Ein Pfeil durchdringt das Herz. Keine Sorge: Es kam kein Mensch zu Schaden – er wurde nur ein klein wenig geritzt. Herz meets Pfeil ist nach wie vor eines der beliebtesten Tattoo-Motive. Ob auf dem Oberarm oder auf der Brust, ob mit dem Schriftzug "Mutti" versehen oder dem Namen der oder des Liebsten darüber gezeichnet: Hauptsache, die rot pulsierende Liebe wurde in die Haut graviert.

Damit könnte nun Schluss sein. Denn seit Anfang des Jahres sind viele Tattoo-Farben in Europa verboten. Der Grund: die sogenannte Reach-Verordnung der Europäischen Union. Diese verbietet gewisse Chemikalien und Pigmente, die in Tattoo-Farben seit Jahren gang und gäbe sind. Nicht nur der Verkauf, sondern auch die Benutzung dieser Farben ist verboten. Farbige Tattoos sind damit Geschichte, die Körperkunst sieht fortan schwarz.

Viele Farben sind in Zukunft beim Tätowieren nicht mehr erlaubt.
Foto: APA

"Tattoo-Farben sind keine Kosmetik und keine Medizin, sondern ein eigenständiges Produkt, das weltweit bisher kaum eine Regulierung erfahren hat", sagt Tattoo-Forscher Wolfgang Bäumler von der Universität Regensburg. "Jetzt hat man in der EU gesagt, man will wenigstens regulieren, welche Chemikalien in den Farben verwendet werden."

Wie Weltkarten im Mittelalter

Das Bild auf den Internetseiten der Tattoo-Zulieferer ist seitdem einheitlich: "Nicht auf Lager" steht dort bei so gut wie allen Farben. Im Laufe des vergangenen Jahres änderten laut Online-Plattform Feelfarbig die Hersteller und Zulieferer fast ihr gesamtes Kontingent auf "Reach not Ok" – sprich, die Farben entsprechen nicht den Regelungen der Reach-Verordnung.

Für Tätowiererinnen und Tätowierer brechen nun düstere Zeiten an. Promi-Tattoo-Künstler "Slimheli", der unter anderem den Körper von Fußballstar Marko Arnautović verzierte und eigentlich Helmut Zeiner heißt, ist sauer: "Uns hat es die Socken aufgestellt! Die nehmen uns unser Werkzeug weg." Zwar ist die am häufigsten verwendete schwarze Tattoo-Farbe nach wie vor erlaubt, farbige Kleckse sind aber Vergangenheit.

Promi-Tattoo-Künstler "Slimheli": "Ich steche seit 25 Jahren und habe noch nie gehört, dass einer meiner Kunden an Krebs erkrankt oder sogar gestorben ist."
Foto: Christian Fischer

Laut Bäumler ist das vorrangige Problem die fehlende Beweislage. "Es gibt nicht sehr viele Daten darüber, welche Stoffe in Tattoo-Farben im menschlichen Körper welche Probleme verursachen könnten. Und das ist die Schwierigkeit. Solange es keine klaren Beweise dafür gibt, verbietet die EU in einem ersten Schritt bestimmte Stoffe, die bekannterweise gesundheitsgefährdend sein könnten." Bäumler kritisiert diese mangelnde Beweislage: "Den Schritt, diese Daten zu sammeln, hätte man vor zehn, fünfzehn Jahren gehen müssen." Der Wissenstand darüber, was Tattoo-Farben im Körper machen, sei ungefähr so ausgeprägt und genau wie Weltkarten in Zeiten des Mittelalters.

Wann wird es Alternativen geben?

"Ich steche seit 25 Jahren", sagt Helmut "Slimheli" Zeiner, "und habe noch nie gehört, dass einer meiner Kunden an Krebs erkrankt oder sogar gestorben ist." Beweise hat Zeiner dafür natürlich auch nicht. Die Zeiten hätten sich auch in der Branche geändert. "Früher haben Tätowierer ihre Farbe noch selbst hergestellt, das macht ja auch zum Glück keiner mehr." Die Hygienebestimmungen, die heute für die Studios gelten, seien ohnedies streng: "Ich fühle mich ja mittlerweile wie ein Arzt, obwohl ich nur einen ganz normalen Schulabschluss habe."

Unter die Reach-Verordnung fallen auch Substanzen, die nachweislich gesundheitsgefährdend sind und deswegen nun verboten wurden. Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, beispielsweise, kurz PAKs. Diese sind krebserregend und in einigen Farben enthalten. "Meines Wissens wird eine Reihe von diesen gesundheitlich bedenklichen Substanzen, die in den Farben vorkommen, gar nicht benötigt. Es wäre technisch möglich, diese Stoffe einfach aus den Farben rauszunehmen", sagt Bäumler.

Aber wann wird das passieren? Laut diversen Online-Plattformen gibt es noch kein Angebot für Reach-konforme Farbalternativen. Manche warnen sogar vor Fake-Angeboten. Man solle sich erst das dazugehörige Zertifikat zeigen lassen. Expertinnen und Experten rechnen aber bereits innerhalb des ersten Quartals 2022 mit Alternativangeboten, die den neuen Richtlinien entsprechen.

Das Herz ist eines der beliebtesten Tattoo-Motive.
Illustration: Oona Rotariu

Das Problem: Viele Produzenten von Tattoo-Farbe sind keine riesigen Pharma- oder Kosmetikkonzerne, sondern mittelständische Unternehmen, die mit der Herstellung von Alternativen in der Kürze der Zeit überfordert sind.

Eine weitere Sorge ist, dass Tätowiererinnen und Tätowierer ihre Farben nun über Produzenten beziehen, die nicht in der EU sitzen. Weswegen es zu Qualitätsschwankungen kommen kann – also genau das, was die EU mit der Reach-Verordnung verhindern wollte.

Komplizierte Kontrollen

Und bis es Alternativen gibt? "Soll ich es Ihnen ehrlich sagen? Weiter mit Farbe arbeiten", sagt Zeiner. Für ihn sei das ohnedies die Ausnahme, weil er zu 90 Prozent mit Schwarz arbeite. "Aber wenn einer reinkommt und sagt, ich will eine rote Rose haben. Soll ich den dann wegschicken? Dann fährt er halt nach Ungarn oder Tschechien, da kriegt er sie gestochen." Für ihn sei die ganze Diskussion eine Farce: "Wenn ich zum Arzt gehe und sage, ich habe Beschwerden, was werde ich dann gefragt? Ob ich rauche und ob ich trinke. Ob ich Tattoos habe, das ist doch völlig wurscht."

Ein Argument, auf das auch Forscher Wolfgang Bäumler keine Antwort hat: "Bei Alkohol und Tabak wissen wir ja, dass sie schädlich sind. Verboten sind sie trotzdem nicht. Bei vielen Tattoo-Farben sind wir uns nicht einmal sicher – trotzdem sollen sie vom Markt verschwinden."

Bäumler kritisiert zudem die Kommunikation der EU – und die Reaktion der Branche. "Diese Verordnung ist ja nicht plötzlich aus dem Boden geschossen, sondern hat eine Vorlaufzeit von drei Jahren. Jeder wusste also, was da kommt. Reagiert hat kaum jemand."

Immerhin gibt es zwei Pigmente, die dem Schwarz-Weiß-Denken noch nicht zum Opfer gefallen sind: "Blue 15" und "Green 7". Aufgrund "mangelnder Alternativen" sind diese bis zum 4. Jänner 2023 erlaubt.

Wie das Verbot kontrolliert werden soll, weiß Bäumler auch nicht so recht. "So eine Tattoo-Farbe ist ein hochkomplexes Produkt. Die einzelnen Chemikalien, und das können bis zu hundert verschiedene sein, zu analysieren ist gar nicht so einfach. Ich bin gespannt, wie man einzelnen Studios nachweisen will, dass die verwendeten Tattoo-Farben verbotene Stoffe enthalten."

Darauf setzt auch Zeiner. Zumindest bis es Alternativen gibt. "Und die wird es geben, da bin ich mir sicher. Die Frage ist halt nur, wann sie auf den Markt kommen."

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Bunte Fan-Bekenntnisse lassen sich derzeit schwer als Tattoo umsetzen.
Foto: Reuters/Melville

Bitte nicht selbst Hand anlegen

Eine Trendwende hin zu DIY-Tattoos, die mit den pandemiebedingten zwischenzeitlichen Schließungen und durch diverse Tutorials auf Social Media eine größere Verbreiterung erreicht haben, sieht er allerdings nicht – oder besser gesagt: erhofft er sich nicht. "Die Leute, die sich selbst daheim stechen, die sind nicht normal. Wenn man das nicht kann, grenzt es an Selbstverschandelung. Danach kommen sie zu mir und wollen ein Cover-up. Da kann ich denen aber gleich sagen, dass das dann auch schiach aussehen wird."

Naturgemäß hat die Mach-es-dir-selbst-Peckerei in der Branche keinen guten Ruf. In den wenigsten Fällen werden die hygienischen Maßnahmen eingehalten, was unter anderem zu schwerwiegenden Infektionen führen kann. Zumal in der Regel dafür nichtprofessionelles Werkzeug genutzt wird. Bei Online-Großhändlern gibt es bereits Komplettpakete um rund 100 Euro, vor denen Expertinnen und Experten ausdrücklich warnen – und das Online-Portal Tattomed seinen Usern sogar mitteilen muss: "Asche, Ruß und Füllertinte eignen sich nicht als Tattoo-Farben!"

Bis Reach-konforme Alternativen auf dem Markt sind, sollte man also bloß nicht selbst Hand anlegen, sondern seine Pläne für bunte Tattoos nach hinten verschieben.

Und wer weiß, vielleicht ist bis dahin die Liebe eh nicht mehr rot pulsierend, dann macht sich so ein Herz auch in Schwarz ganz gut. (Thorben Pollerhof, 12.1.2022)