Ganz ohne Zuneigung muss Novak Djokovic in Melbourne nicht auskommen.

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Was Günter Bresnik überhaupt nicht mag? "Extrawürste für berühmte Leute, das geht gar nicht." Der Entdecker und langjährige Betreuer von Dominic Thiem lehnt es zudem ab, von Niederösterreich aus Ferndiagnosen zu stellen. "Ich kenne die Interna nicht." Aber natürlich hat er zur Causa Novak Djokovic eine Meinung. Bresnik zeigt sich über die Handlungen des Serben irritiert. "Regeln sind zu akzeptieren." Er geht nicht davon aus, dass der Weltranglistenerste bei den Australian Open antreten darf. "Falls ja, wäre es fast schon wieder bewundernswert, sich den Pfiffen und Schmähungen des Publikums sowie den Shitstorms zu stellen."

Österreichs Tennislegende Thomas Muster hat rund 20 Jahre in Australien gelebt, der Steirer kennt die strengen Einreiseregeln, die strikten Gesetze, die harten Auflagen. "Sie gelten für alle. Die Bewohner von Melbourne waren wegen Corona monatelang im Lockdown. Und dann will ein wohl Ungeimpfter hier Tennis spielen, so eine Nummer kann man nicht bringen."

Der 54-jährige Thomas Muster kennt und lebte einst die sehr strengen Gesetze in Australien.
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Kein Gewinner

Herwig Straka ist Direktor des Wiener Stadthallenturniers und hat bei der Profiorganisation ATP eine Stimme, die durchaus gehört wird. "Es ist eine Schwäche des Tennis, dass es verschiedene Organisationen mit unterschiedlichen Regeln gibt." Wobei die Regel der Australian Open, die besagt, dass Ungeimpfte nicht mittun dürfen, so klar wie vernünftig sei. "Obwohl der Umgang mit Corona überall auf der Welt anders gehandhabt wird."

Auch Straka erwartet Djokovics Ausweisung, die Entscheidung der australischen Regierung soll am Montag fallen – nach Anhörung der Anwälte, sie wollen die Stornierung des Visums anfechten. "Alle Leute sollen gleich behandelt werden. Dürfte er doch antreten, wäre er sicher kein Gewinner, sondern ein großer Verlierer – auch wenn er den Titel holt." Es wäre übrigens Djokovics zehnter in Down Under.

Der 55-jährige Herwig Straka sieht in Djokovic keinen Sieger, sondern einen Verlierer, egal, was passiert.
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Tennis stehe, so Straka, wie kaum ein anderer Sport für Fairness. Außergewöhnliche Spieler und Spielerinnen seien globale Stars. "Nationalismen sind maximal beim Daviscup ein Randthema. Djokovic hat Gräben aufgerissen, sich unkollegial der Konkurrenz gegenüber verhalten." Muster schränkt allerdings ein, dass es auch früher "Feindbilder gebeben hat – aus andern Gründen. Aber ein Ivan Lendl oder ein John McEnroe waren nicht wirklich beliebt."

Bresnik hält Djokovic für "einen prinzipiell vifen Menschen. Man soll ja Regeln durchaus hinterfragen. Wenn man sie nicht akzeptiert, kann man gewisse Dingen eben nicht tun. Dann muss man persönliche Konsequenzen ziehen und daheim bleiben." Der Angereiste hätte ja, so Bresnik, ein Attest vorlegen können, "das ihn aus medizinischen Gründen von der Impfung befreit" – sofern es eines gibt. "Aber ich kenne die Interna nicht."

Bresnik, Muster und Straka sind sich absolut einig, dass Papa Djokovic mit seiner Aussage, seinem Sohn ergehe es wie dem gekreuzigten Jesus, die Grenze zum Absurden überschritten hat. Muster: "So wird der Schaden noch größer, obwohl man für seinen Vater nichts kann."

Der 60-jährige Günter Bresnik rät Djokovic, persönliche Konsequenzen zu ziehen, also heimzufahren.

Der 34-jährige Djokovic ist 20-facher Major-Sieger, hat also gleich viele Titel wie der Schweizer Roger Federer und der Spanier Rafael Nadal. Die beiden werden wahrscheinlich nicht mehr zulegen, Djokovic hingegen ist eine Erweiterung durchaus zuzutrauen. Bresnik sagt: "Er wird wohl der erfolgreichste Spieler sein, aber nicht der größte. Zur Kultfigur schafft er es nicht." Straka ergänzt: "Zum Besten aller Zeiten gehört auch die passende Persönlichkeit. Das Verhalten abseits des Platzes. Er ist nie auf einer Ebene mit Federer."

Kein Entkommen

Aus der Melbourne-Nummer kommt Djokovic vermutlich nicht mehr heraus. Mögen Wunden auch heilen, diese Narben, das sind sich die Experten einig, wird er nicht mehr los. Er bleibt immerhin ein Held in Serbien, dort ist die Zuneigung sogar ins Utopische gewachsen. Muster hat generell ein Problem damit, "wenn der Sport verpolitisiert wird".

Boris Becker hat sich im ebenfalls geäußert. Nicht im STANDARD, sondern in einem Gastbeitrag in der englischen Zeitung Daily Mail. "Als sein ehemaliger Trainer stehe ich Novak Djokovic so nahe, dass ich ihn fast als Familie betrachten würde. Aber wie in jeder Familie gibt es manchmal Meinungsverschiedenheiten. Und in diesem Fall denke ich, dass er einen großen Fehler begeht, wenn er sich nicht impfen lässt."

Es soll übrigens auch der tschechischen Doppelspezialistin Renata Voracova das Visum entzogen worden sein. Die 38-Jährige ist im selben Hotel wie Djokovic untergebracht.

Thomas Muster wird irgendwann wieder Australien besuchen – nach der Pandemie. "Und unter Einhaltung der strikten Gesetze." (Christian Hackl, 7.1.2022)