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Es ist ein Satz, der wahrscheinlich schon in jeder Marketingabteilung eines Ölkonzerns gefallen ist: Lasst uns Bäume pflanzen! Airlines tun es ihnen gleich, umweltbewusste Bürgerinnen kompensieren ihre Flüge mit Bäumen. Und auf den ersten Blick ist das ja auch eine recht nachvollziehbare Idee: Das Klima ändert sich vor allem wegen des vielen CO2 in der Luft. Wenn Bäume wachsen, nehmen sie CO2 auf. Also pflanzen wir Bäume. Doch die Idee hat Tücken – und kann auch ziemlich nach hinten losgehen. Trotzdem ist der Wald essentiell, wenn es um die Zwillingskrisen Klimawandel und Artensterben geht. Neun Fakten.

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Wer soll schon etwas gegen Bäume haben?
Foto: Getty / Roy Morsch

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1. Wer einen Wald hat, versucht, dort möglichst wenig Bäume zu pflanzen

Der Wald braucht den Menschen nicht, um sich zu erneuern. Dafür sorgt er schon selbst, wenn man ihn lässt. Wird ein Bäum gefällt und ist Platz für einen neuen, wächst durch die Samen von selbst wieder einer nach, wenn es genug Licht und Wasser gibt. "Einen Baum zu pflanzen sollte nur eine Notlösung sein", sagt der Forstwirt Eckart Senitza. Beim Menschen sei es ja auch natürlich, von selbst die nächste Generation zu schaffen, nur manchmal müsse man künstlich nachhelfen. Im Wald sei das ähnlich.

Bäume, die so wachsen, schlagen tiefere Wurzeln als jene, die man züchtet und dann nach zwei, drei Jahren einsetzt. Sie schaffen bessere Symbiosen mit Bodenorganismen, sie sind genetisch vielfältiger als die Setzlinge, es wachsen jene Baumarten nach, die schon seit langer Zeit an die Umgebung angepasst sind, und die Forstwirtin spart Geld, denn sie braucht keines für die Pflanze. Der Großteil Österreichs wäre eigentlich Wald, hätte man die Bäume nicht vor langer Zeit für Siedlungen oder Äcker gefällt. Lässt man eine Fläche sich selbst über, wird in Österreich meistens Wald daraus.

2. Bäume sind nicht immer und überall wünschenswert

Wenn Unternehmen ihre Emissionen kompensieren möchten, werden Bäume dafür oft auch in ärmeren Ländern in den Tropen gepflanzt, weil es billiger ist. Pflanzt man aber etwa einen Baum in die afrikanische Savanne, wo vorher keiner war, wird dort Lebensgebiet für Menschen und Tiere zerstört. Weil global eine von insgesamt acht Milliarden Arten vom Aussterben bedroht ist, kann das fatal sein. Eine intakte Savanne speichert, wenn man sie in Ruhe lässt, außerdem mehr CO2 als die dort künstlich gepflanzten Bäume.

In Österreich wächst der Wald. 1990 waren 45,8 Prozent der Landesfläche Wald, 2019 schon 47,2 Prozent. Das ist auch bei uns nicht überall wünschenswert. Wenn ein Bauer in Tirol eine Alm aufgibt, weil es sich wirtschaftlich einfach nicht mehr auszahlt, wird aus der Wiese mit der Zeit Wald. Für viele Tiere, die sich an das Offenland angepasst haben, ist Verwaldung einer der wesentlichsten Gefährdungsursachen, so das Umweltbundesamt. Die Fläche der bewirtschafteten Almen ist in Österreich seit Jahrzehnten rückläufig.

3. Ein Baum muss auch in 100 Jahren noch da sein

Wenn es notwendig ist, Bäume zu pflanzen und wieder aufzuforsten, dann ist das Pflanzen der Setzlinge das kleinste Problem. Ein Baum im Urwald wird etwa 600 Jahre alt, im Wirtschaftswald, wo er also für die Holz- oder Bauindustrie gefällt wird, wird er in der Regel auch 100 Jahre oder älter. Wenn ein Unternehmen also heute einen Baum pflanzen lässt, damit die CO2-Emissionen kompensiert werden, müsste es theoretisch dafür bürgen, dass der Baum dort in 100 Jahren auch noch steht. Das macht aber de facto niemand.

Ein Tier könnte die Pflanze fressen, der Baum krank werden oder einem Waldbrand zum Opfer fallen. Ein Baum, aus dem heute eine Spanplatte wird, ist etwa vor drei Generationen "geboren". Der Begriff der Nachhaltigkeit kommt ursprünglich aus der Forstwirtschaft. Es soll nur so viel aus dem Wald entnommen werden, wie nachwächst. Das passiert in Österreich auch, in Österreich wird sogar weniger entnommen, als nachwächst. Einen Baum zu pflanzen ist also etwas anderes als dafür zu sorgen, dass er in 100 Jahren noch da ist. Programme, die Bäume pflanzen, richten oft unter dem Strich mehr Schaden an, als sie nutzen, schreibt eine Gruppe an Forschern in einer Studie.

4. Bäume sind Meister der Photosynthese

Weil auch bei radikaler Senkung der CO2-Emissionen der Klimawandel außer Kontrolle zu geraten droht, arbeiten Wissenschafter und Unternehmer an riesigen Maschinen, die CO2 aus der Luft entnehmen sollen. (Mehr dazu hier.) Die sind derzeit noch sündteuer und auch nicht besonders schön. Der Mensch versucht so künstlich zu schaffen, was Bäume seit Millionen Jahren machen: der Luft CO2 zu entnehmen. Das lässt sich am Beispiel einer 35 Meter hohen Fichte veranschaulichen. In 100 Jahren ist sie in etwa 1,4 Tonnen schwer, die Hälfte davon ist Kohlenstoff. Kommt er in die Luft, werden daraus 2,6 Tonnen CO2. Das ist in etwa ein Viertel der jährlichen Emissionen eines Durchschnittsösterreichers.

Im österreichischen Wald sind bis zu einer Milliarde Tonnen Kohlenstoff gespeichert, das ist das bis zu 45-Fache der jährlichen CO2-Emissionen. Global geht man davon aus, dass im Wald mehr Kohlenstoff gespeichert ist als in allen fossilen Energiereserven der Welt. Nicht nur in Österreich wächst der Wald: In der EU entnimmt der wachsende Wald pro Jahr etwa fünf Prozent der Emissionen, gemessen am Jahr 1990. Entscheidend gegen den Klimawandel helfen kann er trotzdem nicht: Den der Wald kann nicht unendlich wachsen. Und nur wenn er wächst, entnimmt er mehr CO2, als er ausstößt. Mit Maschinen geht das einfacher.

5. Bestehende Wälder zu schützen ist wichtiger, als Bäume zu pflanzen

Eine der verheerendsten Umweltentwicklungen der vergangenen Jahrzehnte auf der Welt ist das Abholzen von Regenwäldern für die Viehzucht, den Sojaanbau und Palmölplantagen. Pro Jahr sorgen sogenannte Landnutzungsänderungen laut Global Carbon Project, das ist vor allem Entwaldung, für zehn Prozent der globalen Treibhausgase. Als noch weniger Kohle und Öl verbrannt wurde, 1960, war die Entwaldung sogar für über 40 Prozent der Emissionen der Welt verantwortlich. Wer also mit Bäumen die Welt retten möchte, ist besser damit beraten, zu überlegen, wie Bäume erst nicht gefällt werden, anstatt neue zu pflanzen.

Denn auch für die biologische Vielfalt der Welt sind tropische Regenwälder essenziell, und das globale Artensterben lässt sich ohne Stopp der Entwaldung nicht einbremsen. Forscher mahnen bessere Anreize für die Bewohner dieser Regionen ein. Denn derzeit verdient man nur Geld damit, wenn man einen Baum fällt, ihn verkauft und dann vielleicht Rinder dort weiden lässt. Einen Baum stehen zu lassen ist ein gutes Geschäft für die Welt, denn er sorgt dafür, dass Lebensraum da ist, und verhindert durch die Speicherung von Kohlenstoff auch Klimaschäden. Aber davon hat der Einzelne nichts. Dafür muss öffentliches Geld fließen.

6. Der Wald ist auch in Österreich essenzieller Lebensraum

In Europa leben laut einer Studie etwa die Hälfte aller vorkommenden Arten auch im Wald. Insekten, Pilze, Vögel, die in absterbenden Bäumen ihre Bruthöhlen anlegen. "Verschiedene Spechtarten sind dafür oft Wegbereiter mit einigem an Nachmietern", sagt der Waldökologe Klaus Katzensteiner von der Boku. Anders als etwa auf Äckern und Wiesen, wo 17 Prozent der Vögel in Europa seit dem Jahr 2000 verschwunden sind, hat sich die Situation in den Wäldern wieder gebessert. "Der Wald hat sich in den 1990ern und frühen 2000ern erholt. Jetzt leidet er zunehmend unter den Klimaveränderungen", sagt Katzensteiner.

Der Borkenkäfer, der vielen Forstwirten Kopfschmerzen macht und sich bei warmem Wetter besser ausbreiten kann, ist nur ein Beispiel dafür. Für das weltweite Artensterben sind aber die Zahlen aus dem Wald eine seltene Erfolgsmeldung. Bei vorwiegend im Wald lebenden Vögeln ist die Population seit dem Jahr 2000 um neun Prozent gestiegen. Es gibt auch mehr Vielfalt im Wald, mehr ältere Bäume, Baumarten und auch mehr Totholz. Gerade Äste und Stämme von absterbenden Bäumen sind oft ein zentraler Lebensraum für Insekten und Pilze. Damit Totholz im Wald liegen bleibt, gibt es in Österreich auch Förderungen.

7. Sollte man den Wald am besten in Ruhe lassen?

Wenn es darum geht, wie man in Ländern wie in Österreich oder Deutschland am besten mit dem Wald umgeht, werden die Debatten schnell hitzig. Umweltschützer plädieren vor allem dafür, den Wald in Ruhe zu lassen. Würde man ihn weniger nutzen und die Bäume älter werden lassen, könnte der Wald in der Tat noch riesige Mengen an Kohlenstoff speichern und somit zum Bremsen des Klimawandels beitragen.

Der Holzbestand in Österreich beträgt derzeit 351 Vorratsfestmeter pro Hektar Wald, das heißt, das 351 Kubikmeter Holz auf einem Hektar Waldfläche vorhanden sind. Theoretisch sind 500 bis 700 Vorratsfestmeter möglich, wenn die Bäume älter, dicker und größer werden. Das hieße auch mehr CO2-Entnahme.

8. Holz wird aber auch für andere Dinge gebraucht

Jeder Waldbesitzer wird versuchen, sein Holz möglichst für hochwertige und langlebige Produkte wie etwa Küchentische zu verkaufen. Die Preise, die man dort dafür bekommt, sind doppelt so hoch wie bei Industrieholz. "Es ist ja eine Paradoxie, es wird aus etwas Rundem, dem Stamm, etwas Eckiges", sagt der Forstwirt Eckart Senitza. Dabei fielen etwa 40 Prozent an Resten an, das komme, genau wie schadhafte Bäume, in die thermische Verwertung, werde also etwa zu Hackschnitzeln gemacht und dann verheizt.

Wird aus einem Baum aber etwa Holz für ein Haus oder ein Möbelstück gewonnen, das dann für Jahrzehnte existiert, und es wächst ein neuer Baum nach, der wiederum CO2 aufnimmt, kann die Holzwirtschaft zur Senkung von CO2-Emissionen beitragen. Besonders effektiv ist das, wenn etwa beim Wohnbau Beton und Stahl mit Holz ersetzt wird. Denn sowohl bei der Produktion von Zement als auch bei der Gewinnung von Stahl werden Unmengen an CO2 freigesetzt.

9. Also was jetzt, stehen lassen oder nutzen?

Langfristig kann das Verbrennen von Holz klimaneutral sein, denn der Kohlenstoff, der beim Verbrennen in die Luft kommt, wurde ihr zuvor entnommen. Der Verbau von Holz in einem Wohnbau sorgt sogar für Negativemissionen. Eine Tatsache spricht aber dafür, zumindest in den nächsten 20 Jahren den Wald eher nicht intensiver zu nützen als derzeit: Bis ein nachwachsender Baum wieder netto CO2 bindet, vergehen zehn bis zwanzig Jahre.

Wer also jetzt einen Baum fällt und ihn verbrennt, kann zwar sagen: Der neue Baum fängt das wieder auf! Aber das dauert eben Jahrzehnte. Und weil viele Länder bis 2040 oder 2050 versuchen, ihre gesamten Emissionen auf null oder sogar unter null zu bekommen, ist der nicht gefällte Baum dafür bis dahin eher eine Hilfe, so eine Studie des Eco Instituts.

Melden Sie sich für den kostenlosen Newsletter an, um den nächsten Beitrag der Serie nicht zu verpassen. (Andreas Sator, 23.1.2022)