Der Anlageberater Bernhard Führer analysiert in seinem Gastblog die Türkei-Krise und mögliche Folgen für andere Schwellenländer.

So wie es Menschen passiert, dass sie ihren Wohlstand verplempern, so geschieht dies auch immer wieder ganzen Nationen. Was wirklich Aufmerksamkeit erregt, ist, wenn es schnell passiert – wie gerade in der Türkei.

Vergangene Krisen der Schwellenländer

Insbesondere während der 1980er- und 1990er-Jahre hatten wir es ziemlich regelmäßig mit Staatsbankrotten in einigen Schwellenländern zu tun. Die 1980er-Jahre waren ein verlorenes Jahrzehnt für Lateinamerika, wonach sich ein Land nach dem anderen überschuldete und viele dieser Länder mit ihren Schulden säumig waren. Dies stand im engen Zusammenhang mit den sinkenden Ölpreisen, wodurch die Einnahmen aus harten Währungen, die diese Länder zur Bedienung ihrer Schulden benötigten, dahinschwanden. Praktisch jedes Land in Lateinamerika war betroffen. Abgesehen von einigen Episoden wie der Tequila-Krise in Mexiko im Jahr 1994 verlagerte sich der Fokus in den 1990er-Jahren mit der Asien-Krise von 1997 und der russischen Zahlungsunfähigkeit von 1998 zunehmend in den Osten (davon ausgenommen die Argentinien-Krise im Jahr 2001). Seitdem war es bemerkenswert ruhig an der Front der Schuldenkrisen von Schwellenländern.

Bild nicht mehr verfügbar.

Die türkische Lira wird immer weniger wert. Analysten rechnen im März mit einer Inflation von bis zu 50 Prozent.
Foto: REUTERS/Murad Sezer

Erdoğan und aufstrebende Ökonomien

Eine Inflationsrate von knapp 40 Prozent in der Türkei führt dazu, dass die Kaufkraft von Millionen Menschen verpufft. Trotz dieser enormen Preissteigerungen wurden Zinssenkungen auf Druck des türkischen Präsidenten durchgeführt. Das billige Geld lässt zwar das Wirtschaftswachstum ansteigen, führt aber zu massiver Inflation, die das Vertrauen in die türkische Lira noch weiter sinken lässt. Die türkische Währung wird folglich so weit abgewertet werden, dass die Türkei ihre auf Euro und Dollar laufenden Schulden nicht mehr bedienen kann und dann zahlungsunfähig wird. Der Internationale Währungsfonds wird eingreifen und einschneidende Reformen im krisengebeutelten Land durchsetzen. Für die damit einhergehende schwere Rezession wird der Währungsfonds verantwortlich gemacht werden. Das Missmanagement der ökonomischen Krise in der Türkei kann jedoch lediglich ein "Vorfunke" einer Reihe weiterer Zahlungsausfälle in anderen Schwellenländern sein.

Das liegt daran, dass entwickelte Volkswirtschaften wie die USA und Europa ihre eigenen Währungen haben und ihre Anleihen in ihrer Heimatwährung ausgeben. Die Schulden der Schwellenländer laufen jedoch inzwischen zu knapp 50 Prozent auf Fremdwährungen (somit Euro oder Dollar) – praktisch unverändert seit den letzten Jahrzehnten. Hinzu kommt, dass mehr als 40 Prozent dieser Schulden von ausländischen Anlegern gehalten werden. Die meisten Gläubiger in entwickelten Ländern werden an diesen Schulden nicht festhalten, sobald Schwierigkeiten am Horizont zu erkennen sind. Das bedeutet, dass ausländische Investoren bei Schwierigkeiten in diesen Schwellenländern ihre Anleihen verkaufen werden, was die Preise nach unten drückt und die Zinsen noch weiter steigen lässt. Unterdessen werden die lokalen Währungen dieser Schwellenländer rapide abgewertet, wodurch es noch schwieriger wird, Zinsen für Fremdwährungsanleihen zu zahlen – ein Teufelskreis.

Auswirkungen auf die Volkswirtschaften

Über die vergangenen Jahre hat sich die Renditekluft zwischen internationalen Märkten und den US-amerikanischen Finanzmärkten noch weiter vergrößert. Die relative Schwäche internationaler Märkte ist so alltäglich geworden, dass sie kaum in den Finanznachrichten auftaucht. Die USA und Europa haben bereits angedeutet, die Zinsen zu erhöhen. Dieser Schritt könnte für viele Schwellenländer zum Problem werden. Viele Schwellenländer erleben derzeit Schuldenbooms, die länger als die durchschnittlichen Schuldenbooms der Vergangenheit andauern, während gleichzeitig das Wirtschaftswachstum schwächer ausgeprägt ist. Das Ergebnis: Die Haushaltsdefizite sind enorm, und die Schuldentragfähigkeit ist schlechter als je zuvor. In der Vergangenheit, als all diese Bedingungen erfüllt waren, endeten viele dieser Länder in einem Staatsbankrott.

In der Türkei ist die Rede von ausländischen "Zinslobbyisten" und von Verschwörungen, die seinen Feinden zugeschrieben werden. Die Leidtragenden sind, wie so oft, die Menschen. Seit 2014 residiert Erdoğan in einem neuen Präsidentschaftspalast mit rund 1.000 Zimmern, mitten in einem Naturschutzgebiet. Die Kosten? 500 Millionen Euro. Dies bringt mit sich, dass die Verzweiflungsschreie der eigenen Bevölkerung nur schwer zu hören sind. (Bernhard Führer, 17.1.2022)