Großbritanniens Premier Boris Johnson schlägt viel Gegenwind entgegen. Jetzt entschuldigte er sich.

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Vorwürfen elegant ausweichen, die Atmosphäre durch einen Scherz verändern, durch heftige Angriffe auf den Gegner von eigenen Versäumnissen ablenken – Boris Johnson ist ein Meister in all diesen Disziplinen. An diesem Mittwoch aber sagt der Premierminister im überfüllten Plenarsaal des Londoner Unterhauses: "Ich möchte mich in aller Form entschuldigen. Ich bereue zutiefst, dass wir diesen Fehler gemacht haben." Die Spannung ist mit Händen zu greifen. Alle Anwesenden wissen, dass es diesmal um die Karriere des 57-Jährigen geht.

Wohlgemerkt – der Regierungschef entschuldigt sich nur für ein Event während des ersten Corona-Lockdowns, das seit Wochenbeginn die britische Öffentlichkeit beschäftigt. Die Einladung zu der Party am 20. Mai 2020 versandte Johnsons Privatsekretär Martin Reynolds an mehr als 100 Bedienstete der Regierungszentrale: Man wolle "sozial distanziert" im weitläufigen Garten "das schöne Wetter" genießen, hieß es da, gefolgt von dem Hinweis: "Bringen Sie Ihre eigene Flasche mit." Rund 30 Personen nahmen teil, darunter auch der Premier – "für rund 25 Minuten".

Dies verstieß, so viel räumt Johnson ein, gegen die damals geltenden strengen Lockdown-Bestimmungen: Die Briten durften sich höchstens mit je einem anderen Menschen treffen – und auch dies nur draußen. Besuche in Krankenhäusern, Altersheimen, Privathaushalten: verboten. Für Unternehmen galt die Pflicht, das Arbeiten vom Homeoffice aus zu ermöglichen.

Wochenlang wurde die Insel im Frühling 2020 von der Sonne beschienen. Um die Arbeit in der engen Regierungszentrale zu erleichtern, sei in dieser Zeit, so führt Johnson aus, häufig Arbeit aus den Büros in den Garten verlegt worden. Er sei auch am bewussten Tag der irrigen Meinung gewesen, es handle sich um einen Arbeitstermin.

Rücktrittsforderungen

"Albern und beleidigend" seien die Ausführungen des Premiers, wettert Oppositionsführer Keir Starmer, "seine Entschuldigung ist wertlos". Längst habe die Öffentlichkeit den Eindruck, von Johnson "nach Strich und Faden belogen" worden zu sein. Der Labour-Chef erinnert an Gesundheitsminister Matthew Hancock und die frühere Regierungssprecherin Allegra Stratton, die wegen ähnlicher Vergehen zurücktraten. "Warum gelten die gleichen Regeln nicht für ihn?"

Wie Starmer fordern auch die Fraktionschefs der schottischen Nationalpartei und der Liberaldemokraten Johnsons Rücktritt. Der Premier denkt offenbar nicht daran. Nach seinem Auftritt aber streift er durch das Parlament und wirbt in der eigenen Fraktion um Sympathie und Unterstützung. Das hat Johnson nötig: Finanzminister Rishi Sunak nimmt gar nicht erst an der Sitzung teil. Außenministerin Liz Truss sitzt zwar auf der Regierungsbank neben Johnson, lässt aber keinerlei Unterstützung erkennen.

Zweifel bei den Tories

Kein Zweifel: Bei den Tories gibt es ernsthafte Diskussionen darüber, ob der in Partei und Fraktion lediglich als Stimmenfänger respektierte Johnson noch der richtige Chef ist. Die Vorgänge in der Downing Street seien "unvertretbar und nicht zu entschuldigen", sagt die prominente Schottin Ruth Davidson, die für die Tories im Oberhaus sitzt. Anonyme Minister werden reihenweise in den Medien zitiert: "So kann es nicht weitergehen."

Johnson hat also, wenn überhaupt, lediglich ein wenig Zeit gewonnen. An den jüngsten Vorgängen hat sogar die Polizei Interesse gezeigt, wie ein Scotland Yard-Sprecher bestätigt.

Und wie ein Damoklesschwert hängt weiterhin die Untersuchung einer Spitzenbeamtin über dem Premier und seiner Ministerriege: Dabei geht es um zwölf vermeintliche Verstöße gegen die jeweils geltenden Corona-Bestimmungen in den vergangenen beiden Jahren. (Sebastian Borger aus London, 12.1.2022)