Achternbusch und die bayrische Volksseele: ein sehenswertes Verhältnis.

Foto: APA / dpa / Felix Hörhager

Für die dringend erforderliche Verzeichnung des Freistaates Bayern auf dem Globus der Avantgarde hat kaum jemand Bedeutenderes geleistet als Herbert Achternbusch. Seine Weltzentrale verlegte dieser Schöpfergott und Weißbier-Anarchist vom Geburtsort München in dessen weitere Umgebung: nach Ambach am Starnberger See. Seine größten Erfindungen verdankte Achternbusch, Jahrgang 1938, einzig und allein seinem Dick- und Sturschädel. Denn bloß, weil etwas dem Gemeinverstande nach auf der Hand lag, ließ es dieser einzig legitime Erbe des großen Karl Valentin noch lange nicht gelten.

Als Zahnarztsohn und studierter Maler verfasste er früh wunderbar großspurige Romane ("Die Alexanderschlacht", 1971), in denen er merkwürdige Kurzschlüsse herstellte, Analogien zwischen lieblich antiken Gefilden und hinterstem bayerischen Wald. Achterbusch schrieb unbeirrt lauter Passionstexte: Suaden, in denen er auf Plot und Plausibilität großzügig Verzicht leistete. Mit dem Irrsinn der Welt nahm er es beherzt und hohnlachend auf. Aber er stellte ihn – aus purer Großzügigkeit und reiner autobiografischer Willkür – mit Leichtigkeit in den Schatten.

Herbert Achternbusch selbst in seinem Film "Mix Wix" (1989).
Foto: imago/United Archives Mix Wix (D 1989)

Achternbusch verstand es von Anfang an, sich in alle Richtungen möglichst ungleichmäßig auszudehnen. Als er etwa Ende der 1970er-Jahre begann, Dramatiker zu werden und sukzessive die Theater zu erobern, gab er mit dem ganzen Grant, der ihm mühelos zu Gebote stand, folgende Absicht zu Protokoll: "Über mich kann ich nicht schreiben, das hat Kafka erledigt, wie Hölderlin Gott. Jetzt gehört die Gesellschaft erledigt."

Private Mythologie

Während ihn die Granden der allmächtigen Landespartei CSU immer häufiger mit Unflat übergossen ("schlicht und einfach eine Sauerei!"), brachte er seine Heimatliebe besonders nachdrücklich zum Ausdruck: "In Bayern mag ich nicht einmal gestorben sein." Noch nicht einmal in Grönland sei es derart herzabschneidend kalt wie im Freistaat (gezeigt im Film "Servus Bayern", 1978). In der Zwischenzeit bildete er das Leben in Bayern getreulich und strikt privat-mythologisch auf Zelluloid ab. Auch andachtsstarr, mit den wütend brummenden Fliegern der Alliierten anno 1944/45 am Himmel.

Skandal: In "Das Gespenst" stieg Achternbusch als Jesus vom Kreuz einer Klosterkirche und eröffnete gemeinsam mit einer Oberin eine Bar in Bayern. In Österreich wurde der Film verboten.
Foto: Jörg Schmidt-Reitwein / Herbert

Wer jemals einen von fast 30 Achternbusch-Filmen gesehen hat, einen dieser flackernden Versuche, der Volkskultur eine lange Nase zu drehen und ihr trotz alledem verhaftet zu bleiben ("Jo, losst du mei Moss in Rua…!?"), der wird das urbayerische Idiom nie wieder für drollig halten. Als sein eigener, bester Schauspieler stieg er bei Bedarf sogar vom Kreuz herunter, wurde Oberkellner und freite ohne falsche Scham eine liebenswürdige Schwester Oberin ("Das Gespenst", 1982).

Achternbusch konnte entgeistert dreinblicken wie Buster Keaton. Sein Trotz war entwaffnend, die Poesie surreal, die Suaden, die er in strenger Ordnung langer Nebensatzreihen vom Stapel ließ, kaum enden wollend. Damit brachte er die CSU mitsamt ihrem Kraftkerl Franz Josef Strauß verlässlich gegen sich auf. Und erzwang Verbote, wie dasjenige von "Das Gespenst" wegen angeblicher Blasphemie im benachbarten Österreich.

Der studierte Maler brachte wild-naive Ansichtssachen auf Pappe, Putz und Tapete.
Foto: Herbert Achternbusch

Kauz mit Hut

Als Dramatiker errichtete er Volksfiguren Monumente, so wie in "Gust" (1985), als sein Freund und verlässlicher Mitarbeiter Josef Bierbichler einem alten, skurrilen Bauern mit wegwerfender Geste Statur verlieh. Achternbusch, der Zeiten stagnierender Nachfrage auch im österreichischen Waldviertel verbrachte, blieb stets sein eigener Mittelpunkt: Wo er war, war auch der Aberwitz zu Hause: "Diese Gegend hat mich kaputtgemacht, und ich bleibe so lange, bis man ihr das anmerkt."

In der Zwischenzeit malte er: wild-naive Ansichtssachen auf Pappe, Putz und Tapete. Bilder einer Welt, die gut war, weil aus den Fugen. Er schnitzte Holzfiguren. Zuletzt, schon zurück in München und kränkelnd, verwandelte der Kauz mit Hut sein letztes Refugium in eine finster lockende Höhlenwelt voller expressiver Zeichen. "Du hast keine Chance aber nutze sie": Das stand auf der Rückseite seines Schriftenbandes "Wind" (1989). Vor einem seiner Domizile schrieb er hin: "Schwimmen auf der Wiese und Gehen auf dem Teich verboten!" Kunststück: Den Erlöser hatte er schon selbst gespielt. Jetzt ist das Originalgenie Achternbusch 83-jährig in München gestorben. (Ronald Pohl, 14.1.2022)