Der Ökonom Kurt Bayer repliziert im Gastkommentar auf Heike Lehner, die einen Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik forderte.

Die Bilanzsumme der EZB hat sich durch unkonventionelle Geldpolitik massiv vergrößert.
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Über die "richtige" Geldpolitik lässt sich trefflich diskutieren, ebenso über die Prognosen für die Teuerung als eine der Grundlagen dieser Geldpolitik. Heike Lehner vom "wirtschaftsliberalen Thinktank Agenda Austria" räsoniert in "Riskiert die EZB eine Staatsschuldenkrise?" darüber, dass die Europäische Zentralbank (EZB) als einzige der großen Notenbanken nicht eine Zinserhöhung angekündigt habe, dass sie hoffe, dass die Inflation sich von selbst erledige, und dass Gefahr bestünde, dass ausländische Privatbanken keine Euro-Anleihen mehr aufkaufen, ja diese sogar "abverkaufen" würden.

Als Evidenz für die scheinbare Inkompetenz der EZB führt sie den österreichischen Notenbankgouverneur an, der selbst Mitglied des EZB-Rates ist, der eingestehe, "dass sie (die EZB, Anm.) nicht wüssten, mit welcher Geschwindigkeit die Inflationsraten zurückgehen würden". Dazu: Im EZB Rat wurde lange diskutiert, was die Ursachen der Inflation seien, ob es primär Nachfrage- oder Angebotseffekte seien, wobei erstere durch Zinserhöhungen zu bekämpfen sind, letztere eher durch angebotsseitige (also nicht geldpolitische) Maßnahmen.

Weiter "Appetit" der Banken

Die Mehrheitsmeinung, der sich der Österreicher offenbar nicht angeschlossen hat, einigte sich auf Angebotseffekte bei Energie und den Lieferketten und vertraut auf den statistischen Erstsemestereffekt, dass heurige hohe Preisniveaus bei Beibehaltung sich nächstes Jahr in niedrigeren Zuwachsraten niederschlagen werden. Kann man so sehen, kann man auch anders einschätzen. Prognosen sind, wie ein alter Prognostikerspruch sagt, ebenso wie die Zukunft, "ihrem Wesen nach unsicher".

"Diese Käufe als 'Abverkauf' zu klassifizieren und damit Ramsch zu suggerieren, macht keinen Sinn."

Lehner verstrickt sich in Widersprüche, wenn sie Angst hat, dass sich "ausländische" Banken wegen der niedrigen Rendite von Euro-Anleihen anderweitig versorgen würden. Erstens: Das von ihr monierte Aufkaufprogramm der EZB muss ja genau von solchen Banken diese Anleihen kaufen, da Direktkäufe von den Staaten durch das EZB-Statut verboten sind. Und zweitens: Wie die kürzlich erfolgten Anleihebegebungen Österreichs zeigen, besteht von Banken weiterhin "Appetit", sich solche sicheren Anleihen zuzulegen. Also entweder kann die EZB von Banken kaufen oder nicht: Aber diese Käufe als "Abverkauf" zu klassifizieren und damit Ramsch zu suggerieren, macht keinen Sinn. Im Übrigen profitieren auch Staaten wie Deutschland oder Österreich von den niedrigen Zinsen, da ihre Rückzahlungsraten dadurch billiger werden, und nicht nur "Staaten wie Italien oder Griechenland".

Es stimmt, dass die Bilanzsumme der EZB, wie auch jene vieler anderer Notenbanken, sich durch diese "unkonventionelle" Geldpolitik massiv vergrößert hat. Ja, es stimmt, dass diese Gelder von den Banken vielfach nicht in die intendierten Kanäle, nämlich Realinvestitionen zu stimulieren, geflossen sind, sondern die Bubbles im Immobilien- und Aktienmarkt und anderen Vermögensmärkten verursacht haben. Es ist richtig, dass Anleger und Banken Renditevergleiche zwischen einzelnen Staatsanleihen anstellen, dass aber natürlich auch andere wirtschaftspolitische Überlegungen in die Kaufentscheidung einfließen. Ja, es ist richtig, dass alle Notenbanken damit ringen, wie sie aus dieser expansiven Geldpolitik sachte aussteigen können, ohne eine Rezession zu verursachen, und dass die "richtige" Aufeinanderfolge des Auslaufens der Anleihenkäufe und Zinserhöhungen (falls diese notwendig sein sollten) Teil dieser intensiven Diskussionen sind.

Breitere Diskussion

Zu all diesen Fragen kann man unterschiedlicher Meinung sein. Eine breitere Diskussion darüber in Österreich wäre jedenfalls sinnvoll. Dennoch: Der EZB-Rat trifft in seinen Sitzungen, ebenso wie das Open Market Committee der US-Zentralbank Fed, nach gründlicher Diskussion Mehrheitsentscheidungen über die künftige Geldpolitik. Diese sollte von allen Mitgliedern nach außen vertreten werden, um Unsicherheiten zu vermeiden.

Es ist verdienstvoll, dass Lehner eine Diskussion über EZB-Ratsentscheidungen anregt. Diese sollte von den Universitäten, Forschungsinstituten und anderen Beratungsinstitutionen weiter getrieben werden, auch um den österreichischen Gouverneur zu beraten. An der EZB und ihrer Politik gibt es – wie bei jeder wirtschaftspolitischen Institution – vieles, was diskussionswürdig ist. Lehners Geraune von einer drohenden Staatsschuldenkrise hilft dieser Diskussion jedenfalls nicht. Sie ignoriert die Evidenz erfolgreicher Anleiheplatzierungen: von "Abverkauf" keine Spur. (Kurt Bayer, 7.1.2022)