Die nächste auf der Liste des "Plagiatjägers" Stefan Weber: Hat Susanne Raab manche Passagen ihrer Diplomarbeit einfach abgekupfert?
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Der Zeitpunkt der Aktion ist kein Zufall. Vor einem Jahr war Arbeitsministerin Christine Aschbacher zurückgetreten, nachdem der Medienwissenschafter Stefan Weber in ihrer Dissertation allerlei Verfehlungen – von der abgekupferten Formulierung bis zum blanken Nonsens – angeprangert hatte. Da bot es sich zum Jubiläum an, das nächste Regierungsmitglied aufzublatteln.

Wieder nahm Weber eine ÖVP-Politikerin ins Visier. "Zahlreiche Plagiate und Quatsch" berge die im April 2009 eingereichte Diplomarbeit der heutigen Frauenministerin Susanne Raab, schrieb er in seinem Blog – und erntete eine harsche Replik. Man kommentiere "abstruse Konstruktionen von selbsternannten Plagiatsjägern nicht", hieß es aus dem Büro der Ressortchefin: "Jeder, der sich seriös mit Wissenschaft beschäftigt, wird zu dem Schluss kommen, dass die Behauptungen an den Haaren herbeigezogen sind."

Sind die Vorwürfe das wirklich? Wer in die im Fach Psychologie geschriebene Diplomarbeit zum Thema "Einstellungsstrukturen und Lebensbedeutungen ehrenamtlicher Mitarbeiter" hineinliest, gewinnt einen gegenteiligen Eindruck: Augenscheinlich hat Raab manche Passagen schlicht und einfach abgeschrieben, ohne – wie von den Zitierregeln geboten – die Quelle auszuweisen.

Wortgleiche Formulierungen

Immer wieder finden sich über mehrere Sätze hinweg Formulierungen, die fast oder ganz wortgleich in früher erschienenen Werken auftauchen. Mitunter hat Raab dabei auch die Quellenverweise mitübernommen, sodass es so wirkt, als hätte sie selbst Literaturarbeit geleistet. Am Ende solcher Absätze finden sich weder Fußnoten noch andere Hinweise, dass es sich um übernommene Aussagen und Gedanken handelt.

17 derartige "Plagiatsfragmente" auf 84 Seiten Fließtext führt Weber an: "Die Autorin hat systematisch falsch zitiert." Der Lehrbeauftragte an der Uni Wien findet das umso erschreckender, als die einfache Doktorin und doppelte Magistra – wie in einem Interview zu lesen ist – ja sogar öffentlich ihre Liebe zur wissenschaftlichen Arbeit bekundet habe. Ein neuer Fall Aschbacher also? So weit geht Weber nicht. Mit der Dissertation der Arbeitsministerin a. D. sei Raabs an der Uni Innsbruck abgelieferte Arbeit bei allen Defiziten dann doch nicht vergleichbar – da machten allein schon die Deutschschwächen im Aschbacher-Werk einen Unterschied.

Kurioses Detail

Ihm gehe es auch überhaupt nicht darum, dass Raab ihren Magistertitel verlieren solle, beteuert er. Ebenso sei zweitrangig, ob sie bewusst getäuscht oder nur geschlampt habe. "Ich frage mich vor allem, warum eine Arbeit mit einer derart minderwertigen Qualität angenommen wird", sagt der "Plagiatsjäger".

Dass der (mittlerweile verstorbene) Betreuer diese im aktuellen Fall offenbar nicht wirklich gelesen habe, zeigt für ihn allein schon ein kurioses Detail. Im Fließtext (aber nicht im Literaturverzeichnis) zitiert Raab dreimal einen gewissen "Frank", bei dem es sich offenbar um den berühmten Psychiater Viktor E. Frankl handelt. Einem Begutachter hätte der Fehler auffallen müssen, glaubt Weber.

Wie erklärt die Ministerin all das? Raabs Sprecher wollte der ersten Erwiderung auf STANDARD-Anfrage nichts mehr hinzufügen.

Welche Gutachten Geld kosten

Einen Vorwurf gegen sich selbst nimmt Wissenschafter Weber vorweg: Er habe sowohl Aschbachers als auch Raabs Arbeit aus eigenem Antrieb heraus inspiziert und dafür von niemandem, auch von keiner Partei, Geld bekommen. Zwar bieten er und sein vierköpfiges Team schon Plagiatsgutachten gegen Honorar an, doch diese Fälle beträfen keine öffentlichen Personen. Auftraggeber seien etwa Unternehmen, die in Kündigungskonflikten über Ex-Mitarbeiter nachforschen, oder Menschen, die an der Befähigung eines psychologischen Gutachters vor Gericht zweifeln: "Wenden sich Anwaltskanzleien an mich, kenne ich den Auftraggeber gar nicht."

Überprüft habe er übrigens auch jene Arbeiten, mit denen Raab Magister- und Doktortitel in Rechtswissenschaften erlangt hat. Gefunden habe er manche eins zu eins übernommene Passage, die nicht unter Anführungszeichen gesetzt war, doch die Quelle habe die Autorin da nicht unterschlagen. Er sei da weniger streng als manche Kollegen, sagt Weber: "Ich werte das nicht als Plagiat." (Gerald John, 11.1.2022)