Das neue Jahr beginnt in der Türkei, wie das alte aufgehört hatte. Die Inflation steigt wieder – und damit die Preise –, und gleichzeitig verliert die türkische Lira erneut an Wert gegenüber dem Dollar und dem Euro. Die im Dezember vergangenen Jahres von Präsident Recep Tayyip Erdoğan großspurig verkündete neue Politik scheint – vorsichtig formuliert – nicht zu greifen.

Am 20. Dezember hatte Erdoğan ein Programm verkündet, mit dem er die Landeswährung Lira wieder stabilisieren und die Verbraucherpreise unter Kontrolle bekommen wollte. Er kündigte an, dass bei den staatlichen Banken sogenannte "kursgeschützte Lira-Konten" eingerichtet werden, auf denen Lira mit einer Laufzeit von drei, sechs oder zwölf Monaten deponiert werden können und wo nach Ablauf ihrer Laufzeit ein Ausgleich gezahlt wird, wenn der Dollarkurs über den Zinsen liegt.

Am 20. Dezember hatte Erdoğan ein Programm verkündet, mit dem er die Landeswährung Lira wieder stabilisieren und die Verbraucherpreise unter Kontrolle bekommen wollte.
Foto: AFP/YASIN AKGUL

Mit diesem Angebot wollte Erdoğan die türkischen Bürger und Bürgerinnen dazu bringen, ihre Dollarkonten wieder in Lira einzutauschen und so zur Stabilisierung der heimischen Währung beizutragen. Dasselbe sollte für auch Sparer und Sparerinnen gelten, die Gold in Lira umtauschen.

Währung stützen

Um den Leuten das Programm schmackhaft zu machen, startete die Zentralbank in der Nacht vom 20. auf den 21. Dezember noch eine groß angelegte Lira-Stützungsaktion, indem sie – offiziell für sieben Milliarden Dollar, tatsächlich wohl sogar für 20 Milliarden Dollar – Lira aufkaufte. Beide Maßnahmen zusammen schienen auf den ersten Blick erfolgreich.

Der Dollarkurs sank über Nacht von 18 auf 12 Lira, und für einen Euro musste man nur noch 13 statt wie am Tag zuvor 20 Lira zahlen. Wenige Tagen später verkündete Finanzminister Nureddin Nebati, der sich die Maßnahmen gemeinsam mit dem früheren Finanzminister und Erdoğan-Schwiegersohn Berat Albayrak ausgedacht haben soll, auf die "kursgeschützten Lira-Konten" seien bereits rund 90 Milliarden Lira (rund 5,8 Milliarden Euro) eingezahlt worden.

Ein Paar begutachtet auf dem historischen Großen Basar in Istanbul Juwelen und Goldschmuck – beides wohl wertbeständiger, als es die Landeswährung seit Monaten ist.

Aus Bankenkreisen erfuhr die auf Wirtschaftsnachrichten spezialisierte Agentur Reuters allerdings, dass diese Milliarden nur zu ein bis zwei Prozent aus umgetauschten Devisen stammten. Die anderen 98 Prozent kamen einfach von anderen Lira-Konten, die auf die neuen "kursgeschützten Konten" umgeschichtet wurden. Denn einen Nachweis, dass Geld, welches auf diese neuen Lira-Konten eingezahlt wird, tatsächlich aus umgetauschten Devisen stammen, muss man nicht erbringen. Wenn diese Zahlen stimmen, hat Erdoğan sein Ziel haushoch verfehlt. Ein nicht genannter hoher AKP-Funktionär gab gegenüber dem deutschen Handelsblatt zu, dass die Erwartungen der Regierung "bislang nicht vollständig erfüllt" worden seien.

Üppige Devisen

Wie wichtig es für die Regierung wäre, dass die Leute ihre Devisen wieder in den Wirtschaftskreislauf einspeisen, machen die Zahlen der türkischen Bankenaufsicht deutlich. Danach sind von den insgesamt umgerechnet 349 Milliarden Euro, die von allen türkischen Banken gehalten werden, zwei Drittel Devisen.

Nach Berichten oppositionsnaher Zeitungen soll Erdoğan getobt haben, als er vom Finanzminister die Zahlen vorgelegt bekam. "Jetzt hilft nur noch beten", wird der stellvertretende Finanzminister Murat Zaman in der Zeitung Birgün zitiert.

So manche Preise sind jüngst geradezu wieder explodiert.

Denn mittlerweile ist die Wirkung der Zentralbankintervention vom 20. Dezember schon fast wieder verpufft. Für einen Euro müssen statt 13 Lira bereits wieder knapp 16 Lira bezahlt werden, ähnlich sieht es beim Dollar aus. Und die Inflation steigt weiter. Anfang Januar hatte die staatliche Statistikbehörde zugegeben, dass die Preise 2021 nicht wie von ihr lange behauptet um 20 Prozent, sondern um 36 Prozent gestiegen sind. Die unabhängige Inflationsforschungsgruppe Enak veröffentlichte dieser Tage ihre Erkenntnisse. Danach betrug die Inflation 2021 sogar gut 82 Prozent.

Zusammen mit den Steuererhöhungen, die mit Anfang Jänner in Kraft getreten sind, sind so manche Preise, beispielsweise für alkoholische Getränke, jüngst geradezu explodiert. So kostete zum Beispiel eine Dose Bier jetzt nicht mehr einen Euro, sondern über Nacht gleich 1,50 Euro. Keine guten Aussichten für Präsident Erdoğan und seinen Finanzminister Nureddin Nebati. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul, 11.1.2022)