Wien – "So ein Kasperltheater." Der junge Mann hinter der Kassa macht keinen Hehl daraus, dass ihm 2G einerlei ist. "Jeden hier kontrollieren? Ich bin ja nicht deppert", sagt er und schiebt eine Rechnung nach der anderen über den Ladentisch. Es sind kleine Beträge, für die bei ihm in Wien-Favoriten allerlei Haushaltsware und Zierrat erstanden werden. Geimpft oder genesen muss dafür keiner sein. Auf die seit Dienstag geltenden strengeren Corona-Regeln weist nur ein Zettel mit der "herzlichen Bitte" um Vorlage des Impfnachweises hin.

Wer nicht nur im Lebensmittelhandel oder in Drogerien einkaufen will, muss geimpft oder genesen sein.
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Sehen Sie sich im Grätzel um, rät der Verkäufer und schätzt die Impfquote rundum auf maximal 50 Prozent. Die meisten seien beratungsresistent und reagierten "angfressen", frage er nach einem Ausweis. "Ich spiele doch nicht Polizei." Abgesehen davon sei es Augenauswischerei, diesen beim Bezahlen einzufordern, nachdem man zehn Minuten Zeit hatte, seine Viren im Geschäft zu verteilen. Für frühere Kontrollen wiederum fehle Personal.

Er selbst habe sich wegen seiner betagten Eltern impfen lassen, räumt er ein. Er sei sich jedoch sicher, jede Infektion auch ohne Schutz schadlos zu überstehen. Eine Durchseuchung der Gesellschaft erscheint ihm als vernünftig. "Sterben wirklich so viele Menschen mehr an Corona als an der Grippe? Wenn Sie mich fragen, ist der Unterschied nicht groß."

"Viele nehmen es persönlich"

Ein paar Häuserblocks weiter bietet ein Diskonter 50 Prozent Nachlass auf alles. "Ich tue das, um mein Geschäft zu retten", seufzt sein Inhaber, "denn die machen uns fertig." Die, das sei die Regierung mit ihren für Händler wie ihn "überzogenen Maßnahmen".

Zweimal habe ihm der Drogerieriese Müller, der während sämtlicher Lockdowns offenhalten durfte, das Weihnachtsgeschäft "geraubt". Seit einer Woche kaufe kaum einer mehr ein. Und nun blickten ihn seine Stammkunden an, als ob er die neuen Regeln fürs Shoppen erfunden habe. "Viele nehmen das persönlich", sagt er und zählt Euromünzen in einer Hand ab, ohne einen Blick auf Ausweise zu werfen.

Große und kleine Fische

"Die großen Fische im Handel fressen gerade die kleinen", klagt ein Händler, der in einem ungeheizten Geschäft Hauben und Handschuhe feilbietet. Mehr sagt er dazu nicht. Die flüchtig seine Ware prüfenden Kunden geben ihm ihre Identität nicht preis.

In einem hippen Sneakershop im zehnten Bezirk spielt eine andere Musik. "Wir wollen es ja irgendwann besser haben", meinen zwei Burschen im Laden, nachdem sie höflich um 2G-Nachweis und Personalausweis ersucht haben. Vormittags seien Kunden kooperativ, erzählen die beiden. Erst nachmittags erhitze sich manch Gemüt eines Abgewiesenen.

Dass viele keine Nachrichten lesen und von der Kontrollpflicht im Handel überrascht wurden, nehme man ihnen nicht ab. "Schreibt die Zeitung davon, dass es etwas billiger gibt, stehen ja auch alle sofort Schlange."

Tausende Euro Strafe

Auch eine Sporthandelskette fängt Ungeimpfte und Ungenesene gleich beim Eingang ab. "Wir üben das seit Tagen", erläutert eine Verkäuferin. Groll darob perle an ihr ab. Kunden ohne Ausweis würden meist ohnehin vorab kehrtmachen.

Ein junger Favoritner Juwelier handhabt es ebenso gewissenhaft. Er habe Freunde bei der Polizei, wisse, dass derzeit zivil stark kontrolliert werde, sagt er. "Das Risiko, tausende Euro Strafe zu bezahlen, gehe ich nicht ein."

Ein Kürschner hat mit der Exekutive bereits seine Erfahrungen gesammelt. Gute, wie er nachdrücklich betont – nachdem seine Unschuld rasch bewiesen war. Passanten haben ihn angezeigt, nachdem er Kunden während eines Lockdowns in seinem Geschäft bedient hatte, obwohl ihm Neuanfertigungen und Reparaturen als Gewerbetreibendem weitgehend erlaubt waren. "Haben denn die Leute nichts anderes zu tun, als uns anzuschwärzen?"

Letztlich sei alles besser als ein weiterer Lockdown, resümiert er und trägt die ihm auferlegte Pflicht zur Kontrolle mit Gelassenheit. Das Gros der Kundschaft weise sich mittlerweile schließlich unaufgefordert aus.

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Streng geht es in Wiens Innenstadt zu. Polizei patrouilliert durch die Kärntner Straße. Stämmige Security-Männer bewachen einzelne Stores. In einer Dessousfiliale entschuldigt sich eine übereifrige Verkäuferin dafür, versehentlich doppelt kontrolliert zu haben.

Kein Vorbei für Ungeimpfte und Ungenesene gibt es auch in einem Haushaltswarengeschäft. Der Andrang an Kunden hält sich freilich in Grenzen. "Fragen Sie mich nicht, wie es wäre, wenn hier wie nach Lockdowns oder rund um Weihnachten 80 Menschen wären", bittet ein Angestellter, nachdem er Nachweis und Ausweis inspiziert hat. Im chronisch personell unterbesetzten Handel seien lückenlose Kontrollen völlige Illusion, sagt er. Einsicht in die Identität der Kunden hält er für datenschutzrechtlich bedenklich.

"Demos fürs Geschäft schlimmer"

Lustig seien die Kontrollen nicht, aber ein Beitrag im Kampf gegen die Pandemie, gibt die Verkäuferin einer Geschenkboutique nahe dem Stephansdom zu bedenken. Für das Geschäft weit schlimmer seien die regelmäßigen Demos durch den ersten Bezirk.

Erleichtert, von den neuen Pflichten ausgenommen zu sein, ist eine Zigarrenhändlerin, deren Ware unter den täglichen Bedarf fällt. Seit Touristen ausbleiben und Büros aufgrund von Homeoffice verwaist sind, liege ihr Geschäft brach.

"Ganz ehrlich? Kauft jemand um 200 Euro Zigarren, ich würde ihn auch ohne 2G-Nachweis nicht vor die Tür weisen. So was kann ich mir nicht leisten." Manch Stammkunde sei über 90, allein aus Respekt vor dem Alter würde sie ihn weiterhin bedienen. Mit Masketragen, Abstandhalten und alle 20 Minuten Händewaschen müsse es doch irgendwann getan sein. (Verena Kainrath, 12.1.2022)