Das BASE-Experiment von oben. Hier werden Verhalten und Eigenschaften von Antiprotonen genauer unter die Lupe genommen.
Foto: Cern, Stefan Ulmer

Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik ist jene große Theorie, die die Gesetze des Universums, dessen fundamentale Kräfte und die darin enthaltenen Teilchen zu erklären versucht. Das Modell soll gleichsam ein mathematisches Abbild der Realität sein. Von einer vollständigen Darstellung von allem was existiert, ist es freilich weit entfernt, zu groß und zu zahlreich sind die Löcher, die nach wie vor in dieser Theorie klaffen. Eines der größten ist etwa die Lücke, in die in Zukunft vielleicht einmal auch die Gravitation hineinpasst, denn noch lässt sie sich nicht mit dem Standardmodell vereinbaren.

Jenen kleinen Teil des Kosmos allerdings, den das Standardmodell zu beschreiben versucht, erklärt es recht schlüssig: Bisher konnte noch kein Experiment signifikante Ergebnisse vorweisen, die den Vorhersagen dieser Theorie widersprechen würden. Ein guter Grund also für die Physiker, mit diesem Modell zufrieden zu sein – sollte man meinen. Tatsächlich aber hat das Standardmodell, so wie es heute dasteht, hat vor allem einen großen Mangel: Es kann nicht erklären, warum die Materie im Kosmos überhaupt existiert.

Rekordmessung am Cern

Eigentlich sollten sich nämlich nach diesem Modell Materie und Antimaterie kurz nach dem Urknall gegenseitig ausgelöscht haben. Bei der Lösung dieses Rätsels spielen Experimente an Teilchenbeschleunigern bzw. Teilchenentschleunigern wie jenen am europäischen Kernforschungszentrum Cern bei Genf eine wichtige Rolle. Beispielsweise hoffte man beim Vergleich von Protonen und Antiprotonen auf Unterschiede zu stoßen, die das Ungleichgewicht im Kosmos erklären könnten. Bei dieser Suche ist Physikern am Cern nun eine Rekordmessung gelungen. Eine Lösung des Rätsels lieferte diese trotzdem nicht.

Video: Das BASE-Experiment in der Antimateriafabrik am Cern.
CERN

Die Hoffnung auf eine Erklärung dafür, warum Materie und Antimaterie sich beim Urknall nicht gegenseitig ausgelöscht haben, hat sich vorerst zerschlagen, wie Stefan Ulmer und seine Kollegen im Fachjournal "Nature" berichten. Der Physiker ist Gründer des Baryon-Antibaryon-Symmetrie-Experiments (BASE) am Cern. "Wir haben keinen Unterschied zwischen Protonen und Antiprotonen gefunden, der die Existenz von Materie im Universum erklären könnte", sagte Ulmer. Bei der Messung verglichen die Physiker die Massen von Protonen und Antiprotonen auf 11 Stellen nach dem Komma. Nicht auszuschließen sei, dass Unterschiede auf noch mikroskopischerem und noch nicht messbarem Level bestehen, sagte Ulmer.

Der Ursprung unserer Existenz

"Im Kern geht es um die Frage nach dem Ursprung unserer Existenz", sagte Ulmer. "Wenn wir die Urknalltheorie und das Standardmodell der Teilchenphysik vereinigen, gibt es eigentlich keinen Grund, warum das Universum entstehen sollte." Denn Materie und Antimaterie müssten sich gegenseitig auslöschen. Verbildlicht: Wenn ein Proton und ein Antiproton in einer Box geschüttelt würden, bliebe nichts übrig. "Das müsste auch beim Urknall passiert sein – ist es aber nicht, denn wir existieren ja", sagt Ulmer. "Die Frage "warum existieren wir?" kann die moderne Physik noch nicht beantworten."

Eine der Theorien ist, dass eine Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie besteht. Wenn Protonen schwerer wären als Antiprotonen, würden – simpel ausgedrückt – bei einem Zusammenstoß einige Protonen übrig bleiben. Das Experiment am Cern hat mit bisher unerreichter Präzision aber keinen Unterschied zutage gefördert. "Wir haben mit hoher Messpräzision ausgeschlossen, dass der Unterschied zwischen Materie und Antimaterie auf einer Differenz der Masse beruht", sagte Ulmer.

In einer solchen sogenannten Penning-Falle werden Antimaterie-Teilchen gefangen gehalten.
Foto: Cern/ Stefan Ulmer, Georg Ludwig Schneider

Teilchen in der Penning-Falle

Gemessen wurden einzelne Teilchen in einer rund 25 Zentimeter langen Penning-Falle, einem elektromagnetischen Container. Dort konnten die Physiker die Schwingungen von Proton und Antiproton aufzeichnen und vergleichen.

Als nächstes wollen die Forscher eine andere Theorie zum Unterschied zwischen Materie und Antimaterie erneut testen: ob sich statt der Masse vielleicht das magnetische Moment unterscheidet. Mit verbesserter Präzision soll das Schwingen der Teilchen um die eigene Achse gemessen werden. "Wir können jetzt mit einer mindestens zehn Mal höheren Genauigkeit messen als bislang", sagt Ulmer.

Die Physiker haben nach Angaben von Ulmer auch erstmals ein Experiment entwickelt, das mit höchster Präzision untersuchen kann, ob Antimaterie durch Gravitation gleich schnell nach unten fällt wie Materie. Das vorläufige Ergebnis: Antimaterie reagiert gleich wie Materie. Auch hier können eines Tages noch präzisere Messungen zu anderen Ergebnissen führen, sagte Ulmer. (tberg, red, APA, 8.1.2022)