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Es glühen wieder die Drähte: US-Präsident Joe Biden bei einem Telefonat mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin Ende Dezember.

Foto: The White House / AP / Adam Schultz

Es ist der Ortsname Jalta, der den Amerikanern als Ausgangspunkt dient. In Jalta haben Roosevelt, Stalin und Churchill 1945 die Nachkriegsordnung verhandelt, sich de facto auf die Aufteilung Europas in Blöcke verständigt.

Ein zweites Jalta, stellen die Emissäre des State Department klar, wird es 2022 nicht geben. Das Denken in Einflusssphären passe nicht zur heutigen Welt. Folglich könne auch Russland nicht erwarten, dass ihm die USA Einflusssphären oder auch nur Pufferzonen zugestehen, ein Gebiet, das vom Baltikum über Polen bis nach Bulgarien reicht und in jedem Fall, auch bei einer Art Minimalvariante, die Ukraine einschließt.

Keine Garantien

Die Diplomatin Wendy Sherman, die aus Washington angereiste Vize-Außenministerin, die am Montag in Genf fast acht Stunden lang mit ihrem russischen Amtskollegen Sergej Rjabkow sprach, hat das alles in Sätze gepackt, die – offenbar in voller Absicht – jegliche diplomatische Vorsicht vermissen ließen. Von einem "non-starter" sprach sie. Und vom Kreuzweg, an dem Moskau stehe. Mit dem "non-starter", der Nullnummer, dem Rohrkrepierer, je nachdem, wie man es übersetzen mag, war das Ansinnen des russischen Präsidenten Wladimir Putin gemeint, garantiert zu bekommen, dass die Ukraine oder Georgien der Nato fernbleiben. Und dass der Westen Truppen aus Polen, den baltischen Staaten und allen anderen Ländern abzieht, die nach 1997 der Allianz beigetreten sind. Es liefe, so hat es der Kolumnist George Will, ein Konservativer alter Schule, in der Washington Post zugespitzt, auf eine russische Einflusssphäre hinaus, die vergleichbar wäre mit dem, was die Sowjetunion einst beanspruchte.

Sherman hat das Wort Jalta in einer Telefonschaltung mit Reportern umschifft wie eine heikle Klippe, dabei dürfte die Erinnerung an die Abmachung auf der Krim der sprichwörtliche Elefant gewesen sein, der in der Schweiz unsichtbar mit am Tisch saß. Im Kabinett Joe Bidens denkt man offenkundig nicht daran, Putin Garantien dieser Art zu geben, etwas für alle Zeiten ein- oder auszuschließen. Bei Sherman klang es so: "Wir werden keinem gestatten, die Politik der offenen Tür der Nato zuzuschlagen."

Kein Staat dürfe ein Vetorecht haben, wenn ein anderer die Mitgliedschaft in der Nato anstrebe. Sollten die Russen darauf beharren, wäre dies unseriös. Sollten sie deswegen den diplomatischen Pfad verlassen, dürfte klar sein, dass sie es angesichts des Truppenaufmarschs an der Grenze zur Ukraine nie ernst gemeint hätten mit der Diplomatie.

Noch deutlicher, noch plastischer hat es Außenminister Antony Blinken formuliert, unmittelbar vor der Genfer Runde, die den Auftakt zu einer eventuell entscheidenden Woche des Dialogs bildete. Putin begründe ein falsches Narrativ, wenn er die Nato als Bedrohung Russlands charakterisiere, sagte Blinken. "Es ist, als würde der Fuchs sagen, dass er den Hühnerstall angreifen musste, weil dessen Bewohner irgendwie eine Bedrohung darstellten."

Begrenzte Möglichkeiten

Man könnte Blinken wie Sherman einen Hang zur Polemik vorwerfen, der in Krisensituationen oft das Gegenteil jener Deeskalation bewirkt, die beide zum Nahziel der Unterredungen erklären. In Washington sieht man das anders: je klarer die Sprache, desto geringer das Risiko folgenschwerer Missverständnisse.

Im Grunde spricht aus vielem, was der Minister und seine Stellvertreterin sagen, purer Realismus, die Einsicht in die Begrenztheit der eigenen Möglichkeiten. Ein Land wie die USA, dessen politische Debatte sich zurzeit vornehmlich um die Rettung der eigenen Demokratie vor den autokratischen Anwandlungen eines Donald Trump oder eines Nachahmers dreht, um das Szenario eines weiteren Sturms auf das Kapitol nach einer weiteren Wahl, deren Ergebnis der Verlierer nicht anerkennt – ein solches Land ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass es in Osteuropa Weichen stellen könnte.

Und selbst wenn die Verhältnisse daheim stabilere wären, wenn Amerika noch die strahlende, siegreiche Supermacht der 1990er-Jahre wäre: Es liegt schlicht nicht in seiner Macht, Putins Forderungen zu erfüllen. Dessen Sorge, schrieb die New York Times neulich in einem Leitartikel, dürfe man indes nicht einfach als lästig abtun. Sollte die Nato die Ukraine aufnehmen, hätte sie eine 1200 Kilometer lange Landgrenze mit Russland – eine Situation, die keiner großen Macht gefallen könne, egal wie laut die atlantische Allianz ihren rein defensiven Charakter betone.

Dennoch, wenn Putin Verhandlungen nach dem Jalta-Muster verlange, führe das zu nichts. Zumal Biden eines deutlich gemacht habe: Nichts, was die Ukraine angehe, werde über die Köpfe der Ukrainer hinweg entschieden. (Frank Herrmann, 12.1.2022)