Etwas über eine Stunde dauert die mit Popsongs, Videos und einem Selbstversuch angereicherte Performance, in der Frauen über ihre Erfahrungen mit dem Squirting sprechen.
Foto: Alexi Pelekanos

Gut, wenn das Publikum einer Performance während derselben Buchtipps bekommt. Zum Beispiel Stephanie Haerdles Spritzen, erschienen vor zwei Jahren in der Reihe Nautilus Flugschrift. Und nein, darin geht es nicht um Impfungen, sondern um die weibliche Ejakulation. Genau diese hat die Wiener Choreografin Christine Gaigg (62) während diverser Lockdowns eingehend untersucht.

Jetzt ist das Ergebnis bei der Uraufführung von Gaiggs fachliterarisch gepolstertem Stück Go for it let go im Tanzquartier Wien (TQW) zu erleben. Etwas über eine Stunde lang gibt es da Sexualkundeunterricht für alle, laut Website "empfohlen ab 18 Jahren": staubtrocken in der Form, aber spritzig im Inhalt. Dafür arbeitet die Künstlerin auf der Bühne mit einer Gruppe mutiger Mitstreiterinnen zusammen, die bereit sind, öffentlich über ihre Erfahrungen mit dem Squirting zu sprechen. Großes Plus: Die Lehrstunde ist kaum peinlich, weder für die Performerinnen noch fürs Publikum.

Sex als Leistungssport

Squirting, erfahren wir, liegt nach langer Tabuisierung und Verheimlichung seit einigen Jahren voll im Trend. Für Interessierte gibt es einschlägige Workshops, bei denen den teilnehmenden Paaren gezeigt wird, wie es richtig geht. In Go for it let go bleibt die Lehre vom Entsaften der weiblichen Prostata – wissenschaftliche Bezeichnung: Glandula paraurethralis – übrigens glücklicherweise nicht nur auf geschlechterbinäre Positionen beschränkt.

In berührenden Worten wird die Unterschiedlichkeit im Erlebnis des "Spritzens" aus diversen Perspektiven geschildert: Das hat man so vielleicht doch noch nicht vernommen. Lustig hört sich die locker eingeflochtene Männerverarschung an: wenn ein Stolz zur Sprache kommt, den etliche Lover empfänden, wenn sie ihre Sexualpartnerinnen zur Ejakulation gebracht haben. Hartnäckig hält sich eben die Auffassung vom Sex als Leistungssport.

Vom Tabu zum Trend

Das trifft auch die Frauen. Denn schon ist die Rede von jenen, die ejakulieren "können". Je trendiger das Ejakulieren als "Lifestyle-Ding" (Gaigg) wurde, desto mehr wollten diese Fähigkeit halt selbst haben. Die sozialen Medien sind ins Aufmerksamkeitsgeschäft eingestiegen, schon war der Weg hin zu überschäumenden Fontänen geebnet. "Wenn etwas vermarktet werden kann, wird es vermarktet", gibt sich Christine Gaigg auch da aufgeklärt.

Go for it let go ist ein mit Popsongs – von Cardi B, Lady Bitch Ray und Schapka – aufgeschäumtes Gespräch, eine dokumentarische Performance inklusive Videodemonstration. Ein Live-Selbstversuch der Gruppe am Ende kommt allerdings doch zu dick aufgetragen daher.

An sexuellen Themen arbeitet sich Gaigg seit 2014 ab, damals – inhaltlich dringlich, aber künstlerisch schauerlich – unter dem Titel Maybe the way you made love twenty years ago is the answer?. Doch Go for it let go wird gerade durch seine formalen Schwächen authentischer. Die Pandemie produzierte mit: Weil zwei der Performerinnen in Quarantäne sind, wurden sie bei der Premiere durch akustische Einspielungen, Fotos und ein Körperdouble ersetzt. Das hat dem Stück zu einer lebendigeren Form verholfen. (Helmut Ploebst, 14.1.2022)