"Unpacking" erzählt die Geschichte einer Frau, deren Leben man anhand ihrer Umzugskartons verfolgt.

Foto: Witch Beam

Wenn die großen Publisher in Jahresrückblicken nicht über Spiele, sondern über neue Monetarisierungsmöglichkeiten reden und wenn ich für dumm verkauft werde, wenn mich regelmäßig halbfertige Spiele zum Beta-Tester degradieren, dann muss man den stillen Protest einmal in nachhaltiges Tun umwandeln. In meinem Fall wird das eine zunehmende Abkehr von den immer seelenloser werdenden Blockbuster-Games sein und ein Umarmen der Indie-Titel, die die Branche für mich noch retten können.

Pixel-Liebe

Ich liebe Videospiele. Speziell die großen Blockbuster haben es mir in den letzten Jahrzehnten angetan. Besonders dann, wenn das Dargebotene immer neue technische Grenzen durchstößt und mir fantastische Welten schenkt oder historische Schlachtfelder nachzeichnet, die auf meinem alten SNES nicht möglich gewesen wären. Aber die Branche hat sich verändert – ist den Kinderschuhen entwachsen. Das äußert sich in mehreren Faktoren.

Spieleentwicklung ist teuer geworden – speziell wenn man Hundertschaften an Mitarbeitern durchfüttern muss. 4K, 100 Stunden Spielzeit, komplexe Multiplayer-Modi, teils exorbitante Erwartungshaltungen und die zunehmende Fragmentierung der Spielerschaft machen es den großen Studios zunehmend schwer, wirklich gute und gleichzeitig erfolgreiche Produkte abzuliefern. Das äußert sich in unendlichen Verschiebungen oder halbfertigen Spielen, wie uns nicht nur die jüngste Vergangenheit gezeigt hat.

Spiele wie das durchwachsene "Battlefield 2042" zeigen, dass es immer schwieriger wird, teure Produktionen ohne Kompromisse zu veröffentlichen.
Foto: EA

Wenn mit nur einem Flop 100 Millionen Dollar versenkt werden, dann verringert sich auch die Risikofreude bei den Investoren. Warum dann trotzdem ein inhaltlicher Fleckerlteppich wie bei "Battlefield 2042" oder mangelnde Patch-Bereitschaft bei "Call of Duty: Warzone" passieren können, will man eigentlich nur erahnen. Das Trends-Nachhecheln etwa, ohne diese selbst zu gestalten. Man überlegt lieber, wie man digitale Güter, die jetzt von den Spielern schon wie irre gekauft werden, mithilfe von Non-Fungible Tokens (NFTs) noch umsatzstärker machen kann, anstatt sich wieder auf die Grundfesten guter Spiele zu besinnen.

Am Ende füllt kaum noch ein Verantwortlicher die Rolle aus, ein gutes Spiel machen zu wollen oder zu können – und wenn, dann hängen die Ketten der vielen Interessen einer solchen Großproduktion zu schwer an den Handgelenken, als dass der Arm zum Protest erhoben werden könnte.

Dieser langsame Untergang der übergroßen Produktionen hat eine totgesagte Lücke aufgemacht: Spiele, die in kleinem oder mittlerem Rahmen Geschichten erzählen wollen und/oder witzige Spielkonzepte bieten. Meist noch immer als "Indie" bezeichnet, habe ich in diesem Segment aktuell meinen spielerischen Seelenfrieden gefunden.

Ist das noch Indie?

Über den Beginn des Indie-Hypes vor etwa 20 Jahren schrieb der Autor Rainer Sigl in einer seiner Kolumnen: "Damals stand Independent für eine Alternative zum Normalfall in der Spieleindustrie." Heute ist diese Alternative der Normalfall. Dabei ist Indie schon lange nicht mehr ausschließlich das Zwei-Mann-Team, das erste Gehversuche in virtuellen Welten unternimmt. Viele Indie-Studios setzen sich aus ehemaligen Größen der Szene oder Splittergruppen namhafter Studios zusammen.

Im letzten Jahr sorgten Überraschungstitel wie "Kena: Bridge of Spirits", das nach den ersten Videos von vielen Spielern für ein AAA-Game gehalten wurde, und das kooperative Action-Spiel "It Takes Two" für offene Münder. Letzteres wurde zwar von Electronic Arts publiziert, hinter dem Spiel stecken allerdings die Macher von dem aus dem Jahr 2013 stammenden Indie-Hit "Brothers: A Tale of Two Sons". Beide Spiele haben trotz ihrer völlig unterschiedlichen Zugänge eines gemeinsam: Man hat das Gefühl, dass hier viel Herzblut hineingeflossen ist. Man hat das Gefühl, diese Spiele wurden gemacht, weil sie gemacht werden wollten.

Genau diesen "Vibe" spüre ich auch, wenn ich mich aktuell durch ein paar Indie-Vertreter der letzten Jahre spiele. In "Unpacking" erfahre ich die Geschichte einer Person, indem ich ihre Umzugskartons in jedem Lebensabschnitt einmal auspacken und verstauen darf. In "Lacuna" erlebe ich einen spielbaren Krimi, und in "Omno" staune ich, wie ein einzelner Entwickler ein Spiel mit so viel Charme und Spielwitz schaffen konnte. Auch erwähnt werden soll das Action-Game "Hades", das bereits 2020 etliche Preis einheimste und sich zu einem auf allen Plattformen gut verkauften Mini-Blockbuster entwickelte.

Meist dauern die Spiele nicht länger als vier bis zehn Stunden, was meinem engen Zeitkorsett sehr entgegenkommt. Anstatt in "Far Cry" oder "The Division" dutzende Stunden mit ähnlichen Aufgaben zu verbringen, kann ich in derselben Zeit zehn völlig unterschiedlich erzählte Geschichten erleben. Sicher, manche davon sind eine simple Aneinanderreihung bekannter Rätselelemente oder eine moderne Interpretation von Klassikern wie "Kid Icarus". Auch muss man in Sachen Hauptcharakter Flexibilität zeigen. Anstatt eine sportliche Frau oder ein muskelbepackter Mann zu sein, ist man in diesem Bereich des Gamings auch einmal ein Rattenprinz, eine glänzende Kugel oder ein kleiner Junge ohne Hintergrundgeschichte. Bei der schieren Auswahl ist es allerdings unwahrscheinlich, dass nicht jeder Spielertyp sein Glück in diesem Brunnen an Ideen findet.

Ohne PC muss ich zudem nicht gezwungenermaßen die Early Access spielen, die bei Indie-Titeln zumindest ausgeschildert ist, sondern warte auf den Release auf den diversen Konsolen, wo ich bisher noch keinen unfertigen Titel gefunden habe. Ein Segen, wenn man bisher treuer Kunden bei Firmen wie Ubisoft oder Electronic Arts war. Im Xbox Game Pass sind zudem meist drei bis vier Titel inkludiert, bei Nintendo und Sony finden sich auch viele Titel in der "Nice Price"-Region beziehungsweise zahle ich für ausgewählte Titel auch gerne 40 Euro und erkaufe mir dafür Freiheit gegenüber Microtransactions, überbezahlten digitalen Sammlereditionen oder anderem Schnickschnack.

Im Indie-Bereich lässt man sich in Sachen Storytelling oftmals kreative Ansätze einfallen. Der spielbare Krimi "Lacuna" präsentiert sich hier verhältnismäßig klassisch.
Foto: DigiTales Interactive

Nicht ausgrenzen

Der Markt an Blockbustern schrumpft. Das hat neben den erwähnten Problemen auch den Grund, dass langlebige Service-Games wie "Fortnite", "League of Legends" oder "Rainbow Six Siege" Spieler über Jahre begleiten und sie aus dem Neukaufmarkt heraussaugen. Auf Steam erscheinen pro Woche 200 Spiele, von denen ebenfalls einige zu Überraschungshits werden, auch weil man oftmals während der Entwicklungsphase die Spieler miteinbezieht. Ja, Spieler wissen manchmal, was sie wollen – nicht alle, aber viele.

Für mich persönlich ist das keine schlechte Entwicklung. Viele große Studios haben in den letzten Jahren vor allem durch interne Probleme und halbfertige Spiele von sich reden gemacht. Größere Ausnahmetitel wie "God of War Ragnarok" oder "Hellblade 2" möchte ich mir natürlich trotzdem in diesem Jahr genauer ansehen. Ich lasse mich keinesfalls guter Spieleerfahrungen berauben, nur weil so manch schwarzes Schaf die Branche torpediert. Weiterhin will ich Spiele erleben, die technische Grenzen verschieben und mich in Welten ziehen, die ich bis dahin nicht virtuell hätte sehen können.

Mein Blick wird aber im Gegensatz zu den vergangenen Jahren weitläufiger über die Spielelandschaft schweifen und mir so mit Sicherheit den Spaß am Spielen zurückgeben. (Alexander Amon, 16.1.2022)