Der Brite Sam Fender toppte mit seinen zwei Alben die Charts. Was er von Boris Johnson hält, zeigt eine Konzertankündigung des Stars, die den Premier als Schwein am Grill abbildet. Mahlzeit.

Foto: Charlotte Patmore

Zwischen englischer Politik und Paarhufern mit Ringelschwänzchen gibt es eine gewisse Affinität. David Cameron zum Beispiel. Der als Brexit-Premier in die Geschichte eingegangene Konservative soll in Studienzeiten mit seinem kleinen Freund einem Sauschädel ungebührlich nahe gekommen sein – was er später stets bestritten hat. Zuletzt verlor sich der aktuelle Premier Boris Johnson in einer erratischen Rede vor dem britischen Industrieverband in einem Kauderwelsch aus Moses, Lenin und dem Comicschweinchen Peppa Wutz alias Peppa Pig. Und nun wurde Johnson selbst Opfer einer Schweinerei.

Der britische Musiker Sam Fender veröffentlichte ein Konzertplakat, auf dem ein Schwein gegrillt wird, das eine Frisur wie Boris Johnson trägt. Das sagt einiges über die Sympathiewerte Johnsons in Großbritannien aus – und über Sam Fender, den 27-jährigen Shootingstar auf der Insel.

Schon wieder ein Boss

Fender gilt als britischer Bruce Springsteen, und da schläft einem zu Recht gleich das Gesicht ein. Wie oft gab es schon den neuen Bruce Springsteen? Craig Finn von der Band The Hold Steady musste den Vergleich erdulden, The Killers tun auf ihrem Album Pressure Machine alles, um ihn zu strapazieren, Brian Fallon von The Gaslight Anthem sowieso, und, und, und – sobald jemand aus der Perspektive der Arbeiterklasse Songs schreibt, schaut der Vergleich mit dem Boss ums Eck, der, wie er selbst zugibt, nie auch nur einen Tag schwer gearbeitet hat.

Bei Sam Fender ist das anders, der kennt dreckige Nägel. Zumal britische Popmusik traditionell in der Arbeiterklasse verwurzelt ist und daraus eine spezielle Weltanschauung und ihren eigenen Stolz bezieht. Das setzt sich mit Fender fort.

Arm und krank

Er kommt aus dem Nordosten Englands, aus der Arbeiterstadt North Shields, wo er 1994 geboren wurde. Seine Eltern ließen sich scheiden, als er acht war, es folgte eine Jugend in relativer Armut, Drogen, Faustkampf, nichts Ungewöhnliches in einer Gegend mit über 30 Prozent Arbeitslosigkeit, in der Fender, ein dickes Kind, oft gemobbt wurde und früh zum Lebenserhalt beitragen musste. Umgeben von Pessimismus, Politikverdrossenheit, Frust in jeder Ausformung. Was damals trister Alltag war, ist heute Thema in seinen Songs. Dass er zudem an Aufmerksamkeitsdefizitstörung gepaart mit Hyperaktivität litt, tat das Übrige zum individuellen Unglück bei.

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Als Teenager arbeitete er in einem Pub – und dort passierte es: Fender spielte einen seiner Songs, und der Chef des Lokals mochte, was er hörte, und buchte der Aushilfskraft eine Show. Bald trat er regelmäßig auf und wurde von der Lokalgröße zur lokalen Größe.

Seine Songs behandeln, was viele in seiner Nachbarschaft und Klasse erleben: Alltagssorgen und Enttäuschungen, die in der Transformation zur Kunst so etwas wie Hoffnung freisetzen.

In der Zwickmühle

2019 erschien Fenders Debütalbum Hypersonic Missiles und toppte die Charts, im Herbst 2021 kam der Nachfolger Seventeen Going Under – und toppte wieder die Charts: Fender füllt Stadien, ist Gast in Talkshows und in der Zwickmühle.

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Denn mit dem Erfolg könnte er sich nun jenes Leben leisten, von dem er und seinesgleichen im Normalfall träumen. Doch er fürchtet um sein Ansehen, seine erste Goldene Schallplatte hat er abschätzig ins Häusl gehängt. Zu sehr ist er mit seiner Herkunft verwurzelt, als dass er sie hinter sich lassen möchte, zu tief ist seine Kunst in den engen Gassen seiner Stadt verankert, um sie gegen einen noblen Landsitz oder ein Loft an der Themse einzutauschen. Problem.

Hymnische Songs

Da sitzt nun der Star im Scherbenviertel. Statt abzuhauen, versucht er, seinem Milieu auf seine Art zu helfen. Er nutzt das Interesse an seiner Person für Kampagnen und kleine Verbesserungen, versucht, der Working Class Hero zu sein, als den ihn viele betrachten. Er ist ein Sprachrohr jener, die die Politik kaum wahrnimmt.

Seine hymnischen und von der Machart tatsächlich nah an Springsteens Musik gebauten Songs geben jenen eine Stimme, die nicht gehört werden und der Politik deshalb abhandengekommen sind. Es sind Menschen, die kein Problem damit haben, wenn Boris Johnson als Schwein dargestellt wird, denn genauso erscheint er ihnen: als Lobbyist einer bessergestellten Klasse, die nur an sich selbst denkt. Johnson ist ein Populist, Fender populär. Einer, dessen Erfolg nicht vorgesehen war. Auch das hat in der britischen Popmusik Tradition. (Karl Fluch, 7.1.2022)