Ulrich Matthes (links) als Hitler im Film "München – Im Angesicht des Krieges".

F. Batier / Netflix

Der aufhaltsame Aufstieg des Herrn Hitler hatte eine wichtige Station im Jahr 1938 in München. Damals kamen die europäischen Mächte zusammen, um mit dem Führer über die Gebietsansprüche zu sprechen, die Hitler für das Deutsche Reich stellte. Der Anschluss Österreichs lag da ein halbes Jahr zurück, nun war das Sudetenland die nächste Stufe auf dem Expansionsplan.

Netflix Deutschland, Österreich und Schweiz

Europa stand damals an der Schwelle zu einem Krieg, der durch die Konzessionen noch ein wenig verschoben wurde, auf die sich England unter dem Premierminister Neville Chamberlain einließ. Dessen Name ist seither für alle Zeiten mit dem Stichwort Appeasement verbunden, also mit einer nachgiebigen, schwachen Politik gegenüber aggressiver Machtausübung.

Wichtiger Filmemacher

Der Bestsellerautor Robert Harris hat über die Konferenz vom 29. September 1938 einen historischen Thriller geschrieben, der nun von Christian Schwochow für Netflix verfilmt wurde (einen kleinen Kinostart gibt es auch): München – Im Angesicht des Krieges zeigt sich als gediegene Produktion, die man sich auch als eine Auskopplung aus einer Serie wie The Crown vorstellen könnte. Dort war Schwochow auch als Regisseur tätig, ein Privileg für einen Deutschen, und ein Hinweis darauf, dass der Regisseur, zuletzt erfolgreich mit dem Politthriller Je Suis Karl, international derzeit als einer der wichtigsten Filmemacher aus dem Land gilt, das im 20. Jahrhundert zwei Weltkriege entfesselte.

Es gibt auch personelle Überschneidungen mit The Crown, die Liga distinguierter englischer Gentlemen ist eben nicht unerschöpflich. So taucht Alex Jennings auf, der einen Berater des britischen Premiers spielt. Jeremy Irons holt in der Hauptrolle des Neville Chamberlain alle geläufigen Facetten von Britishness hervor, Zigarre, Gartenkunst und eine Abscheu vor dem Krieg, die aus Vertrautheit mit den Gräueln des Ersten Weltkriegs kam. Ulrich Matthes spielt den Führer und sucht dabei nach der Mischung aus Lächerlichkeit und Dämonie, die bis heute das Rätsel dieses epochal negativen Charismatikers ausmacht.

"Herr Hitler"

In erster Linie kommt es in München – Im Angesicht des Krieges aber auf das mittlere diplomatische Personal an. Hier treffen sich junge Leute, die einander schon aus dem Jahr 1932 kennen, eine europäische Elite, die über den Nationalismus hinweg Brücken bauen könnte. Ein Deutscher namens Paul (Jannis Niewöhner) und ein Engländer namens Hugh (George MacKay) versuchen, Chamberlain heimlich ein Dokument zu unterbreiten, das schon 1937 den ganzen Eroberungsplan enthielt, der dann tatsächlich den Zweiten Weltkrieg auslöste.

Schwochow spult dabei routiniert das ganze Repertoire von Spionagespannung herunter; so muss sich Paul ein Schlafwagenabteil ausgerechnet mit einem früheren Freund teilen, der auch hoher Nazi-Offizier ist.

Die jungen Leute wissen um die Dringlichkeit, daraus entsteht eine ironische Spannung zu den altvorderen Diplomaten, die sich vor allem darüber erheitern, dass Herr Hitler, wie sie ihn immer nennen, Vegetarier war, woraus sich einige Witze über Wurst ergeben. Dass der organisierte Widerstand gegen den großen Diktator schon 1938 eine Stunde gehabt hätte, ist die historische Spekulation, auf der Schwochow einen Film aufbaut, der zugleich als Geschichtsstunde und als Thriller durchaus sehenswert ist. (Bert Rebhandl, 7.1.2022)