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Die havarierte Costa Concordia am 14. Jänner 2012, einen Tag nach dem Unglück, das 32 Menschen das Leben kostete.

Foto: AP / Gregorio Borgia

"Wir sind in einem Albtraum aufgewacht, in einer Art Apokalypse", erinnert sich Sergio Ortelli, damals wie heute Bürgermeister von Giglio. Wenige Hundert Meter vor der Hafeneinfahrt lag unvermittelt ein Schiff monströsen Ausmaßes, das sich immer weiter zur Seite neigte.

Man hörte in der Nacht des 13. Jänner 2012 verzweifelte Schreie, Rettungsboote fuhren zwischen Hafenmole und der Costa Concordia hin und her, bis schließlich mehr als 4000 Passagiere und Besatzungsmitglieder auf der kleinen Insel in Sicherheit gebracht waren. 32 Menschen überlebten die Havarie nicht: Sie ertranken in ihren Kabinen oder beim verzweifelten Versuch, das nahe Ufer im eisigen Wasser schwimmend zu erreichen.

Zweieinhalb Jahre lang lag die Costa Concordia vor der Insel, bis sie nach Genua zur Verschrottung abgeschleppt wurde. "Mit dem Verschwinden des Wracks haben wir zu unserer Ruhe, zu unserem Frieden und zu unserer Lebensweise zurückgefunden", sagt Ortelli. Äußerlich erinnere schon lange nichts mehr an die Costa Concordia: Das Meer sei sauber wie eh und je, sogar die Installationen am Meeresgrund, die für die Bergung des Schiffs notwendig waren, sind wieder abmontiert worden. "Aber in unseren Herzen ist diese Tragödie lebendig geblieben. Und das Andenken an die Toten soll uns helfen, ähnliche Fehler nie wieder zu machen", betont der Bürgermeister.

Die Fehler: Die resultierten in erster Linie aus einem Totalversagen, vor allem auch in moralischer Hinsicht, von Kapitän Francesco Schettino. "Wir waren von dem, was Schettino gemacht hat, völlig erschüttert. Und wir sind es bis heute", betont der ehemalige Seemann Giovanni Brizzi. "Wir sind selbst Fischer, Matrosen, Hafenarbeiter, Kapitäne", sagt der 70-Jährige, der selbst fünf Jahrzehnte zur See gefahren ist. Mit einem 290 Meter langen und 120.000 Tonnen schweren Schiff mit 40 km/h bis auf wenige Meter an eine Felsenküste heranzufahren sei "völlig absurd".

Fatale Feigheit

Das Schiff wurde von Felsen auf der Seite auf einer Länge von 70 Metern aufgeschlitzt. "Hätte der Wind die manövrierunfähige Costa Concordia statt in Richtung Insel auf das Meer hinausgetrieben, dann wären wahrscheinlich hunderte, wenn nicht tausende Menschen ums Leben gekommen", ist sich Brizzi sicher. "Weil das Schiff auf Grund lief, legte es sich zwar zur Seite, aber es ging nicht unter. Für die Evakuierung der Passagiere und der Besatzung war das entscheidend."

Doch das Schlimmste für die Inselbewohner war nicht das halsbrecherische Fahrmanöver des Kommandanten, sondern dessen Feigheit danach: Schettino hatte sich mit einem der ersten Rettungsboote in Sicherheit gebracht, statt auf dem Schiff zu bleiben und die Evakuierung zu organisieren. "Auf der Insel ging er als Erstes in ein Hotel, um zu fragen, ob es irgendwo weiße Socken zu kaufen gebe. Denn seine waren bei seiner Flucht nass geworden", sagt Brizzi. Er schämt sich noch heute für das unehrenhafte Verhalten seines Landsmanns Schettino. Dieser ist unter anderem wegen fahrlässiger Tötung in 32 Fällen, fahrlässigen Schiffbruchs und Falschaussagen zu 16 Jahren Gefängnis verurteilt worden und sitzt seine Strafe im römischen Rebibbia-Gefängnis ab.

Der Kapitän Schettino wurde zu 16 Jahren Haft verurteilt.
Foto: EPA/Maurizio Degl'Innocenti

Der ganze Vorfall wurde in Italien zu einem politisch und wirtschaftlich schwierigen Zeitpunkt als nationale Schmach empfunden. Die Costa Concordia wurde zur Metapher eines finanziell, wirtschaftlich und moralisch gestrandeten Landes – und Kapitän Schettino wurde im Volksmund zum "Berlusconi der sieben Weltmeere", eine Anspielung auf den skandalbehafteten Ministerpräsidenten jener Zeit.

Das Pendant zu dem besonnen agierenden Staatspräsidenten Giorgio Napolitano war Gregorio de Falco, Offizier der Küstenwache: Er forderte Schettino in der Unglücksnacht über Funk mit eindrücklichen Worten, allerdings vergeblich, auf, den Passagieren und der Besatzung beizustehen: "Kehren Sie zurück auf das Schiff, Sie Scheißkerl!"

Schettino beklagt in Interviews jetzt – zehn Jahr nach jener fatalen Nacht –, er sei der Sündenbock, der als Einziger büßen müsse. "Man wollte im Prozess einen Schuldigen finden, nicht die Wahrheit."

Positive Folgen einer Katastrophe

Heute findet man auf Giglio, bei allem Leid und der Trauer um die Toten, aber auch positive Seiten, erzählt Ferdinando Pazzaglia. Der Hafenarbeiter aus dem nahen Orbetello auf dem Festland heuerte wenige Tage nach der Havarie bei einer Bergungsfirma an, die zunächst die Habseligkeiten der Passagiere aus dem Schiff holte. Danach wurde das Schiff für das Abschleppen und die Verschrottung vorbereitet. "Zweieinhalb Jahre lang hatte ich eine interessante und schöne Arbeit", sagt Pazzaglia, "vor allem aber habe ich auf Giglio die Liebe meines Lebens gefunden." Pazzaglia hat geheiratet und ist auf der Insel geblieben.

Und er ist nicht der Einzige: "Zur Bergung der Costa Concordia waren hunderte Arbeiter, Ingenieure und Spezialisten aus der ganzen Welt beschäftigt: Etliche von ihnen haben auf Giglio eine Partnerin gefunden. Und es sind viele Bambini (Kinder) daraus entstanden."(Dominik Straub aus Giglio, 13.1.2022)