Äußerlich kamen Ichthyosaurier modernen Delfinen nahe – allerdings übertrafen die größten von ihnen selbst die längste Delfinart, den Schwertwal, um mehr als das Doppelte.
Illustr.: Anglian Water/Bob Nicholls

Nicht nur zu Lande wuchsen Reptilien während der Zeit der Dinosaurier zu gewaltigen Wesen heran, auch in den Ozeanen brachte die Evolution riesige Schuppentiere hervor – und zwar in überraschend kurzer Zeit, wie eine Studie kürzlich nachweisen konnte. Diese sogenannten Ichthyosaurier ("Fischsaurier"), die jedoch nicht zu den eigentlichen Dinosauriern zu zählen sind, entwickelten Körperformen, die modernen Delfinen durchaus ähnelten.

Britischer Rekordfund

Nun haben Paläontologen das bisher größte britische Fossil eines Vertreters aus dieser Gruppe entdeckt. Das im Rutland Water Nature Reserve in den East Midlands freigelegte Fossil weist auf ein zu Lebzeiten rund zehn Meter langes Raubtier hin, das vor rund 180 Millionen Jahren die lokalen Meere unsicher machte. Die Überreste werden derzeit in Shropshire näher untersucht und konserviert, sollen aber später nach Rutland zurückkehren, um dort ausgestellt zu werden.

Einzigartiges Exemplar

Der Fund gelang Joe Davis, Leiter des Naturschutzteams beim Leicestershire and Rutland Wildlife Trust, während der routinemäßigen Trockenlegung einer Laguneninsel zur Neugestaltung der Landschaft im Februar 2021. Das Ichthyosaurier-Fossil ist nicht nur das größte, sondern auch das vollständigste seiner Art, das bisher in Großbritannien gefunden wurde. Darüber hinaus repräsentiert es das erste Exemplar der Spezies Temnodontosaurus trigonodon, das im Land gefunden wurde.

"Der Fund ist absolut faszinierend und ein echtes Karrierehighlight", erklärte Davis gegenüber BBC News. "Das heutige Großbritannien ist quasi die Geburtsregion der Ichthyosaurier, ihre Fossilien werden hier seit über 200 Jahren ausgegraben", sagte Paläontologe Dean Lomax, Experte für Ichthyosaurier und Leiter des Ausgrabungsteams. "Umso bemerkenswerter ist es, dass der Rutland-Ichthyosaurier das größte jemals in Großbritannien gefundene Exemplar ist".

Alleine der Kopf von Temnodontosaurus trigonodon maß rund zwei Meter.
Foto: Anglian Water

Verblüffend frühe Giganten

Zehn Meter bildete freilich nicht die Längenobergrenze dieser Reptiliengruppe: Einige Fossilien weisen auf Arten wie beispielsweise Shonisaurus hin, die über zwanzig Meter erreicht haben dürften. Bereits der erste Riese unter den Ichthyosauriern aus der mittleren Trias hatte mit einer Länge von 17 Meter und einem Gewicht von 45 Tonnen die Dimensionen eines modernen Pottwals.

Dass dieser Gigant schon vor rund 250 Millionen Jahren existierte, also knapp nach dem Auftauchen dieser Meeresreptilien, verblüffte die Fachwelt. Wie ein internationales Forscherteam im Fachjournal "Science" Ende Dezember berichtete, müssen sich die Ichthyosaurier damit in nur drei Millionen Jahren zu den Giganten der Urmeere entwickelt haben – viel schneller als beispielsweise die Größenevolution der heutigen Wale.

Video: Der "Ruthland Sea Dragon".
Anglian Water

Vom Land zurück ins Meer

Ichthyosaurier stammen von einer bisher unbekannten Gruppe landlebender Reptilien ab und waren selbst luftatmend. "Seit den ersten Skelettfunden in Deutschland und Südengland vor mehr als 250 Jahren gehörten diese 'Fischsaurier' zu den ersten großen fossilen Reptilien, die der Wissenschaft bekannt waren, und sie haben seither die Phantasie der Menschen beflügelt", sagte Erstautor Martin Sander vom Institut für Paläontologie der Universität Bonn und Gastwissenschafter am Natural History Museum (NHM) of Los Angeles County. Warum sie lange vor den Dinosauriern wieder ausstarben, ist noch nicht im Detail geklärt, aber man vermutet, dass Klimaveränderungen eine Rolle gespielt haben.

Nach Angaben der Forscher war Cymbospondylus youngorum, so der wissenschaftliche Name des Ichthyosauriers, das größte bisher entdeckte Tier seiner Zeit. "Soweit wir wissen, war es sogar das erste riesige Lebewesen, das überhaupt jemals auf der Erde gelebt hat", sagt Sander. Wie die Fischsaurier so schnell so groß werden konnten, versuchten die Forscher mithilfe von Modellierungen des damaligen Ökosystems herauszufinden.

Viji Shook, Mitarbeiterin des Dinosaurier-Instituts des Natural History Museum of Los Angeles County, liegt neben dem Schädel von Cymbospondylus youngorum.
Foto: Martin Sander

Viel Nahrung und wenig Konkurrenz

Das Resultat: Die frühen Ichthyosaurier scheinen von einem Überfluss an Conodonten (aalähnliche Wirbeltierverwandte) sowie einer Vielzahl von Ammoniten (eine ausgestorbene schalentragende Teilgruppe der Kopffüßer) profitiert zu haben. "Wir nehmen an, dass sich die Ichthyosaurier auch derart rasant entwickeln konnten, weil sie als erste größere Lebewesen die Weltmeere bevölkerten und einem geringeren Konkurrenzkampf ausgesetzt waren", so Sander. (tberg, red, 10.1.2022)