Um die Impfmuffel im Land überzeugen zu können, hätte die Regierung stärker auf Eigenverantwortung und die Einbeziehung anerkannter Expertinnen und Experten setzen müssen, schreibt der frühere Staatssekretär für Gesundheit und FPÖ-Politiker Reinhart Waneck in seinem Gastkommentar.

Die freiheitliche Partei ist keine Kaderpartei – ist sie nie gewesen. Als Hüterin der Demokratie rechts der Mitte ist sie eine Bewegung freidenkender Menschen, die sich schwer unter einen Hut bringen lassen. Sie ist keineswegs extremistisch, zieht aber häufig Individualisten an, die sich unkonventionell verhalten, was zeitweise zu Spaltungen führte. Ja, die FPÖ ist auch eine Partei, in der in der Impffrage unterschiedliche Meinungen koexistieren.

Seine Corona-Politik sorgt für heftige Kritik: FPÖ-Chef Herbert Kickl als Redner bei einer Demonstration gegen die geplante Impfpflicht in Tirol.
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FPÖ-Chef Herbert Kickl lässt sich nicht gegen Covid-19 impfen. Ich hingegen bin absoluter Impfbefürworter und war als Staatssekretär für Gesundheit in den Jahren 2000 bis 2004 für das Impfwesen verantwortlich. Seit gut 150 Jahren stellen Impfungen die erfolgreichste medizinische Behandlung/Prävention für zahlreiche Erkrankungen dar. Eine Impfpflicht gab es in Österreich schon – siehe Pocken.

Woher kommt die Skepsis gegenüber der Covid-Schutzimpfung, auch bei so manchem Freiheitlichen? Durch die Wucht der Ereignisse in dieser Pandemie trat eine Situation ein, in der die übliche Entwicklungs- und Erprobungszeit von Impfstoffen nicht möglich war, sodass ob zu Recht oder zu Unrecht bei manchen Zweifel über die Zuverlässigkeit der diversen Impfstoffe aufkam. Hier hätte die Regierung auf einen nationalen Gesundheitsschulterschluss der ausgewiesenen Fachkräfte setzen müssen. Doch stattdessen mischte sich die Politik auf naive Weise ein, ohne die fachliche Kompetenz in diesem Gebiet aufzuweisen. Das verunsichert mehr, als es nützt.

Viel zu spät

Jetzt hat Österreich endlich das, was andere Länder wie etwa Schweden längst haben: in der Generaldirektorin für Öffentliche Gesundheit – der Medizinerin Katharina Reich – endlich eine kompetente Person an der Spitze der Pandemiebekämpfung, die auch öffentlich auftritt. Diese Person hätte es schon ein, zwei Wochen nach Ausbruch der Pandemie gebraucht, jetzt kommt sie um eineinhalb Jahre zu spät.

Andere Länder – hier komme ich auf Schweden – setzen auf Freiwilligkeit, anstatt die Bürgerinnen und Bürger wie Unmündige zu behandeln: Schulen und Geschäfte blieben offen, Masken wurden im öffentlichen Bereich empfohlen, aber nicht von oben herab verordnet. Die Schweden gehen mit dieser Selbstverantwortung diszipliniert um, stehen mit viel Abstand an der Supermarktkasse, an und in Restaurants sitzen selten mehr als vier Personen an einem Tisch.

Die Menschen in Österreich sind nicht nur Selbstverantwortung weniger gewöhnt, sie sind auch Impfmuffel. Obwohl Jahr für Jahr tausende Menschen an Influenza sterben, lag der Anteil der Grippe-Geimpften kaum über zehn Prozent. Selbst als ich als ärztlicher Direktor meines Spitals den Angestellten die Influenzaimpfung gratis zur Verfügung stellte, ließen sich nur knapp 20 Prozent impfen. Impfskeptikerinnen und Impfskeptiker findet man also auch im Gesundheitspersonal.

Mehr als schäbig

Es wäre Aufgabe der Regierung gewesen, sowohl die Eigenverantwortung der Bevölkerung stärker in den Fokus zu rücken als auch die Österreicherinnen und Österreicher unter Einbeziehung anerkannter Expertinnen und Experten von der Wichtigkeit der Schutzimpfung zu überzeugen. Jetzt aber der FPÖ und da vor allem Parteiobmann Kickl die Verantwortung für die niedrige Impfquote und die vielen Corona-Toten zuzuschieben ist mehr als schäbig. Jeder in der FPÖ kann sich frei für oder gegen eine Covid-Schutzimpfung entscheiden. Die Freiheit ist schließlich für die FPÖ das höchste Gut. Kickl lässt hier allen Funktionärinnen und Funktionären freie Hand. In der Wiener FPÖ sind fast alle Mandatare geimpft, und auch alle mir nahestehenden Funktionärinnen und Funktionäre ließen sich gegen Covid schützen. Was die FPÖ aber bekämpft, ist ein Impfzwang – und in diesem Fall durchaus zu Recht, weil ein derartiger Zwang zu diesem Zeitpunkt demokratiepolitisch bedenklich ist.

Eine lebendige Politik braucht auch Stimmen, die warnen, wenn Freiheiten gefährdet sind. Nicht die kritische Position der FPÖ ist das Problem. In der Pandemie hat sich die Regierung selbst in ihr Dilemma manövriert. (Reinhart Waneck, 12.1.2022)