Wird es umgesetzt, droht das Regierungsvorhaben ein Verwaltungsmonstrum zu werden. Die eingeschränkten Impfpflichten in anderen EU-Ländern scheinen zielführender, sagt der Kulturwissenschafter Christoph Landerer im Gastkommentar.

Es gelten weiterhin strenge Maßnahmen. Auch an der Impfpflicht ab Februar hält der Gesundheitsminister fest.
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Es könnte ein Abschied auf Raten von der allgemeinen Corona-Impfpflicht werden. Kurz vor dem Ende der Begutachtungsfrist am 10. Jänner hat die für die Erfassung von Gesundheitsdaten zuständige Elga Gmbh eine lange Liste mit Einwänden gegen den Gesetzesentwurf übermittelt. Die Stellungnahme bemängelt inkonsistente Passagen, listet Aufgaben auf, die "nicht umgesetzt" werden können, weil sie zu "monatelangen Verzögerungen" führen würden, und erklärt sich außerstande, die vorgesehenen Ausnahmen von der Impfpflicht vor dem 1. April zu administrieren.

In die Erstellung des Gesetzestextes eingebunden war die Elga nach eigenen Angaben nicht. Davor hatte bereits die IT-Abteilung der Sozialversicherungen Zweifel an der Umsetzbarkeit mit 1. Februar angemeldet, ihre Sorge galt der "ungewöhnlich hohen Zahl von Verfügungen" durch die Bezirksverwaltungsbehörden angesichts der Masse der Impfverweigerer. Die Diskussion des Regierungsvorhabens ist damit um einige Facetten reicher – bereits die bisherigen Bedenken waren allerdings durchaus gewichtig.

Strengere Kontrollen

Eine allgemeine Impfpflicht kann, auch nach Auffassung der WHO, nur die Ultima Ratio, nach Ausschöpfung sämtlicher anderer Mittel, sein. Doch die Bundesregierung wird nicht damit argumentieren können, dass alles unternommen wurde, um dieses ultimative Mittel zu vermeiden. Zwar wurde Verordnung um Verordnung erlassen, doch effektiv durchgesetzt wurde wenig. Wer etwa Anfang Dezember in Athen war, hat ohne gescannten grünen Pass plus amtlichem Lichtbilddokument kein Glas Wein in einer Taverne, keinen Bissen Brot in einem Restaurant, keine Waren in Läden außerhalb des Supermarktsortiments bekommen. Nun will die Regierung offenbar auch in Österreich strengere Kontrollen verfügen – ab 11. Jänner.

Auch die Maßnahmen zur Hebung der Impfquote waren nicht von einer Art, die die Unausweichlichkeit einer Ultima Ratio argumentierbar macht. Die eigentliche Impfkampagne ist irgendwann im Sommer versandet, eine koordinierte Debatte über den richtigen Mix von Anreizen und Sanktionen fand nicht statt – die burgenländische Impflotterie war bereits der Gipfel der Kreativität. Dass eine starre Drohkulisse ab 1. Februar, mit Frist bis 15. März und einer kontroversen Diskussion davor, die Impfbereitschaft unter Skeptikern hebt, ist eher nicht anzunehmen. Zwar könnte sie einen gesichtswahrenden Ausweg aus einer eingefleischten Verweigerungshaltung bieten, aber sie liefert auch den Fehlanreiz, die Sache erst einmal abzuwarten.

"Monetäre Impfanreize sind ein Booster für Impfquote und Wirtschaft."
Wirtschaftsanwalt Robin Lumsden spricht sich im Gastkommentar für eine Impfprämie aus

Ausweg aus dem Dilemma

Einen Ausweg aus dem Dilemma hat die Stellungnahme der Elga skizziert: Sie schlägt ein Anreizsystem in Form von Gutscheinen vor, die allen Drittgeimpften bis zur tatsächlichen Umsetzbarkeit zugutekommen sollen – der Vorschlag erreicht freilich jene nicht, die bisher gar keine Impfung erhalten haben, für sie ist ein Drittstich im April unerreichbar. Das Problem aller Anreizmodelle ist der Faktor Zeit: Rasch hilft nur die Booster-Impfung, grundsätzlich Impfwillige müssen so zeitnah wie möglich zum Drittstich gebracht werden. Anreizmodelle sollten daher degressiv gestaltet, Sanktionen progressiv verfügt werden. Eine Zahlung sollte sich also stufenweise verringern, eventuelle Strafmaßnahmen müssten analog gesteigert werden. Ein Zuwarten wird auf diese Weise unattraktiv.

Damit zum zentralen Problem des Gesetzesentwurfs, dem fragwürdigen Zeitschema der Initiative und der mangelnden zeitlichen Planbarkeit der Maßnahmen überhaupt. Die allgemeine Impfpflicht ist ein klarer Fall von "too much, too late", die Omikron-Mutante hat dieses Problem verschärft. Der Entwurf argumentiert mit dem "Schutz der Gesundheitsinfrastruktur", nennt aber auch generell eine "Minimierung" der Virusverbreitung als Ziel. Eine Minimierung ist freilich immer wünschenswert, taugt aber kaum als Argument für einen Eingriff in Grund- und Freiheitsrechte, die Gesundheitsinfrastruktur wird im Hochsommer, also dann, wenn die Auffrischungsimpfung greift, sehr wahrscheinlich nicht gefährdet sein. Da aus heutiger Sicht, auf Basis der aktuell verfügbaren Impfstoffe und bezogen auf die bereits dominante Omikron-Variante, nur der Drittstich eine hohe Wirkungsrate hat, ist die Verhältnismäßigkeit der vorgelagerten Impfungen schwer zu argumentieren, ein angepasster Impfstoff wiederum wird erst ab etwa Mai einsatzfähig sein. Verfügt werden soll die Impfpflicht aber mit den bestehenden Impfstoffen ab Februar.

Ein Verwaltungsmonstrum

Sollte die Pandemie nach der aktuellen Omikron-Welle schließlich überhaupt abebben wie von einigen Epidemiologen erwartet, wird die Impfpflicht wenig mehr sein als ein Verwaltungsmonstrum mit zu spät einsetzenden Effekten. Gerald Gartlehner hat bereits anklingen lassen, dass eine Impfung vulnerabler Gruppen dann genügen könnte. Andere europäische Länder wie Griechenland, Tschechien (jeweils über 60) oder Italien (über 50) verfügen lediglich eingeschränkte Impfpflichten; diese sind rechtstechnisch leichter umsetzbar und leichter zu administrieren. Österreich ist die einzige westliche Demokratie, die ein konkretes Gesetzesvorhaben über eine allgemeine Impfpflicht für alle über 14 Jahren auf den Weg zu bringen versucht – und investiert damit eine gewaltige Energie in eine Maßnahme, die schon deshalb zu spät einsetzen wird, weil das Vorhaben ohne enormen juristischen und administrativen Aufwand nicht umgesetzt werden kann.

Ein Ausweg aus der Misere wäre der Beschluss eines "Rahmengesetzes" ohne konkrete Fristen. Das käme einem Begräbnis erster Klasse für die Impfpflicht gleich. Sollte es so kommen, wird die Devise lauten: Außer Spesen nichts gewesen. (Christoph Landerer, 10.1.2022)