Wien – Martin Wäg fühlt sich von der Regierung im Regen stehen gelassen. Seine Warenhauskette Kastner & Öhler habe im Dezember innerhalb von drei Wochen acht Prozent ihres Jahresumsatzes verloren. Geschäft, das sich nicht mehr aufholen lasse, klagt der steirische Unternehmer. Bis auf Geld für die Kurzarbeit seiner Beschäftigten werde er dafür aus heutiger Sicht keinerlei finanzielle Entschädigung erhalten.

Wer einkaufen will, muss geimpft oder genesen sein. Die Polizei kontrollierte österreichweit am Dienstag mehr als 33.000 Mal.
Foto: APA

Ernst Mayr wartet nach wie vor auf 2,7 Millionen Euro, die er für seinen Textilhandel beantragt hat. Der Fussl-Eigentümer rechnet damit, dass er auf einen Gutteil davon verzichten muss. Norbert Scheele, der den Modekonzern C&A Österreich führt, hat rund um Fixkostenzuschuss und Verlustersatz eine noch etwas größere Rechnung mit dem Staat offen.

Mieten ungeklärt

Wann, wie viel und ob überhaupt Geld fließe, sei offen. Ebenso ungeklärt sei, wie es mit den Filialmieten weitergehe. Wie Fussl müsse auch C&A mit Unterstützung durch Kurzarbeit und Umsatzersatz bisher das Auslangen in der Krise finden, klagt Scheele. "800.000 Euro für 100 Geschäfte. Das war's."

Andrea Heumann, Chefin von Thalia Österreich, spricht von Umsatzeinbußen von 22 Prozent im Dezember im Vergleich zum Niveau vor der Pandemie. Damit falle die Buchhandelskette durch Förderungen durch. "Wir bleiben auf unseren Verlusten in der wichtigsten Saison des Jahres sitzen."

Financial Long Covid

Bis auf Kurzarbeit komme ein Gutteil der Hilfen im Handel nicht oder nur spärlich an, zieht Stephan Mayer-Heinisch, Präsident des Handelsverbands, Bilanz. "Unternehmen, die 2019 pumperlgesund waren, hinken mittlerweile auf Krücken daher." Bis zu 152 Tage waren Geschäfte hierzulande seit der ersten Corona-Welle geschlossen. Ohne frische Liquidität und eine Stärkung des Eigenkapitals drohe seiner Branche Financial Long Covid.

Der Handel dürfe nicht länger in Bürokratie ersticken, die Lohnnebenkosten gehörten gesenkt, und die zugesagte staatliche Unterstützung müsse endlich bei den Betrieben ankommen, fordert Mayer-Heinisch. Vor allem aber dürfe es keinen weiteren Lockdown geben. Dieser sei nicht mehr finanzierbar.

Scheele lässt wie andere Händler wöchentlich die Krankenstände seiner Mitarbeiter erheben. Jene ließen sich an einer Hand abzählen, sagt er. Masketragen, Abstandhalten und die kurze Aufenthaltsdauer in den Geschäften machten den Handel zu sicheren Aufenthaltsorten, versichert Wäg. Der jüngste Lockdown sei nicht gerechtfertigt gewesen – man verwehre sich gegen weitere. "Wir werden die Politik zur Verantwortung ziehen. In 22 Monaten muss es Lerneffekte geben."

Fall für die Justiz

62 Händler haben bereits Anfang Dezember eine Klage beim Verfassungsgerichtshof eingebracht. Sie fechten damit die behördliche Schließung nicht lebensnotwendiger Geschäfte im Zuge des vierten Lockdowns an, werten diese als Verstoß gegen das Grundrecht auf Eigentum und auf Erwerbsfreiheit.

Mayr ist wie Wäg einer dieser Händler, und er pocht auf Fairness: Der Handel müsse zum Schutz aller zusperren. Da dürfe man sich erwarten, dass alle etwas zu seinem Schutz beitrugen und dieser den Schaden nicht allein trage. "Österreich wird Steuerleistung benötigen. Die Betriebe müssen im Boot bleiben."

Rotes Licht für 2,1 Millionen Österreicher

Im ersten Corona-Jahr gaben 4000 Geschäfte auf, sagt Handelsverbandschef Rainer Will. Viele existierten mittlerweile nur noch auf dem Papier. Der seit 16. November geltende Lockdown für Ungeimpfte schließe 2,1 Millionen Menschen vom stationären Handel abseits der Supermärkte und Drogerien aus.

Karin Saey, die den Bereich Handel im Dorotheum leitet, erinnert an die hohe Belastung der Mitarbeiter, die angewiesen seien, ein gutes Viertel der Bevölkerung nicht mehr zu bedienen. Viele Betriebe könnten sich Corona-Prämien für ihr Personal nicht leisten. Saey appelliert daher an den Staat, Gutscheine oder Lohnsteuerbefreiungen zu finanzieren.

Die Kurzarbeit während der Lockdowns beschneide das Einkommen zahlreicher Familien und alleinerziehender Mütter, fügt Rainer Gössl, Country-Manager der Accessoirekette Depot, hinzu. Die fehlende Planungssicherheit reiche weit ins Privatleben hinein.

33.000 Kontrollen

Seit Dienstag sind Handelsmitarbeiter zudem verpflichtet, den 2G-Nachweis ihrer Kunden zu kontrollieren. Die Polizei wiederum überprüfte ihre Kontrollen – exakt 33.000 Mal am ersten Tag. Dabei wurden 180 Übertretungen festgestellt, ließ VP-Innenminister Gerhard Karner am Mittwoch wissen.

Handelsmanagern geht angesichts der "Aktion scharf" die Galle hoch. "In den Skigebieten spielt es Hüttengaudi. Ausbaden darf es der Handel. Ein gutes Bild ergibt das nicht", sagt Wäg. Wer in Gondel einsteige, dürfe sich über Corona-Cluster nicht wundern, hält Will, ein gebürtiger Schladminger, nüchtern fest.

Bändchen und Stempel als Eintrittsticket in den Handel, die in Deutschland weit verbreitet sind, findet mit bisher lediglich in einzelnen Einkaufscentern, ebenso digitale Zutrittslösungen, die der Markt bereits anbietet.

Einzelkämpfer wie Andreas Stadler, der in Linz Artikel rund ums Baby verkauft, klagen über Probleme mit der Web-App-Lösung Greencheck, die eine einfache Kontrolle des grünen Passes beim Eintritt ermöglichen soll, ohne persönliche Daten zu übermitteln. Zahlreiche Scanner scheiterten Stadler zufolge an dieser Aufgabe. (Verena Kainrath, 12.1.2022)