Mehr Arbeit vor und vielleicht auch in der Pension, dafür weniger in der Lebensmitte: So stellen sich einige Experten die Zukunft des flexiblen Arbeitslebens vor.

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Welches Leben erwartet ein heute fünfjähriges Kind, das in Mitteleuropa, Westeuropa oder den USA aufwächst? Sofern keine neuen Pandemien, Klimakatastrophen, Kriege oder andere große Gefahren auftauchen – dann mit guter Wahrscheinlichkeit ein durchaus langes. Laut Statistik Austria hat ein Kind in Österreich heute eine Lebenserwartung von über 80 Jahren und eine immer größer werdende Chance, hundert Jahre oder älter zu werden.

Die auf den ersten Blick weniger gute Nachricht: Es wird auch länger arbeiten müssen. Statt eines 40-jährigen Arbeitslebens könnte die Karriere in Zukunft ganze 60 Jahre oder länger dauern, prognostizieren Forscherinnen und Forscher der US-amerikanischen Universität Stanford in einem kürzlich veröffentlichten Bericht.

An Bedürfnisse anpassen

Für die Experten muss das jedoch nichts Negatives bedeuten. Denn die Arbeitswelt der Zukunft werde sich in vielerlei Hinsicht von der heutigen unterscheiden. Anstatt 40-Stunden-Wochen und 50 Arbeitswochen im Jahr mit Kindererziehung, Haushaltsarbeit, Familie, Freunden und Freizeitaktivitäten unter einen Hut zu bringen, soll sich die Arbeit künftig viel eher an die jeweiligen Bedürfnisse und Anforderungen der Zeit anpassen.

Denn im Moment bestehe das Problem laut Forschern darin, dass ein Großteil der beruflichen und familiären Verantwortung in der Lebensmitte, also ungefähr zwischen Mitte dreißig und Mitte vierzig, zusammenkomme. In dieser Zeit verlangen Job und Karriere den Menschen vieles ab, gleichzeitig kommen häufig Verpflichtungen wie Kindererziehung und die Betreuung älterer Familienmitglieder hinzu, die wiederum häufig Frauen übernehmen, schreiben die Wissenschafterinnen und Wissenschafter.

Stunden flexibel senken oder erhöhen

Um mit diesen Lebensumständen besser umgehen zu können, sollten Menschen die Möglichkeit haben, die Stunden, die sie in Erwerbsarbeit verbringen, in unterschiedlichen Lebensphasen künftig noch flexibler nach unten oder nach oben zu schrauben, heißt es in dem Bericht. Beispielsweise könnten beide Elternteile in den ersten Lebensjahren ihrer Kinder ihre Vollzeitjobs auf jeweils zwanzig Wochenstunden reduzieren, so die Forscher – ähnlich, wie es in Österreich bereits innerhalb der Elternteilzeit möglich ist.

Die Stunden, die in gewissen Lebensphasen weniger gearbeitet werden, könnten dann in den späteren Lebensphasen und innerhalb des insgesamt längeren Arbeitslebens nachgeholt werden. Staatliche Unterstützungsleistungen würden dafür sorgen, dass Menschen in der Zeit, in der sie weniger arbeiten, weiterhin ein ausreichend hohes Einkommen haben, schreiben die Forscherinnen und Forscher.

Fließende Pension

Auch älteren Menschen, die künftig länger gesund bleiben werden, sollte laut Bericht der Weg zurück in die Arbeitswelt erleichtert werden. Denn im Moment sei die Pension oftmals eine zu strikte Grenze: Viele Menschen müssten sich entscheiden, entweder weiter Vollzeit zu arbeiten oder ganz aufzuhören. Dabei würden es nicht wenige ältere Menschen bevorzugen, weniger und flexibel weiterzuarbeiten, anstatt gleich ganz aufzuhören, so die Wissenschafter.

Als Lösung schwebt den Studienautoren beispielsweise ein schrittweiser Ausstieg aus der Erwerbsarbeit vor, bei dem ältere Menschen langsam ihre Arbeitsstunden reduzieren. Zudem könnte es nach wie vor kurze, praktikumsähnliche Phasen geben, in denen ältere Menschen für eine bestimmte Zeit ins Arbeitsleben zurückkehren, um beispielsweise bei einem Arbeitsprojekt zu helfen oder jüngere Mitarbeiter zu unterstützen.

Einige Hürden

Eine solche Aufteilung der Arbeitszeit, bei der Menschen fließender zwischen Arbeit, Freizeit, Ausbildung und Pension während ihres Lebens hin und her wechseln, soll die Arbeitsbelastung besser über das gesamte Leben verteilen, dadurch die Lebensqualität verbessern, die Produktivität erhöhen und Burnouts verhindern, so die Vision der Forscherinnen und Forscher.

Es könnte aber auch einige Hürden auf diesem Weg geben. Für Unternehmen könnte eine flexiblere Arbeitseinteilung ihrer Mitarbeiter Mehrkosten bedeuten. Wenn Mitarbeiter längere Zeit pausieren, könnten sie wichtige Fähigkeiten und dadurch an Produktivität einbüßen. Zudem fällt es schon jetzt vielen Menschen schwer, ihre Arbeitszeit in bestimmten Phasen zu reduzieren, sei es aus finanziellen, sozialen oder auch kulturellen Gründen.

Höheres Einkommen

Voraussetzung für ein solches flexibleres Arbeitsleben wäre laut einigen Experten daher, dass der Wohlstand und die finanzielle Absicherung in der Gesellschaft steigen, besonders für jene Gruppen, deren Einkommen bisher kaum Spielraum für Arbeitszeitverkürzungen zulässt – etwa indem die Gehälter für diese Berufsgruppen erhöht werden und ausreichend günstigerer Wohnraum zur Verfügung steht.

Ganz wahrscheinlich ist dieses Szenario wohl nicht. Immerhin könnte es auch sein, dass Menschen in der Zukunft mehr Jahre arbeiten werden, ohne dass sich an der Wochen- oder Jahresarbeitszeit signifikant etwas verändert. Mit der wachsenden Automatisierung und neuen technologischen und sozialen Innovationen bestünde aber möglicherweise die Chance, künftig mehr Wohlstand in der Bevölkerung zu verteilen – und damit vielleicht auch den Spielraum für eine andere Aufteilung der Arbeitszeit zu vergrößern. (Jakob Pallinger, 22.1.2022)