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Dem Lehrpersonal in Frankreich reicht es.

Foto: AP / Michel Spingler

Ein Spaßvogel schrieb in den sozialen Medien, Frankreich gehe es offenbar wieder besser, wenn der öffentliche Dienst zur guten alten Streiktradition zurückfinde. Die Lehrer waren seit Beginn der Covid-Krise nicht mehr auf die Straße gegangen und hatten trotz ihrer exponierten Lage das Offenhalten der Schulen gewährleistet.

Doch jetzt haben sie genug. Oder, mit den Worten ihrer größten Gewerkschaft Snuipp-FSU, "ras-le-bol", die Nase voll. Am Donnerstag blieben nach ersten Schätzungen drei Viertel des Lehrpersonal der Kindergärten und Grundschulen zu Hause. In den Mittelschulen war die Präsenz etwas höher; doch auf allen Ebenen mussten Direktoren den gesamten Unterricht absagen. Das ist auch ein Schlag gegen die Regierungspolitik, die in Frankreich darauf abzielt, die Schulen – und damit letztlich auch die Wirtschaft – um jeden Preis offen zu halten.

Mit Unterstützung der Eltern

Mehrere Gewerkschaften freuten sich über die "historische Mobilisierung". Die Streikbeteiligung lag in der Tat außergewöhnlich hoch. Ungewöhnlicherweise schlossen sich auch Elternverbände wie FCPE dem Streikaufruf an.

Konkret richtet sich der Protest gegen die sich ständig ändernden Testvorschriften. Die einzelnen Schulklassen müssen ihren Unterricht fortsetzen, selbst wenn mehrere Ansteckungsfälle registriert werden. Für diese Fälle hatte Bildungsminister Jean-Michel Blanquer nach Neujahr ein neues Impfprotokoll in Kraft gesetzt, das ab dem fünften Lebensjahr einen regelrechten Testmarathon vorsieht: Nach einem Soforttest am ersten Tag müssen sich die Kinder am dritten und fünften Tag erneut ein Stäbchen in die Nase stecken lassen.

Viele Eltern begehren dagegen auf. Blanquer änderte daraufhin die Regel ein erstes, wenige Tage später ein zweites Mal. Das hat laut Snuipp-FSU zu einem "unbeschreiblichen Durcheinander" geführt, weil selbst die Schulleiter nicht mehr wüssten, wann welche Schüler welchen PCR- oder Antigentest durchführen müssen. In allen Schulklassen lichtete sich der Bestand, tausende mussten dennoch gänzlich geschlossen werden.

Gegen den Bildungsminister

Der Streik war nicht dazu angetan, das Chaos zu mindern. Immerhin half das verbreitete Homeoffice vielen Eltern beim Beaufsichtigen der Kinder. Für die anderen Eltern gibt es an den Schulen an sich einen "minimalen Empfangsdienst", bestehend aus der Zusammenlegung mehrerer ausgedünnter Klassen. Auf diese Vermischung wurde aber häufig verzichtet, um die Omikron-Verbreitung nicht zu fördern.

In den meisten Großstädten organisierten die Gewerkschaften Großdemonstrationen. Hauptzielscheibe war Blanquer. Der etwas steife Bildungsminister hatte die Lehrer zusätzlich aufgebracht, als er sagte, es mache doch keinen Sinn, "gegen ein Virus zu streiken". In den sozialen Medien erhielt er allerdings auch Zustimmung. Ein Vater von drei Kindern schrieb, die von Blanquer verordnete Lockerung – heute genügt für "Kontaktfälle" ein Antigentest in der Apotheke, gefolgt von zwei Selbsttests zu Hause – sei aufgrund der Umstände durchaus passend.

Alleingelassene Lehrer

Der Protest richtet sich allerdings nur vordergründig gegen die Tests. Die schlecht bezahlten und vom Staatsapparat unpersönlich behandelten Lehrer fühlen sich ähnlich wie die Pflegebediensteten nämlich an der Covid-Front sich selbst überlassen. Die Staatsführung macht nicht den Eindruck, dass sie viel Empathie für diese hauptbetroffenen Berufsgruppen hat. Präsident Emmanuel Macron, der eher mit herablassenden Sprüche von sich reden macht, scheint mehr mit seiner Wiederwahl im April als mit den Nöten der öffentlich Bediensteten beschäftigt zu sein.

Blanquer lässt er deshalb elegant im Regen stehen. Sollte das Schulchaos anhalten, wäre der Minister ein bequemes Bauernopfer, mit dem sich Macron aus der Schusslinie halten könnte.

Für den Staatschef kommt der Lehrerstreik zum unpassendsten Moment, verstärkt er doch drei Monate vor der Präsidentenwahl das Gefühl, dass die Regierung die Krise nicht so souverän meistert, wie es Macron gerne behauptet. Die Lehrer- und Elternverbände erhielten nicht von ungefähr Unterstützung durch die übrigen Präsidentschaftskandidaten. Zu ihnen gehörte sogar der Polemiker Éric Zemmour, der sonst gerne gegen die "linke" Lehrerschaft zu Felde zieht. (Stefan Brändle aus Paris, 13.1.2022)