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Auf der roten Liste ist die Bise noch nicht gelandet.

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Ich hatte das Glück, Weihnachten bei Verwandten in Frankreich zu verbringen, was kulinarisch gesehen immer ein Vorteil ist (aus Taktgefühl verzichte ich darauf, Ihnen, die Sie womöglich genauso wie ich mit einem postferialen Gewichtszuwachs im Clinch liegen, die exakte Speisenfolge mitzuteilen. Vergessen Sie es einfach).

Schön war es, nahrhaft war es, aber natürlich müssen sich auch Französinnen und Franzosen mit Corona herumschlagen. Die Nanosau respektiert keine Grenzen, und sie gefährdet französisches Kulturgut wie das Begrüßungsritual der Bise, die wegen ihrer körperlichen Direktheit steifleinenen Ausländern seit jeher Missbehagen verursacht hat.

Im Zuge der Globalisierung (und oft vorher) hat sich diese Kombination aus sachter Umarmung und an den Wangen vorbei in den Äther gehauchten Küsschen längst weltweit verbreitet (Bussi-Bussi als Gruß der Bobo-Internationale). Die feinsinnige nationale Ausgestaltung der Bise ist den Franzosen aber geblieben; sie zeigt sich etwa in regionalen Unterschieden in der Anzahl der Küsschen, die man dem Gegenüber verabreicht. Die sind zwar nicht so ausgeprägt wie bei Speis und Trank (vgl. Asterix und Obelix, Tour de France), aber es macht doch einen Unterschied, ob man das Mündchen für zwei, drei oder vier Bises spitzt und ob man links- oder rechtsseitig beginnt (Obacht: Kollisionsgefahr bei divergierenden Einschätzungen!).

Auf der roten Liste ist die Bise noch nicht gelandet. Weil aber kaum jemand scharf darauf ist, sich dabei einen Schüppel Omikrönchen in die Nüstern blasen zu lassen, greift man zu sicherheitstechnisch verfremdeten Bise-Surrogaten, bei denen weit an der Wange vorbei, über den Ellenbogen oder gar das Handgelenk in die Luft hinaus geküsst wird. Eine Bise vom alten Schlag verpasst Ihnen heute in Europa höchstens noch Herbert Kickl.

Weil wir beim Küssen sind, darf ich daran erinnern, dass das Verb "baiser" in manchen Formulierungen, vor allem mit einem nachgestellten Sachobjekt, durchaus "küssen" bedeuten kann. Von der Grußformel "Je peux te baiser?" sollte man aber Abstand nehmen, es sei denn, man verkehrt in Kreisen französischer Pornoprofis, wo die Frage "Darf ich dich vögeln?" keinen Anstoß erregt. In gesitteterer Gesellschaft ist man mit "embrasser" auf der sicheren Seite. (Christoph Winder, ALBUM, 10.1.2022)