Fenster auf, Frischluft rein – und aus müden Kindern werden wieder konzentrierte Schülerinnen und Schüler, dem Coronavirus geht dafür in gut gelüfteten Klassen schneller die Luft aus.

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Umweltmediziner Hans-Peter Hutter.

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Umweltanalytiker Peter Tappler.

IBO Innenraumanalytik OG

Das Thema Lüften – Achtung, Aerosole! – hat in der Pandemie nicht nur im Zusammenhang mit Schulen enorme Popularität erlangt, zumindest theoretisch. Umweltmediziner wie Hans-Peter Hutter freut das, weil sie seit vielen Jahren Bewusstseinsarbeit leisten, aber so wirklich durchgedrungen ist die Wichtigkeit des Themas nicht. Doch dann kam das Coronavirus und mit ihm vielfältige Rufe nach "Luftfiltern" in den Schulen, um so einen möglichst sicheren Betrieb zu ermöglichen. Was bringt das? Wie lüftet man richtig?

DER STANDARD hat dazu Hutter und den gerichtlich zertifizierten Sachverständigen Peter Tappler, der den Arbeitskreis Innenraumluft im Klimaschutzministerium leitet und dem beide Experten angehören, befragt. Gleich zu Beginn stellen sie ein häufiges Missverständnis richtig: Wo fälschlicherweise meist die Rede von "Luftfiltern" ist, geht es genau genommen um "mobile Luftreinigungsgeräte".

Frage: Das Bildungsministerium hat 4,135 Millionen Euro für mobile Luftreinigungsgeräte für Klassen oder Räume, "in denen Lüften über Fenster nicht oder nur schwer möglich ist", reserviert. Davon wurde von den Schulen aber nur ein Viertel abgerufen. Laut einer parlamentarischen Anfrage der SPÖ an Bildungsminister Heinz Faßmann bestellten AHS und BMHS exakt 1.514 "Luftfilter". Ausgegangen war man von einem theoretischen Bedarf an 2.300 Geräten. Für SPÖ-Bildungssprecherin Petra Vorderwinkler die Bestätigung, dass nicht alles unternommen wurde, um die "Chaossituation" an den Schulen zu vermeiden. Jetzt gelte für die Schulkinder: "Frieren oder keine Frischluft, weil Faßmann hier sparen wollte." Klären Sie uns auf: Sind solche mobilen Luftreinigungsgeräte eine sinnvolle Investition für eine effektive Infektionsprophylaxe in Innenräumen und speziell in Schulen oder hinausgeschmissenes Geld?

Antwort: Luftreinigungsgeräte stellen derzeit nicht die wichtigste Investition für eine Infektionsprophylaxe in Schulen dar. Sie sind Mittel der letzten Wahl, wenn es nachweislich keine Möglichkeit gibt, dass ausreichend Frischluft von außen zugeführt werden kann. Kurzfristig gibt es wesentlich wirksamere Möglichkeiten, wobei im Vordergrund die verstärkte Lüftung von Innenräumen sowie weitere Präventionsmaßnahmen wie etwa Maskentragen, Impfen und Testen stehen. Darüber hinaus ist der finanzielle Aufwand für wirksame professionelle Luftreinigungsgeräte, der bei einigen Tausend Euro pro Gerät liegt, in dezentralen Hybridlüftungsanlagen wesentlich besser aufgehoben. Derartige Geräte können innerhalb von wenigen Tagen installiert werden und sind für eine hygienisch einwandfreie Luft zum Lernen praktisch unverzichtbar.

Der Arbeitskreis Innenraumluft im Klimaschutzministerium hat schon im Frühling 2020 darauf hingewiesen, dass man in den leeren Schulen zwischen April und August schleunigst beginnen sollte, klassenweise Nachrüstungen durchzuführen, was aber auf wenig Widerhall gestoßen ist. Abgesehen davon gibt es natürlich Ausnahmen, in denen Luftreinigungsgeräte sinnvoll sein können, beispielsweise in Räumen, in denen gesungen wird oder die keine Fenster besitzen und nicht kurzfristig aufgerüstet werden können.

Frage: Welche Geräte sind sinnvoll? Worauf sollten die Schulen achten?

Antwort: Wenn ein Luftreinigungsgerät im Einzelfall sinnvoll ist, kann auf eine Liste geeigneter Geräte auf der Website des Unterrichtsministeriums zurückgegriffen werden. Dabei handelt es sich um Geräte mit E12(EPA)- oder H13 oder H14(HEPA)-Filter. Auch Luftreiniger, die mittels UV arbeiten, wären geeignet. Geräte, die auf dem Prinzip Ionenerzeugung oder Kaltplasma beruhen oder gar Substanzen wie Ozon oder Wasserstoffperoxid in die Raumluft abgeben, sind im Arbeitsbereich verboten und demnach sicher auch nicht für Schulen geeignet.

Frage: Was können solche Luftreinigungsgeräte leisten und was nicht?

Antwort: Luftreiniger arbeiten mit verschiedenen Grundprinzipien. So entfernen Filtergeräte die luftgetragenen Partikel und damit auch die darauf befindlichen Viren, während etwa UV-Geräte die durch den Luftreiniger durchtretenden Viren deaktivieren. Da Luftreinigungsgeräte die Luft, vereinfacht gesagt, nur im Kreis pumpen, sind diese kein Ersatz für die ausreichende Zufuhr von Frischluft aus dem Außenbereich. Vor allem werden dadurch sogenannte anthropogene, also von Menschen abgegebene, Stoffe wie Kohlenstoffdioxid und auch Gerüche nicht abgeführt. Nur eine ausreichende Lüftung schafft das. Das bedeutet auch langfristig weniger Krankenstände und massive Leistungsgewinne. Dazu gibt es Unmengen wissenschaftliche Evidenz.

Frage: Welche anderen lüftungstechnischen Möglichkeiten gibt es, um das Aerosolproblem in den Schulen möglichst zu minimieren?

Antwort: Unter Fachleuten herrscht die einhellige Meinung vor, dass mittel- bis langfristig bedarfsgeregelte Hybridlüftungsanlagen mit Feuchterückgewinnung in Klassenräumen die nachhaltigste Lösung darstellen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht rentieren sich solche Investitionen bereits in fast unglaublich kurzen Zeiträumen, sicher aber in weniger als drei Jahren. Als Notlösung in Pandemiezeiten werden mitunter auch Abluftventilatoren in den Oberlichten der Fenster empfohlen, die aber eine Reihe von Nachteilen wie fehlender Schallschutz, kalte eintretende Luft oder aber keine Wärmerückgewinnung haben. Mittelfristig würden derartige Lösungen auch die Energiebilanz des Gebäudes massiv verschlechtern.

Frage: Was sind die wichtigsten Maßnahmen oder Hilfsmittel zur Infektionsprophylaxe in Innenräumen, konkret in Schulräumen?

Antwort: In Zeiten ohne Epidemie sind dies vor allem eine ausreichende Lüftung und Händehygiene. Zudem sollten all jene, die Krankheitssymptome haben, zu Hause bleiben. Unter der derzeitigen ungünstigen epidemiologischen Situation sind es natürlich zusätzlich – neben dem konsequenten Testen – die bekannten nicht-pharmazeutischen Maßnahmen wie Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes und, soweit möglich, Abstandsregelungen.

Frage: Bis jetzt oder bis zur Corona-Pandemie hatte man den Eindruck, dass Lüften kein besonders wichtiges Thema in den Schulen war … Was passiert, wenn Kinder vielleicht Stunden oder sogar einen Tag lang in abgestandener Luft sitzen und lernen sollen beziehungsweise warum ist regelmäßiges Lüften überhaupt wichtig?

Antwort: Diesen Eindruck haben wir auch. Dabei ist schon längst klar, dass abgestandene Luft die Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit reduziert. Wenn hingegen Schulklassen ordentlich gelüftet werden, verbessert sich die kognitive Leistungsfähigkeit deutlich. Dazu kommt die Reduktion respiratorischer Infekte etwa durch Grippe- oder Schnupfenviren in der kalten Jahreszeit. Obwohl uns skandinavische Länder schon seit Jahrzehnten vorleben, wie so etwas zu verwirklichen wäre, gab es in Vor-Corona-Zeiten bei uns verbissenen Widerstand gegen die Einführung von modernen Lüftungssystemen in Schulen.

Noch im Jahr 2019 wurden sogar lüftungsrelevante Forderungen in den Bauordnungen der Länder gestrichen, um vordergründig die Errichtung des Bauwerkes billiger erscheinen zu lassen. Die Stimmen derjenigen, die sich also massiv für schlechtere Luft in Schulen einsetzten, sind aber seit dem Ausbruch der Pandemie praktisch verstummt. Insgesamt zeigt das Dilemma rund um das Offenhalten der Schulen die jahrelangen Versäumnisse in puncto Schulgesundheit und Raumluft auf.

Frage: Das Thema Lüften hat ja schon in vorpandemischen Zeiten nicht nur Schulklassen oft in zwei Gruppen gespalten. Symbolisch manifestiert hat sich das oft im Satz: "Erfroren sind schon viele, aber erstunken ist noch keiner." Ein sozialdemokratischer Lehrervertreter in Oberösterreich hat dazu geklagt, man könne zwar in den allermeisten Schulräumen lüften, aber "wir sitzen drinnen mit Mantel, Schal und Straßenschuhen" und "es ist unglaublich kalt", das sei vor allem für jüngere Kinder ein großes Problem. Was sagen Sie dazu? Warm anziehen und geht schon?

Antwort: Wie gesagt: Die Unterlassungen der Vergangenheit rächen sich jetzt. Es ist klar, dass in bestimmten Klassenräumen Fensterlüftung an ihre Grenzen stößt. Bisher war Innenraumluft und -klima in den Klassen für viele Verantwortliche eher nebensächlich, manchen überhaupt egal. Für die Wissenschafter, die zu Schulgesundheit forschen, ist das alles nichts Neues. Neben etlichen anderen Messreihen haben wir bereits 2007 gemeinsam mit dem österreichischen Umweltbundesamt eine umfangreiche Schulstudie durchgeführt, bei der unter anderem auf das Problem der katastrophalen CO2-Werte in Schulen hingewiesen wurde. Auch der Arbeitskreis Innenraumluft fordert schon seit mehr als einem Jahrzehnt den Einbau geeigneter Lüftungssysteme in Schulen.

Frage: Als Argument gegen das Lüften kommt oft auch: Durch das Lüften im Winter werden die Kinder erst recht krank …

Antwort: Dieses Argument hören wir regelmäßig. Würden wir Menschen für ein paar Minuten keine kalte Luft aushalten, hätte es die Menschheit nicht ins 21. Jahrhundert geschafft. Wenn Burschen im Muskelshirt und Mädchen im Dezember noch im bauchfreien Shirt unterwegs sind und sich dann darüber beschweren, dass ihnen rasch kalt wird, sollte das doch eher dazu führen, sich witterungsadäquat anzuziehen, als weniger zu lüften. Das ist Jammern auf hohem Niveau. Ehrlicherweise muss man auch sagen, dass bisweilen Fenster überhaupt nicht geöffnet werden. In anderen Fällen bleiben die Fenster eine halbe Stunde sperrangelweit offen. Dass darunter die thermische Behaglichkeit leidet, sollte doch klar sein. Kurzes, dreiminütiges effizientes Querlüften kann verhindern, dass die Luft und Materialien in Innenräumen zu stark auskühlen. Dazu ist es erforderlich, dass Fensterflügel ganz geöffnet werden, was in vielen Schulen häufig gar nicht möglich ist. Umso wichtiger wäre es, schnellstens die Schulen nachzurüsten, anstatt wieder nur teure Notlösungen wie Luftreiniger zu finanzieren.

Frage: Wie lüftet man richtig – und was passiert dabei konkret?

Antwort: Durch das Lüften erfolgt ein weitgehender Luftaustausch zwischen Innen- und Außenluft. Die wirksamste Lüftungsmethode ist die Stoßlüftung, bei der die Fenster eine kurze Zeit weit offen stehen. Optimal ist, quer zu lüften, also wenn gegenüberliegende Fenster gleichzeitig geöffnet werden. Mit Hybridlüftungsanlagen erfolgt die Luftzufuhr kontinuierlich, ohne dass es im Klassenraum kalt wird oder Zugerscheinungen auftreten.

Frage: Zugespitzt gefragt: Was ist besser oder gesünder – frische oder gefilterte beziehungsweise gereinigte Luft?

Antwort: Die für Schulen optimale und meist ausgeführte Variante sind Hybridanlagen, bei denen in der Pause auch über Fenster gelüftet werden sollte. Gefilterte Luft hat den hygienischen Vorteil, dass Feinstaub, Pollen und Schimmelsporen aus dem Außenbereich "weggefiltert" werden. Aber ganz klar im Vordergrund steht immer noch, mit den einfachsten Mitteln für einen ausreichenden Luftwechsel zu sorgen. Dass man das ständig erklären muss, obwohl es doch schon zu Hause Usus sein sollte, wirft die Frage auf, wie es ganz allgemein um das kleine Einmaleins der Wohnraumhygiene steht.

Frage: Das Land Niederösterreich will mit den Gemeinden 10.000 CO2-Geräte für Schulen und Kindergärten anschaffen. Sinnvoll?

Antwort: CO2-Geräte zeigen über das Indikatorgas Kohlenstoffdioxid die "Verunreinigung" der Innenraumluft durch menschliche Emissionen und damit die Lüftungsnotwendigkeit an – was in ungelüfteten Klassen oft schon nach etwa 15 bis 20 Minuten der Fall sein kann. Aus unserer langjährigen Erfahrung wissen wir, dass bei Anwesenheit von solch einfachen Lüftungssampeln bewusster gelüftet wird. Es hat auch einen pädagogischen Effekt, wenn Kinder dann dieses neue Wissen nach Hause zu ihren Eltern bringen.

Wenn aber Ampeln schon nach kurzer Zeit immer rot blinken, etwa weil das Gerät falsch positioniert ist oder Lüften während der Schulstunde für Lehrer und Schüler langfristig zu mühsam ist, führt dies meist zu deren Abschaltung und nicht mehr zu einer besseren Lüftungssituation. Grundsätzlich ist daher eine Lüftungsampel nicht falsch, da sie Orientierung darüber gibt, wie rasch die Luftqualität abnimmt. Das Geld sollte man jedoch lieber in die Nachrüstung der Schulklassen mit Lüftungsanlagen stecken, die ja ohnehin CO2-Sensoren für die Bedarfsregelung benötigen.

Frage: Wie sieht es mit der Ökobilanz solcher lüftungstechnischer Gerätschaften aus?

Antwort: Dass lüftungstechnische Gerätschaften ökologisch ungünstig sind, ist eines jener Märchen, die sich nur schwer aus der Welt bringen lassen. Natürlich benötigt man weniger Energie, wenn man eine Schulklasse komplett ungelüftet belässt, wie das leider immer noch geschieht – aber eben auf Kosten von Wohlbefinden, Leistungsfähigkeit und letztlich eines höheren Infektionsrisikos. Bei der gleichen hygienisch erforderlichen Luftzufuhr schneiden mechanische Lüftungsanlagen wesentlich besser ab, da sie eine hocheffiziente Wärmerückgewinnung und mittlerweile sehr sparsame Ventilatoren besitzen.

Geräte mit Wärme- und Feuchterückgewinnung verringern daher die unweigerlich gegebenen Energieverluste beim Lüften und trockene Luft im Winter. Bei dezentralen Anlagen darf auch nicht vergessen werden, dass die Rohrlängen nur kurz sind und daher weniger Gegendruck überwunden werden muss. Auch haben moderne Anlagen eine Bedarfsregelung, was bedeutet, dass bei geöffneten Fenstern oder in der Übergangszeit die Anlagen auf Stand-by umschalten.

Frage: Was muss zusätzlich zum Lüften in den Klassen passieren, um sie in Corona-Zeiten möglichst sicher zu machen? Immer Masken tragen plus zusätzlich Plexiglastrennwände?

Antwort: Das alles müsste schon längst passiert sein. Immerhin befinden wir uns im zweiten Jahr dieser Pandemie. Und alle haben sich in den letzten Monaten dazu bekannt, dass die Schulen offen bleiben sollen. Es gibt dazu etliche Leitlinien und Empfehlungen. Zudem muss laut Erlass des Bildungsministeriums jede Schule ein Präventionskonzept erstellen und sich daher mit Fragen auseinandersetzen, wie ein Lüftungskonzept für den gesamten Schulbetrieb auszusehen hat, wie Pausen gesetzt und Personenströme gelenkt werden, wie gegebenenfalls Klassen getrennt werden können, und, und, und … Schulen sollten diese Konzepte ja nicht nur theoretisch vorliegen, sondern auch umgesetzt haben.

Plexiglastrennwände haben sich hinsichtlich der winzigen Aerosole als ungeeignet erwiesen, da sich Aerosolpartikel relativ homogen vor allem in ungelüfteten Räumen ausbreiten. Sie reduzieren das Infektionsrisiko durch die größeren, schwereren Tröpfchen. Das Tragen von Masken verringert die Abgabe und die Aufnahme von virenbelasteten Aerosolpartikeln. Sie sind eine wirksame und einfache Möglichkeit, Infektionen zu verhindern. Aus medizinischer Sicht das kleinere Übel, wenn man es mit dem Schließen von Schulen und den vielen negativen Folgen wie fehlendem sozialen Kontakt, fehlender Klassengemeinschaft, mehr psychischen Problemen wie Depressionen und überforderten Eltern vergleicht. (Lisa Nimmervoll, 7.1.2022)