Seit Monaten demonstrieren Menschen gegen die Corona-Maßnahmen. Häufig finden Konflikte aber innerhalb der Familie statt.

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Seit bald zwei Jahren sind österreichische und deutsche Städte geprägt von Protesten gegen die Regierung, Pharmaindustrie und Corona-Maßnahmen. Angefeuert werden sie von einer zunehmend organisierten Bewegung aus Impfgegnern und Verschwörungserzählern, die ihre Gefolgschaft über soziale Medien und Messenger wie Telegram radikalisieren und mobilisieren.

Aber nicht alle Konflikte spielen sich in der Öffentlichkeit ab. Sehr häufig sind wir im privaten Umfeld mit Verschwörungsglaube und seinen Folgen konfrontiert. Doch was tun, wenn die eigene Mutter Corona verharmlost, auf Demonstrationen mit Rechtsextremen marschiert oder gegen die Impfung wettert? Wann lohnt sich ein Gespräch, wann sollte ich mich abkapseln – und wenn ich einen Dialog zulasse, dann auf welcher Ebene? Simple Antworten auf diese Fragen gibt es nicht. Betroffene mit ihrem Leidensdruck allein zu lassen ist aber ebenso wenig möglich.

Fakt und Vorurteil

Einen Versuch der Hilfestellung wagen deshalb Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen und der deutsche Experte für Verschwörungsmythen Holm Gero Hümmler. Mit "Fakt und Vorurteil" haben sie ein Buch über die Kommunikation mit Esoterikern, Fanatikern und Verschwörungsgläubigen geschrieben.

Obwohl sie mit ihrem Projekt schon vor Ausbruch der Pandemie begonnen hatten, fällt auf: Alle drei Gruppen finden sich auch auf den Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen wieder. Das ist kein Zufall, stattdessen gibt es eine Reihe von ideologischen Überschneidungen. "Was sie gemeinsam haben, ist eine Ablehnung der offiziellen Darstellung von Dingen, staatlichen Strukturen und von Autorität", sagt Hümmler gegenüber dem STANDARD. Aber auch das Gefühl, alles ein wenig besser zu wissen, was sich auch im Begriff "Querdenker" widerspiegele.

Außerdem gebe es laut Schiesser eine Verklärung der Natur. In vielen Fällen würde ein "künstlicher Gegensatz zwischen 'der' Natur und der als negativ beschriebenen komplexen und globalisierten Welt geschaffen". Viele Menschen würden außerdem die Vergangenheit romantisieren. Grund dafür sei ein Gefühl des Kontrollverlusts, verstärkt durch die Pandemie.

Hinzu kommt, dass Rechtsextremisten und Rechtsradikale in den Corona-Protesten ein willkommenes Vehikel für die Verbreitung ihrer Weltanschauung gefunden haben. Sie sind maßgeblich für die Organisation von Demonstrationen und Kundgebungen mitverantwortlich. Ein Beispiel dafür sei laut Hümmler die AfD. In den ersten Monaten der Pandemie habe diese noch auf die Schließung der deutschen Grenzen gepocht und der Bundesregierung vorgeworfen, die Gefahren des Coronavirus zu verharmlosen. Im Laufe des Sommers 2020 legten sie dann eine Kehrtwende hin – um Covid-19 plötzlich als harmlos zu bezeichnen. Sie hatte bemerkt, dass das Protestpotenzial auf dieser Seite viel größer ist, sagt der Experte.

Soziale Medien

Die Etablierung von rechtsextremem Gedankengut in der "Querdenker"-Bewegung ist aber auch auf den Ort zurückzuführen, an dem sich diese organisiert: Telegram. Der Messenger steht schon seit längerer Zeit in der Kritik, als Sprachrohr radikaler Positionen zu fungieren, weil es keine Inhaltsmoderation gibt. Maßnahmenkritiker entdeckten den Messenger schon im April 2020 für sich und wechselten in Windeseile von Facebook zu ebendiesem. Neben privaten Chats gibt es dort die Möglichkeit, öffentliche Gruppen und Kanäle mit teils mehreren hunderttausend Mitgliedern zu erstellen.

Jedes von ihnen kann dort seine Meinung posten und erhält für Antworten eine Push- Benachrichtigung. Inhalte werden in deutlich höherer Frequenz veröffentlicht als zum Beispiel auf Facebook. Außerdem sind diese Gruppen keine geschlossenen Ökosysteme, sondern bieten die Möglichkeit des Cross-Postings. Es können also Videos, Sprachnachrichten oder Textbeiträge aus anderen Kanälen weitergeleitet werden. Schnell kann es so passieren, dass einem Botschaften rechtsextremer Aktivisten aufgetischt werden – selbst wenn man gar nicht nach solchen gesucht hat.

Skepsis in der Bevölkerung

Ein weiterer Grund für die weite Verbreitung der Impfgegnerbewegung sei laut Hümmler die hohe Wissenschaftsskepsis im deutschsprachigen Raum. Es gebe eine generelle Ablehnung von Wissenschaft und Technologien, was schlussendlich auch das Impfen betreffe. Grund für diese Skepsis sei unter anderem der große Einfluss von Anthroposophie, eine von Rudolf Steiner begründete spirituelle und esoterische Weltanschauung. Sie verbindet unter anderem christliche Mystik mit fernöstlichen Lehren und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen aus Steiners Lebzeiten.

"Wir haben anthroposophische Ärzte und Arzneimittel mit einem riesigen Marktanteil, von denen die meisten Leute gar nicht wissen, dass es anthroposophische Arzneimittel sind", sagt Hümmler. Es sei kein Zufall, dass es in den letzten Jahren immer wieder Masernausbrüchen an Waldorfschulen gab. An diesen wird nach der von Steiner gegründeten Waldorfpädagogik unterrichtet.

Psychologische Mechanismen

Dass Menschen überhaupt an Verschwörungen glauben, geht allerdings auf eine Reihe psychologischer Mechanismen zurück. "Man muss sich immer in Erinnerung halten, dass wir nicht logisch agieren. Grundsätzlich nicht", erklärt Schiesser. "Wir handeln und entscheiden aufgrund unserer Umgebung, bereits vorgefasster Meinungen und Emotionen."

Die "Querdenker"-Bewegung macht sich diesen Umstand zunutze – und stellt sicher, dass mit Redebeiträgen Bilder statt Fakten an die Zuhörer vermittelt werden. Das spiegelt sich auch in sozialen Medien wider, wo immer neue Horrorszenarien verbreitet werden, um die Angst des Publikums anzufeuern.

Verschwörungsgläubige würden laut Schiesser deshalb sehr häufig suchtartiges Verhalten zeigen, ununterbrochen am Computer sitzen und Videos anschauen. Akteure würden außerdem ein Gefühl à la "Wir gegen die da oben" vermitteln und komplexe Sachverhalte auf simple Zusammenhänge reduzieren: "Sich nicht impfen zu lassen wird nicht nur als ein Verweigern, sondern als aktives Symbol des Widerstands gesehen."

Für große Ereignisse brauchen wir große und einfache Erklärungen. Einer, aber nicht der einzige Grund, für den Erfolg der Verschwörungstheorien.
DER STANDARD

Wie mit Verschwörungsgläubigen sprechen?

Auf verschwörungsgläubige Familienmitglieder oder Freunde zuzugehen ist angesichts dieser Ausgangslage also ziemlich schwierig – und die Tipps im Buch "Fakt und Vorurteil" sind zumindest dann ernüchternd, wenn man auf der Suche nach unmittelbarer Veränderung ist.

Die Herangehensweise an ein Gespräch hängt grundsätzlich davon ab, wie tief das Gegenüber bereits im Verschwörungssumpf versunken ist. Handele es sich um eine Person, bei der sich die Falschinformationen noch nicht verfestigt hätten, müsse man mit Fakten kontern, erklärt Ulrike Schiesser. Es gehe darum, möglichst schnell dagegen zu argumentieren. Dabei sei es hilfreich, eine Reihe vertrauenswürdiger Quellen parat zu haben.

Bemerke man, dass der Gesprächspartner abblockt und ausweicht, mache eine Diskussion auf der Tatsachenebene hingegen kaum noch Sinn. Position zu beziehen und potenziell menschenverachtende Aussagen zu verurteilen ist natürlich weiterhin wichtig. Man sollte aber sicherstellen, die Diskussionsebene nicht vom Gegenüber bestimmen zu lassen, sagt die Expertin. "Ich würde eher auf eine persönliche Ebene wechseln und fragen: 'Was macht das jetzt mit uns beiden? Wir sind verschiedener Meinung, du wirst mich nicht überzeugen und ich dich nicht. Wie erhalten wir unsere Beziehung?'" Andererseits könne man nachfragen, was überhaupt als Beweis akzeptiert werden würde.

Antrieb und Motivation

Wichtig ist zudem: Was treibt eine Person an, die an Verschwörungserzählungen glaubt? Was würde sie verlieren, wenn sie sich von der Szene abwendet? Häufig verfallen Menschen dem Verschwörungsglaube, wenn sie auf der Suche nach mehr Kontrolle sind. Oder aber, weil sie hoffen, dass die Szene ihren Wunsch nach Zugehörigkeit erfüllt. Ein Patentrezept für eine erfolgreiche Herangehensweise an ein Gespräch gibt es aber leider nicht. Letztendlich müsse man sich laut Schiesser in Geduld üben. Aushalten, dass man die Situation nicht steuern kann. Und wissen: "Es geht auch anderen so wie mir." (Mickey Manakas, 9.1.2022)