Von der Leyen und Macron: die beiden Machtvollen in der Europäischen Union.

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Präsident Emmanuel Macron scheut kein Pathos, keine noch so große Geste, wenn es darum geht, den französischen Bürgern und dem Rest der Welt seine Begeisterung für europäische Politik und für – das gemeinsame – Europa zu demonstrieren. So war es am Abend seines Wahltriumphs im Mai 2017, als er vor dem Louvre in Paris unter den Klängen der Europahymne Ode an die Freude die Bühne betrat, nicht zur Nationalhymne Marseillaise. Und so war es auch am Freitag, nachdem das liberale Staatsoberhaupt und seine Regierung die gesamte EU-Kommission mit ihrer Chefin Ursula von der Leyen in Paris zu einem Arbeitsbesuch empfangen hatte.

Was eigentlich Auftakt für den mit konkreten Projekten übervollen französischen EU-Vorsitz war, sollte als Fanal für einen neuen Aufbruch der EU verstanden werden, "eine Renaissance", die der Präsident einfordert. Dafür scheint ihm jetzt – nach dem abgeschlossenen Brexit – die Zeit gekommen. Europa müsse sich darauf einstellen, in einer Welt zu leben, in der es "hart und brutal zugeht", in Konkurrenz zu den USA, zu China, zu neuen Weltmächten, heißt es in der französischen Regierung. Es gehe nicht nur um den Kampf gegen Klimawandel, für eine Energiewende, bei einem digitalen Wandel, der alles auf den Kopf stellen wird, sagt ein Schlüsselminister. Es gehe um Macht in der Welt, Europa sei diesbezüglich zu lange "zu naiv und zu defensiv gewesen".

Die Machtfrage

Der Präsident habe all das "ins Auge gefasst." Das sei der Grund, warum die EU-Staaten, alle gemeinsam, aber natürlich mit Frankreich als besonderem Impulsgeber, handeln müssten, eine neue eigene "europäische Souveränität" finden müssten. Nur wer Macht habe in der Welt, sei auch in der Lage, sein Lebens- und Gesellschaftsmodell, auch den Sozialstaat, zu verteidigen und durchzusetzen.

Macron zielt auf eine weitere Vertiefung der Europäischen Union ab. Nicht weniger als 400 Treffen auf EU-Ebene wird es in den sechs Monaten der EU-Präsidentschaft geben: "Wir wollen das zu einem nützlichen Moment für Europa machen", formuliert er es, "viele konkrete Projekte umsetzen". Mehr Energieeffizienz im Transportsektor und bei der Gebäudesanierung nennt er ebenso als Beispiele wie den Beschluss des strategischen Kompasses bei einem Militärgipfel im Juni.

Aber der Präsident macht auch klar, dass es eben nicht nur um die vielen Beschlüsse im Detail gehe, etwa in der Migrationspolitik, die für normale Bürger wegen der Komplexität der Themen oft kaum verstehbar sind – er bereitet sich auf größere Schritte vor, das "Regierungshandeln" auf europäischer Ebene müsse viel besser werden: nicht zuletzt, um den fundamentalen Umbau der Wirtschaft und neues Wachstum hinzukriegen.

Empfang vor dem Pantheon

Für Ursula von der Leyen, die mächtigste Frau der EU, hatte sich Macron daher etwas Besonderes einfallen lassen. Er empfing die Deutsche am Freitag vor dem Pantheon, um an zentrale Weichenstellungen zu erinnern, die für Europa von Paris ausgingen. Dort hat die Republik die bedeutendsten Persönlichkeiten ihrer Geschichte aufgebahrt. Rechts und links des Portals prangten Porträts von Jean Monnet und Simone Veil.

Monnet war jener französische Weltmann, der als Vater der Schuman-Erklärung gilt, jenem Grundlagenpapier, das durch deutsch-französische Zusammenarbeit im Bereich Kohle und Stahl den Grundstein der Versöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg und zur Schaffung der heutigen EU legte.

Veil war eine Ikone moderner französischer Politik. Sie hatte den Holocaust überlebt, wurde 1979 erste Präsidentin eines direkt gewählten Europäischen Parlaments. Seite an Seite haben Monnet und Veil ihre letzte Ruhestätte gefunden. Von der Leyen und Macron legten ein Blumengebinde nieder. Danach forderte Macron im Élysée-Palast eine weitere Säule der Politik in einer erneuerten Union ein: Ein "genuines europäisches Sozialmodell müssen wir entwickeln, mehr Gleichheit zwischen Frauen und Männern".

Dass all diese Pläne in den französischen Präsidentschaftswahlkampf passen, nimmt Macron gerne mit. Offiziell hat er seine Wiederkandidatur noch nicht deklariert. Aber es war dieser Tage absehbar, dass er bis zum ersten Wahlgang im April eine Art Zwei-Fronten-Politik führen wird, muss und auch will. (Thomas Mayer aus Paris, 7.1.2022)