Markus Gstöttner und Stefan Wallner treten öffentlich kaum in Erscheinung. Und doch bestimmen sie das Leben in Österreich entscheidend mit.

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Stefan Wallner, der unbekannteste unter den mächtigsten Grünen im Land, läuft zu seinem Schreibtisch und kramt unter ein paar losen Zetteln einen alten Zeitungsartikel hervor: "Genau darum geht es", ruft er und deutet auf den Titel einer Kolumne. "Zählt das Erreichte oder reicht das Erzählte?", lautet er. Seit Wallner die Zeile vor einem Jahr in den Oberösterreichischen Nachrichten gelesen hat, ärgert er sich, dass sie ihm nicht selbst eingefallen ist. Aufmerksame politische Beobachter kennen den Spruch inzwischen trotzdem nur zu gut: Auch der Vizekanzler zitiert ihn gerne.

Das ist kein Zufall; Wallner ist Werner Koglers wichtigster Einflüsterer und Exekutor. Als Kabinettschef von Kogler laufen alle wichtigen Themen über seinen Tisch, er managt die grünen Regierungsmitarbeiter und koordiniert sich mit den türkisen. Gleichzeitig ist Wallner der Spindoktor im Backstage der Ökopartei. Er überlegt sich, wie sich die Grünen in welcher Frage konkret positionieren sollen. Für manche in der ÖVP gilt Wallner deshalb seit einigen Wochen als Königsmörder – als jener Mann, der Sebastian Kurz zu Fall gebracht hat, indem sich die Grünen weigerten, unter ihm weiter zu regieren. "Blödsinn, das haben sich die handelnden Personen schon selbst zuzuschreiben", sagt Wallner gelassen. Aber auch er streitet nicht ab, in Verhandlungen mit der ÖVP immer wieder den Bad Cop zu geben. Insgeheim gefällt er sich auch ein bisschen in dieser Rolle. "Ich bin ganz sicher nicht konfliktscheu." Wallner (50) trägt einen schwarzer Rollkragenpullover und einen weißen Vollbart, er grinst.

Partner und Gegenspieler

Szenenwechsel ins Kanzleramt. Markus Gstöttner, einer der wenigen Kurz-Vertrauten, der am Ballhausplatz verblieben ist, nimmt in einem nüchternen Besprechungsraum Platz. Kanzler Karl Nehammer hat den 35-Jährigen gerade zu seinem Kabinettschef befördert. Er ist Wallners türkises Gegenüber. Man könnte sagen: Die beiden sind die Verbindungsmänner der Koalition im Hintergrund – oder auch Gegenspieler, die Vorhaben des Koalitionspartners ausbremsen können.

Gstöttner und Wallner besetzen zentrale Schaltstellen in der türkis-grünen Regierungsmaschinerie, treten aber öffentlich kaum in Erscheinung. Wer sind die beiden Männer also? Und wie wird das Verhältnis der beiden das Klima in der neu zusammengesetzten Koalition prägen?

Stefan Wallner (50), Die Grünen Kabinettschef von Vizekanzler Werner Kogler. Gilt als Spindoktor und strategischer Strippenzieher der Grünen. Wallner hat zuvor in der Erste Group als Marketing- und Kommunikationschef gearbeitet. Zwischen 2009 und 2016 war er Bundesgeschäftsführer der Grünen unter Parteichefin Eva Glawischnig. Die Welt der ÖVP ist Wallner nicht fremd. Er wuchs in einer katholischen Familie in Graz auf, mit nur 28 Jahren wurde er Generalsekretär der Caritas.
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Gstöttner, Hemd, Anzughose, schwarze FFP2-Maske, öffnet eine Wasserflasche, aber trinkt keinen einzigen Schluck. Er gilt als korrekt, diszipliniert, smart und etwas spröde. Ganz gewiss ist Gstöttner ein Pragmatiker. Natürlich habe die Koalition in den vergangenen Wochen und Monaten einige Kratzer und so manche tiefe Wunde abbekommen, gibt er zu. "Aber da muss man jetzt drüberstehen", sagt er. "Negative Emotionen muss man akzeptieren, aber es ist auch Teil meiner Aufgabe, dass sie nicht im Zentrum stehen."

Türkis-grüne Verletzungen gab es zuletzt vor allem zwei: Die erste, die ganz große, geschah rund um den Abgang von Kurz. Nach den Hausdurchsuchungen in der ÖVP-Zentrale und im Kanzleramt hatten die Grünen ihrem Koalitionspartner de facto ein Ultimatum gesetzt: Entweder der belastete Kanzler geht, oder die Zusammenarbeit ist vorbei. Kurz trat zur Seite und wechselte in den Parlamentsklub, der Groll vieler Türkiser aber blieb: Eine 14-Prozent-Partei hatte ihr größtes Talent weggeputscht, so die Denke. Und einer der Strippenzieher hinter der grünen Taktik war Wallner.

Die zweite Verletzung, der zweite Teil der türkis-grünen Entkopplung, passierte Mitte November am Tiroler Achensee. Der damalige Kanzler Alexander Schallenberg, ebenfalls ein Kurz-Vertrauter, fuhr zu dem dortigen Treffen der Landeshauptleute, überzeugt, dass ein Lockdown für Geimpfte nicht infrage kommt. Die Grünen hatten zu dieser Zeit schon tagelang auf scharfe Corona-Maßnahmen gedrängt. In den internen Verhandlungen war es auch hier wieder Wallner, der den Harten gab. "Er ist ein Corona-Hardliner", sagt selbst ein Grüner, der ihn gut kennt. Der Lockdown kam. Schallenberg ging kurz darauf.

Grüne Trendumkehr

Zählt das Erreichte oder reicht das Erzählte? Diese rhetorisch gemeinte Frage gefällt Wallner wohl auch deshalb so gut, weil sie umschreibt, was seine Aufgabe bei den Grünen war und ist. Als er im Juni 2020 in Koglers Kabinett geholt wurde, galt seine Partei als die heillos unterlegene in der ungleichen Koalition – und Wallner sollte die Trendumkehr mitgestalten.

Es ist noch nicht lange her, da mussten sich die Grünen ständig die Frage gefallen lassen, wofür es sie in dieser Regierung denn überhaupt braucht. Die maue Antwort lautete dann zumeist: damit die Justiz in Ruhe arbeiten könne, und irgendwann werde doch auch die ökosoziale Steuerreform präsentiert. Heute sehen sich die Grünen als jene, die mehr erreicht haben, als sie sich selbst einst erhofften. Von Kurz bleibe hingegen vor allem viel heiße Luft, das Erzählte.

Eigene politische Ambition

Gstöttner sieht das naturgemäß anders, er würde niemals ein schlechtes Wort über den Altkanzler verlieren. Lange Zeit galt er als der Letzte, der es in den Inner Circle von Kurz geschafft hat. Und dieser innere türkise Zirkel bestand aus jungen, loyalen, fleißigen Männern. Was Gstöttner von den anderen unterscheidet, ist seine eigene politische Ambition. Im Jahr 2020 zog er in den Wiener Gemeinderat ein. Sein Mandat hat er auch jetzt nicht aufgegeben, trotz 24/7-Job im Kanzleramt. "Eigentlich wollte ich schon immer in die Politik", sagt Gstöttner. Dabei lief seine Karriere lange Zeit in eine andere Richtung.

Der Wiener maturiert im elitären Schottenstift-Gymnasium, studiert Wirtschaft in London. Dann heuert er bei McKinsey an, einem der bekanntesten Unternehmens- und Strategieberatungsunternehmen der Welt. Schon damals interessiert Gstöttner die Schnittstelle zwischen Entwicklungsarbeit und Politik. Er arbeitet in Pakistan, stellt im Libanon ein Pro-bono-Projekt auf die Beine, das syrischen Flüchtlingskindern Bildung ermöglichen soll. Zur ÖVP findet er so richtig erst durch Kurz – aber "christlich-sozial", das sei sein Wertefundament. Deshalb sei für ihn auch nie eine andere Partei infrage gekommen.

Was ihn mit Wallner verbinde? "Die Leidenschaft für Politik", sagt Gstöttner. Worin er sich von ihm unterscheide? Er überlegt, tippt mit den Fingern auf dem Tisch, das könne er gar nicht so einfach beantworten. "Ich komme eher aus der inhaltlichen Schiene, er hat mehr eine Doppelrolle aus Presse und Inhalt."

Als Gstöttner in den Kindergarten kommt, wendet sich seine Pädagogin nach ein paar Wochen mit einer Befürchtung an seine Mutter: Er möge sie nicht. Gstöttners Mutter beruhigt die Frau. Der Markus schaue einfach ernst, wenn er nachdenkt. So sei das bis heute, bestätigen frühere Arbeitskollegen. Gstöttner sei konzentriert und präzise, selten humorig im Job. Ganz anders als Wallner, der gerne und viel lacht und redet. Man kann getrost sagen: Die beiden wichtigsten Regierungsmitarbeiter auf türkiser und grüner Seite könnten unterschiedlicher kaum sein.

Gstöttner und Wallner kennen einander inzwischen seit vielen Monaten – aber eigentlich nicht gut. Bis Nehammer Kanzler wurde, war Bernhard Bonelli, ein guter Freund Gstöttners, der türkise Kabinettschef im Kanzleramt und damit Wallners Gegenüber. Gstöttner fungierte zu dieser Zeit als Bonellis Stellvertreter, war aber vor allem mit wirtschaftlichen Sachthemen befasst. Bonelli galt hingegen als engster Kurz-Intimus und entsprechend einflussreich.

Nach der Ära Kurz hat in der ÖVP aber eine Machtverschiebung stattgefunden. Oder, wie Wallner es nennt: "Rund um den Achensee wurde die Pyramide auf den Kopf gestellt." Er meint damit: Beim Treffen an dem Tiroler Gewässer haben die schwarzen Landeshauptleute das Ruder wieder an sich gerissen. Die ÖVP wird nun nicht mehr streng von einem kleinen Zirkel in Wien geführt; es gibt mehrere Machtzentren, Debatten werden breiter geführt. Kurzum: Der Job des Kabinettschefs im Kanzleramt hat sich verändert. Gstöttner muss mehr vermitteln als anschaffen.

Hase mit Tigermaske

In Wallners Büro hängen zwei Bilder der Wiener Künstlerin Deborah Sengl. Auf einem ist ein männlicher Körper mit Anzug, Krawatte und Hasenkopf abgebildet. Der Anzug-Hase sitzt auf einer Stiege und greift sich zweifelnd an die Stirn. Er sieht aus, als sei er gerade aus einem beruflichen Meeting gekommen. Mit seiner rechten Hand hält er eine Tigermaske mit fletschenden Zähnen, die er abgenommen hat. Es ist Wallners Lieblingsbild von Sengl. Sich selbst sehe er darin nicht.

Die Rolle Wallners hat sich zuletzt gewandelt. Das Thema Corona hat er im November – nach den heftigen koalitionsinternen Konflikten um den Lockdown – abgegeben. Er konzentriere sich nun auf andere wichtige Projekte. Manche munkeln, er sei um des lieben Koalitionsfriedens willen nicht mehr mit der Causa prima befasst. Wallner selbst bestreitet das. In besonders haarigen Verhandlungssituationen steige er im Fall auch wieder ein. "Wir haben nicht viele Managertypen bei den Grünen", sagt ein Grüner. "Der Stefan ist einer."

Die Welt der ÖVP ist Wallner nicht fremd. Er wächst in einer katholischen Familie in Graz auf, studiert Geschichte und Politikwissenschaften in Wien. Mit 28 Jahren wird er Generalsekretär der Caritas, der weitverzweigten Hilfsorganisation der katholischen Kirche. Wallner ist bis heute stolz, wie er und Präsident Franz Küberl die Caritas damals unter Schwarz-Blau positioniert hatten: als "die unerschrockene Anwältin für sozial Schwache und Menschenrechte", wie er sagt.

Markus Gstöttner (35), ÖVP Kabinettschef im Kanzleramt, seit Karl Nehammer Kanzler ist. Davor war er stellvertretender Kabinettschef unter Sebastian Kurz. Gstöttner galt lange Zeit als der Letzte, der in den Inner Circle von Kurz aufgenommen worden war. Seit 2020 ist er auch Abgeordneter im Wiener Gemeinderat. Manche sagen Gstöttner größere politische Ambitionen nach. Bleibt ihm Freizeit, macht er Qigong oder beschäftigt sich mit Elektro und Hip-Hop.
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Von dort wechselt Wallner direkt als Bundesgeschäftsführer zu den Grünen. Einer Partei, die er zwar immer gewählt habe, wie er beteuert, für die er davor aber nie aktiv war. 2017 vollzieht er erneut einen überraschenden Wechsel: ins schwarze Bankwesen, zur Erste Group. Dort ist er Kommunikationschef – bis die Grünen ihre erste Regierungsbeteiligung besiegeln. Wallner wird zuerst Generalsekretär im Gesundheitsministerium, nach wenigen Wochen dann zu Kogler befördert.

Aber auch Gstöttner ist nicht so geradlinig, wie er auf den ersten Blick wirkt. In der Schule trägt er Baggy Pants und hört Hip-Hop. Schon früh in seiner Jugend und bis heute beschäftigen ihn Fragen der Gerechtigkeit und wie sie politisch zu verwirklichen ist. Zur Entspannung praktiziert Gstöttner die chinesische Bewegungsform Qigong. Und er spricht fließend rückwärts.

Es heißt, Kanzler Nehammer und Vizekanzler Kogler haben einen guten Draht zueinandergefunden. Das Verhältnis sei vertrauensvoll – trotz allem, was zuletzt passiert ist. Aber die Stimmung in einer Koalition lebt nicht nur vom Umgang der Chefs miteinander, sondern auch von den Verbindungen, die Regierungsmitarbeiter auf beiden Seiten pflegen. Wie also stehen Gstöttner und Wallner zueinander? Das Zusammenspiel der beiden Vorverhandler in den relevantesten politischen Fragen wird schließlich auch ein Gradmesser für die neu zusammengesetzte Koalition sein.

Altersunterschiede

Auf die Frage reagieren beide zurückhaltend. Man kenne einander noch nicht so gut, die enge Zusammenarbeit habe gerade erst begonnen. Gstöttner und Wallner telefonieren – zumindest derzeit – nicht täglich, sondern nur punktuell, wenn Inhaltliches abzuklären ist. Am Dienstag koordinieren sich die beiden, um den Ministerrat am Mittwoch vorzubereiten, an dem beide teilnehmen. Am Donnerstag findet ein gemeinsames Planungsmeeting statt, in dem anstehende Themen besprochen werden.

Ein großer Unterschied sei schon auch das Alter, sagt Wallner. Er selbst wolle über seine aktuelle Aufgabe hinaus nichts mehr werden in der Politik, irgendwann in den NGO-Bereich zurückkehren. Wallner habe dadurch im jetzigen Job auch nichts zu verlieren, hält er fest. Man könnte es fast als Warnung verstehen. Gstöttner hingegen trauen einige auch aktivere Ämter zu – vielleicht sogar den Wechsel in die erste politische Reihe. "Das müssen andere entscheiden", sagt Gstöttner.

Das zweite Bild von Deborah Sengl, das in Wallners Büro hängt, zeigt übrigens einen Menschen im Anzug, der anstelle eines Kopfes eine Blüte trägt. Sengl hat eine ganze Serie mit ähnlichen Motiven entworfen. Dieses hat Wallner bei ihr in Auftrag gegeben. Der Blütenkopf ist türkis. Das Werk trägt den Titel: Narzisse. Du bist ganz schön eitel! Ein Schuss Selbstironie und Humor seien auch in der Politik unabdingbar, sagt Wallner. "Man darf sich nicht zu wichtig nehmen. Das ist immer der Anfang vom Ende." (mika, 9.1.2022)