In Robert Ickes "Die Ärztin" steht der Ruf des Instituts auf dem Spiel – es ist den Gesichtern anzumerken.

Foto: Marcella Ruiz Cruz

Der Streit um Überschreitung von Kompetenzen gerinnt in einer TV-Sendung zu einer Verurteilung.

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Wien – Professor Ruth Wolff, Institutsleiterin und behandelnde Ärztin eines im Sterben liegenden 14-jährigen Mädchens, verwehrt dem zur Krankensalbung erschienenen Pfarrer den Zugang. Das Kind stirbt – und fortan stehen medizinische gegen Glaubensfragen.

Arthur Schnitzler hat diesen Konflikt im 1912 uraufgeführten Stück Professor Bernhardi unter antisemitischen Gesichtspunkten und mit rein männlichem Figurenpersonal ausgerollt. Über hundert Jahre später ist nun – in einer Neufassung durch den Briten Robert Icke – aus Bernhardi eine Frau und sind die politischen Narrative noch vielfältiger geworden. Premiere in Ickes Regie war am Freitag im Burgtheater.

In Die Ärztin, so der nunmehrige Dramentitel, stellt sich eine weiße, säkular jüdische Frau einem schwarzen katholischen Priester in den Weg. Aber es sind noch mehr der Zuschreibungen, die hier Trennlinien ziehen. Das in einem Fachinstitut für Demenzerkrankung angesiedelte Stück zeigt Gräben auf, die zwischen gesellschaftlichen Gruppen liegen und trifft damit haarscharf hinein in aktuelle Debatten um Zugehörigkeit und Ausgrenzung, seien sie rassistisch, religiös oder der sexuellen Identität wegen motiviert.

Scharf schießen

Die diverse Besetzung am Burgtheater mit ungewöhnlich vielen Gästen im Ensemble – darunter Ernest Allan Hausmann, Zeynep Buyraç oder Sandra Selimović – bildet eine deutlich weniger homogene Welt ab, als es am Stadttheater samt seinem Stückekanon für gewöhnlich der Fall ist. Das Premierenpublikum war allzeit konzentriert und am Ende hörbar begeistert.

Robert Icke, für seine Klassikerneudichtungen im deutschen Sprachraum seit Jahren bekannt, spürt dem süffisant-zynischen Esprit aus Schnitzlers Original hinterher (deutsche Übersetzung: Christina Schlögl) und gibt der deutschsprachigen Erstaufführung auch Raum für (meist aggressiven) Witz. Insgesamt tummeln sich hier weniger Hofräte und Amtsdiener, dafür mehr PR-Leute und Privatmenschen. Professor Ruth Wolff (dunkel und ernst: Sophie von Kessel) teilt ihre Sorgen daheim regelmäßig mit einem Nachbarskind (Maresi Riegner) sowie ihrer Lebensgefährtin (Selimović).

In einem von farblosen Wänden eingefassten Bühnenoval mit mittig einem langen Tisch und Bänken (Bühne: Hildegard Bechtler) nimmt sich Die Ärztin von Anfang an wie ein Gerichtsdrama aus. Mit Meinungen und Einwänden wird scharf geschossen; man fällt einander oft ins Wort. Icke dreht im Dienste einer aufgeheizten Stimmung stetig am Tempo. Wie gestresst diese Ärzte sind – sogar ohne Pandemie! Da spürt man stellenweise leider auch ein allzu angestrengtes Bemühen darum.

Weiße sind schwarz

Und doch: In diesem Hick-hack der Überzeugungen und Ängste – schließlich steht der Ruf des Instituts und damit das Geld der Mäzene auf dem Spiel – konturieren die Schauspieler gerissene Parts: Ernest Allan Hausmann markiert als Professor Cyprian einen flamboyanten, eilig sich in Richtung Herzinfarkt manövrierenden Doktor und panischen Institutsmitbegründer, der prächtig schreit und ausrastet. Gunther Eckes verleiht dem katholischen Eiferer Dr. Murphy eine zwänglerische Note; seinen aufgeklärten Gegenspieler gibt Bless Amada, der in einem soziologischen Redeanfall gegen Ende hin darlegt, wie Attribuierungen heutzutage instrumentalisiert werden.

Apropos Attribuierungen. Ickes Inszenierung kommentiert die Politik der Zuschreibungen (Geschlecht, Ethnie, Religion, sexuelle Orientierung usw.) ein weiteres Mal auf der darstellerischen Ebene. Über weiße Schauspieler wird behauptet, sie seien schwarz (Philipp Hauß als Pfarrer), schwarze sprechen von sich als weiße, und ohne Umschweife spielt Schauspielerin Zeynep Buyraç Ruth Wolffs institutsinternen Rivalen Professor Roger Hardiman. Ein nonbinärer Mann?

Quasseln mit Pointe

Damit gibt Icke auch der Wer-darf-wen-darstellen?-Debatte am Theater Stoff. Denn analog zur Frage im Stück, ob nur ein katholischer Arzt eine katholische Patientin behandeln dürfe – dies wird mit dem Vergleich, nur dicke Ärzte sollen dicke Patienten behandeln ad absurdum geführt – entfesselt der Regisseur ein darstellerisches Verwirrspiel, in dem am Ende keiner mehr genau weiß, wer jetzt männlich, muslimisch, weiß oder sonstwas ist. Das geht bestens auf.

Als letzte Pointe in dieser insgesamt überaus quasseligen Auseinandersetzung, die ihren Tiefpunkt in einer künstlich zugespitzten Fernsehshow-Szene hat, trägt die Pressesprecherin des Instituts, Rebecca, einen sandfarbigen Herrenanzug und sieht exakt aus wie Burgschauspieler Bardo Böhlefeld. Arthur Schnitzler könnte all das wohl nicht fassen, doch bildet sein Drama unverkennbar den Glutkern dieses neuen Stücks. (Margarete Affenzeller, 8.1.2022)