Haare bis zu den Knöcheln: Kaiserin Elisabeth und ihre Versatzstücke drehen am Volkstheater Wien in einer neuen Revue beherzt ihre Runden.

Foto: Marcel Urlaub

Wien

Was reimt sich auf Sisi? Natürlich AC/DC. Im ersten Anschein haben die österreichische Kaiserin (1837–1898) und die australische Hardrockformation zwar nicht viel gemeinsam, aber die Tagebucheintragungen der einen sehen den Liedtexten der anderen zum Verwechseln ähnlich. Das beweist die neue Volkstheater-Produktion Ach, Sisi – Neunundneunzig Szenen von Rainald Grebe.

Der deutsche Liedermacher mit Theater affinität (Gorki-Theater Berlin, Schauspielhaus Hannover) will den Sisi-Mythos nicht der Fernsehdoku-Welt überlassen und hat sich für den aktuellen Volkstheater-Neustart den gut vermarkteten Kult um die sportliche, depressive, rauchende, sturköpfige, diätversessene, drogenabhängige, stets flüchtige und schließlich in Genf ermordete Monarchin vorgenommen.

Im Stil beschwingter Franz-Wittenbrink-Arbeiten ziehen im derzeit auf 500 Plätze reduzierten Haupthaus (kein PCR-Test notwendig) neunundneunzig abgezählte Klein- und Kleinstszenen vorbei, eine Revue mit mal mehr, man weniger Zugkraft, ohne eigentlichen Kern, aber mit vielen vertonten Texten aus dem Poetischen Tagebuch der Kaiserin. Sisi hat bekanntlich, inspiriert von Heinrich Heine, heimlich gedichtet. Alles heute im Buchhandel erhältlich.

Sisi-Top-Band

Ein Beispiel: "O Schwalbe, leih’ mir deine Flügel, / O nimm mich mit ins ferne Land, / Wie selig sprengt’ ich alle Zügel, / Wie wonnig jedes fesselnd’ Band!" Gar nicht übel. Für den entsprechenden Sound sorgt die dreiköpfige Band Sisi-Top (sic!), die zwischen Wienerlied, Klassik und Pop am Bühnenrand das Sagen hat (Leitung: Jens-Karsten Stoll).

Das Grundkonzept der Inszenierung ist simpel: Während auf einer großen Bühne eine kitschige "Sissi"-Tournee-Show abläuft, blickt das Volkstheater-Publikum auf deren Rückseite und nimmt backstage, wo ein vom vielen "Sissi"-Geflüster schon leicht derangierter Inspizient (Uwe Schmieder) vor einem bunt leuchtenden Pult seinen Dienst versieht, die kritische Perspektive ein. Und wird der unschönen Seiten im Leben Elisabeths gewahr, des Untergangs der Habsburger und der Eigenheiten der Residenzstadt Wien.

Ungarisch lernen

Ein Deutscher erklärt den Wienern die Sisi? Grebe wappnet sich mit urwienerischer Un terstützung: Zwei Herren aus Favoriten erklären auf Video, wie man das Wort Piefke richtig ausspricht ("Biffgä"), und die Laiendarstellerin Susanna Peterka hält als Zeitzeugin der romantisierten Wiener Nachkriegszeit (Karlheinz Böhm!) Einzug. Ein Highlight des Abends ist das Reenactment einer süßlichen Ernst-Marischka-Filmszene mit den unsüßlichen Schauspielerin Andreas Beck und Anke Zillich.

In einer Seitenloge schaltet sich sporadisch der Rocksender 88.6. mit einer "Langen Sisi-Nacht" dazwischen. Studiogast der Moderatoren (Anna Rieser und Christoph Schüchner) ist Erzherzogin Sophie (Zillich), die der individualitätsgesteuerten Gegenwart die Leviten liest. Weiters: Morgentraining der Spanischen Hofreitschule, Walzertanzen auf fahrenden Stühlen, Reifrockkriechen, Erzherzog-Johann-Jodler, Sisi-Merchandising (Tilla Kratochwil) etc. Trotz seiner Durchhänger wird dieser besonders im ersten Teil pfiffige Abend eine Stütze im Programm des Volkstheaters werden. Ungarisch lernt man dabei auch – von Balázs Várnai. (Margarete Affenzeller, 13.1.2022)