerstände aus den Bundesländern und aus den Gemeinden seien zu groß. Der Vizekanzler und die Verfassungsministerin sehen sich nicht in der Lage, diesen Widerstand zu überwinden.

Alles schon da gewesen: letztmals 2013, als Regierungsvertreter ankündigten, in zirka zwei Wochen sei es so weit. Geschehen ist nichts.

"Es lebt sich bequem mit einem guten Amtsgeheimnis."

Das hat seine schlechten Gründe: Bekanntlich ist mangelnde Transparenz und strikte Geheimhaltung eine Voraussetzung für eine florierende Korruption. Dazu kommt, dass eine vom Geheimnisschutz verhüllte Staatstätigkeit wesentlich bequemer ist als eine transparente. Wenn Bürger der Verwaltung jederzeit über die Schulter schauen können und damit Informationen über die Verwaltungsabläufe erhalten, kann es leicht dazu kommen, dass lästige Fragen gestellt werden, deren Beantwortung schwerfällt. Freunderlwirtschaft und parteiliches Verhalten wäre nur schwer bis gar nicht möglich. Es lebt sich also bequem mit einem guten Amtsgeheimnis, und davon will man nicht lassen.

Dabei ist nicht einmal die Verschwiegenheitsverpflichtung als solche das entscheidende Problem; diese wird oft missverstanden. Sie ist nämlich nicht die Regel, sondern die Ausnahme; sie besteht nach der Verfassung nur bei Vorliegen ganz bestimmter Gründe wie zum Beispiel, dass die Geheimhaltung im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, der umfassenden Landesverteidigung oder der auswärtigen Beziehungen erforderlich ist. Liegen solche Geheimhaltungsgründe nicht vor, so besteht also keine Verschwiegenheitsverpflichtung.

Notwendige Ausnahmen

Ich fordere nicht die gänzliche Abschaffung der Amtsverschwiegenheit. Diese wird in manchen Bereichen weiterhin notwendig sein; der persönliche Lebensbereich, aber auch der Staatsschutz – um nur zwei Beispiele zu nennen – werden eine maßvolle Geheimhaltung erfordern. Das entscheidende Problem ist aber, dass die Amtsverschwiegenheit regelmäßig missbraucht wird. Wenn Verwaltungsbehörden unter Berufung auf eine angeblich bestehende Amtsverschwiegenheit Informationen verweigern, hat der Bürger praktisch keine Möglichkeit, die Richtigkeit dieser Verweigerung zu überprüfen und die gewünschten Informationen zu erhalten.

Er kann zwar Auskunft begehren, einen Bescheid verlangen und diesen bei Gerichten bekämpfen; damit kann er bestenfalls erreichen, dass ein Gericht feststellt, dass bestimmte Informationen herauszugeben sind – durchsetzen kann er das aber nicht. Da das Gericht nicht über die gewünschten Informationen verfügt, kann es diese nicht herausgeben. Beamte und Politiker, die sich weigern, einer solchen gerichtlichen Entscheidung nachzukommen, und die Information weiterhin verweigern, können zur Auskunft praktisch nicht gezwungen werden.

Großer Schritt

Das entscheidende Problem ist also, dass letztlich immer die Stelle über die Herausgabe von Informationen entscheidet, die über die Informationen verfügt. Und die hat oft ein erhebliches Interesse, diese nicht weiterzugeben, weil sie sonst unter Rechtfertigungsdruck gerät.

Eine Reform des Amtsgeheimnisses müsste also darin bestehen, eine unabhängige Stelle einzurichten, die in der Lage ist, die gewünschte Information zu erteilen. Manche Staaten haben sogenannte "Informationsbeauftragte" geschaffen – eine solche Institution wäre ein großer Schritt in Richtung Transparenz.

Die Länder, leider, leider

Was hat es nun damit auf sich, wenn der Vizekanzler und die Verfassungsministerin behaupten, gegen die Länder und Gemeinden könnten sie ja leider, leider die von ihnen eh so gewünschte Transparenz nicht herstellen? Nichts.

Die Bundesverfassung sieht nämlich vor, dass die im Artikel 20 Absatz 3 B-VG geregelte Amtsverschwiegenheit nur besteht, "soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist". Das bedeutet, dass der einfache Gesetzgeber die Amtsverschwiegenheit zwar nicht ausdehnen, sie aber einschränken oder gänzlich beseitigen kann. Der einfache Bundesgesetzgeber hätte es also in der Hand, für den Bereich der Staatstätigkeit des Bundes hier eine Vorreiterrolle einzunehmen und ein modernes Transparenzsystem zu schaffen. Dazu braucht es keine Verfassungsbestimmung, es genügt ein einfaches Gesetz. Würde der Bund diesen Schritt setzen, müssten sich über kurz oder lang auch die Länder überlegen, ob und inwieweit sie ihren Geheimhaltungsfetischismus weiterhin frönen wollen. Bislang gab es kein Anzeichen aus dem Bereich des Bundes, dass man diesen Schritt setzen könnte; stets nur ein Bedauern, dass man "eh so gerne täte, aber halt leider nicht könne".

"Ich werde da dranbleiben!"
Verfassungsministerin Karoline Edtstadler

Die Verfassungsministerin Karoline Edtstadler hat angekündigt, dass sie nicht gewillt ist, klein beizugeben: "Wir müssen den Paradigmenwechsel vollziehen, und ich werde da dranbleiben!" Ist das ihr ernster Wille, so darf sie jedenfalls nicht warten, bis Länder und Gemeinden deren Zustimmung erteilen; das wird nämlich nicht geschehen, dazu ist das Leben mit dem Amtsgeheimnis viel zu angenehm.

"Der Bund könnte mit gutem Beispiel vorangehen."

Sollte es die Frau Bundesministerin ernst meinen, so müsste sie einen ersten Schritt setzen und ein modernes, transparentes System für den Bund vorschlagen. Dazu braucht es keine Verfassungsmehrheit, keine Bereitschaft der Länder und Gemeinden, es genügt ein einfaches Gesetz. Damit könnte der Bund mit gutem Beispiel vorangehen und gleichzeitig einen wichtigen Schritt zur Korruptionsbekämpfung setzen; er würde damit auch ein wesentliches Anliegen des Antikorruptionsvolksbegehrens zumindest teilweise erfüllen.

Darf man darauf hoffen, Frau Bundesministerin?

Geschieht weiterhin nichts, könnte nämlich leicht der Verdacht entstehen, dass auch die Bundesregierung kein Interesse an einer transparenten, bürgernahen Verwaltung hat; dass sie zwar das Gegenteil behauptet, sich aber zufrieden hinter den Ländern versteckt. (Heinz Mayer, 5.1.2022)