Abgeschlagenheit, Müdigkeit und kognitive Störungen zählen zu den häufigsten Long-Covid-Symptomen.

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Die Zeichen stehen auf Durchseuchung, das ist ein Paradigmenwechsel in der Pandemiebekämpfung. Zwar sagen Virologinnen und Epidemiologen schon lange, dass sich irgendwann jeder infizieren wird. Aber das Tempo sollte durch Maßnahmen eingebremst werden, um das Gesundheitssystem zu schützen.

Weil durch Omikron wohl weniger Infizierte ins Krankenhaus müssen, sei eine Durchseuchung ohne Überlastung des Gesundheitssystems leichter möglich, so die Argumentation hinter dem Strategiewechsel. Das sei allerdings zu kurz gedacht, findet Neurologe Michael Stingl. Denn die Langzeitfolge Long Covid entwickle sich unabhängig von der Schwere der Krankheit und häufig auch nach mildem Verlauf.

In der Regierungskommunikation werde das "Danach" völlig ausgelassen: "Das müsste man aber mitdenken." Das Argument, dass man über Long Covid zu wenig wisse, gelte nicht, betont Stingl: "Schon in der ersten Welle hat man international gesehen, dass sich viele nicht vollständig erholen." Wie viele, weiß man nicht, das wird in Österreich nicht erhoben. "Man geht von zehn Prozent aus, jedenfalls eine relevante Anzahl. Wenn jetzt eine Welle mit vielen Infektionen kommt, werden viele Leute gleichzeitig über Monate in ihrem Leben und ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt sein."

Wie schwer Betroffene durch Long Covid beeinträchtigt sind, kann man nicht allgemeingültig sagen. Manche haben milde Symptome, andere monatelang lebensverändernde. Abgeschlagenheit, Müdigkeit, kognitive Störungen zählen zu den häufigsten Beschwerden.

Ähnliche Symptome

Ein Problem ist, dass viele Menschen, die nicht mit Corona infiziert waren, in der Pandemie ähnliche Symptome entwickelt haben. Das sorgt für Verwirrung und macht die Dringlichkeit der Erhebung deutlich: "Es ist völlig unverständlich, warum nach zwei Jahren nicht erhoben wird, wie viele nach einer Corona-Infektion anhaltende gesundheitliche Probleme haben", so Stingl.

Auch gibt es immer noch viele Wissenslücken bei dem Thema. So ist etwa nicht klar, ob und in welchem Ausmaß Impfungen vor einer Long-Covid-Erkrankung schützen. Die Studien, die es zu dem Thema gibt, liefern keine eindeutigen Ergebnisse. Dazu kommt, dass sich die wenigen Daten auf die Alpha- oder Delta-Variante beziehen. Es sei aber davon auszugehen, dass Long Covid auch bei Omikron ein Thema ist: "Man kann nicht davon ausgehen, dass die Impfung in einem verlässlichen Ausmaß vor Long Covid schützt. Das Risiko scheint aber laut Studien bei Geimpften etwas geringer zu sein", analysiert Stingl.

In einer im September 2021 im Fachmagazin The Lancet, Infectious Diseases publizierten Studie hatte ein Forschungsteam die Daten einer App ausgewertet, über die Covid-Infizierte Beschwerden melden konnten. Das Ergebnis: Bei vollständig Geimpften mit Durchbruchsinfektion war die Wahrscheinlichkeit, Long-Covid-Symptome zu entwickeln, um 49 Prozent geringer als bei ungeimpften Personen.

Eine andere, bisher unveröffentlichte Studie vom November 2021 verglich die Daten von mehr als 9.000 geimpften mit derselben Anzahl ungeimpfter Personen und zeigte, dass eine zweifache Impfung nach einer Durchbruchsinfektion vor vielen, aber nicht allen Long-Covid-Beschwerden schützt. "Aus den wenigen Studien kann man herauslesen, dass es definitiv auch für Geimpfte mit Durchbruchsinfektion ein Risiko gibt, Long Covid zu entwickeln", warnt der Neurologe. Wie man damit umgeht, bleibe offen. Es gäbe keine Anlaufstellen und vor allem: "Es gibt keine verlässlich wirksame Therapie." (Magdalena Pötsch, 11.1.2022)