Als der Mann in der Polizeiinspektion auftauchte, habe er sichtlich gezeichnet gewirkt. Schwellungen im Gesicht, blaue Flecken und eine verschobene Nase, sogar das Reden sei ihm während seiner Einvernahme schwergefallen. So werden die Ermittler ihren Eindruck des Mannes später protokollieren.

Es ist keine gewöhnliche Schlägerei, die die Beamten hier festhalten. Das mutmaßliche Opfer spielt eine Schlüsselrolle in einer der größten strafrechtlichen Ermittlungen der vergangenen Jahre: jener gegen mutmaßliche Muslimbrüder in Österreich. Die Ermittlungen wurden unter dem Namen "Operation Luxor" bekannt, als im November 2020 in mehreren Bundesländern großangelegte Razzien stattfanden. Es gibt mittlerweile mehr als hundert Beschuldigte. Einzelne Verfahren wurden allerdings bereits eingestellt.

Die Vorwürfe wiegen schwer. Es geht um Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, Terrorfinanzierung und Geldwäscherei. Und das vermeintliche Prügelopfer, selbst Beschuldigter in der Causa, lieferte den Verfassungsschützern Hinweise, die sie offensichtlich für seriös genug hielten: Er skizzierte den Behörden, zunächst als anonymer Hinweisgeber, den mutmaßlichen Führungszirkel der Muslimbrüder in Österreich.

Eineinhalb Jahre und viele Einvernahmen später dürfte der Hinweisgeber von mehreren ihm nicht wohlgesinnten Männern in der Nähe seiner Wohnung abgepasst worden sein – DER STANDARD berichtete. Könnte die Offenheit gegenüber den Behörden dem Hinweisgeber zum Verhängnis geworden sein?

Neo-Kanzler Karl Nehammer inszenierte die "Operation Luxor" als Innenminister bemerkenswert öffentlichkeitswirksam. Mehr als ein Jahr später ist auf politischer Ebene keine Rede mehr davon.
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Zwischen den beiden Vorgängen soll es einen Zusammenhang geben. Zumindest geht die Polizei davon aus. Für den Verfassungsschutz ist das "offensichtlich", wie aus einem Bericht dazu hervorgeht. Alle Beteiligten der Schlägerei, auch das mögliche Opfer selbst, dürften wenigstens eine historische Verbindung zu dem Verein Liga Kultur bzw. einer Jugendorganisation in dessen Umfeld aufweisen. Dabei handelt es sich um einen Verein, der in den Ermittlungen als "das Zentrum" der Muslimbruderschaft in Österreich betrachtet wird.

Auf den ersten Blick ist das schwer zu erkennen – die Muslimbruderschaft gilt schließlich auch als Geheimorganisation. Doch zumindest einer der Gründer der Liga Kultur bekannte sich in der Vergangenheit in einem Interview mit einem arabischen Fernsehsender offen dazu, ein Kader der Muslimbruderschaft in Österreich zu sein.

Die Liga Kultur ließ eine Anfrage unbeantwortet, ebenso die Jugendorganisation mit oben erwähntem Naheverhältnis.

"Großer Hass"

Auch eine Zeugin sagte aus, dass ihr das mögliche Opfer erklärt habe, "dass sie sich alle schon länger von einem Verein kennen". Der zugerichtete Hinweisgeber sprach von einem möglicherweise geplanten Vorfall und fühlte sich an die "Scharia-Polizei" erinnert.

Der mutmaßliche Haupttäter wirkte auf die Ermittler dann "manipulierend und auffällig theatralisch". Gröbere Verletzungen konnten sie bei ihm nicht wahrnehmen. Er gab allerdings an, starke Schmerzen im Gesicht und im Bereich der rechten Brust zu verspüren. Eigentlich habe das angebliche Opfer begonnen, auf ihn einzuschlagen, gibt er zu Protokoll. Er habe sich nur gewehrt. Auf dem Spitalsbefund des Mannes wurde jedenfalls eine Kopfverletzung eingetragen.

Als Motiv für die Tat gab das vermutete Opfer an, dass er in der muslimischen Gemeinde "den Ruf eines Verräters" habe, weil er als "Informant des ägyptischen Geheimdienstes und der österreichischen Polizei" gesehen werde. Deshalb hätten sehr viele Personen einen "großen Hass" auf ihn.

Enttarnung

Dass der Mann bezüglich der "Operation Luxor" mit dem Verfassungsschutz gesprochen hat, legten nicht zuletzt die Ermittler nur wenige Wochen vor der Schlägerei selbst in den Akten offen. Für den einst "anonymen Hinweisgeber" besteht aus Sicht der Behörden trotz laufenden Verfahrens interessanterweise "kein schutzwürdiges Interesse mehr". Vor seiner Offenlegung wollte der Informant jedenfalls in einer Beschuldigtenvernehmung zur Causa nichts mehr sagen.

Dass es sich bei ihm um den Hinweisgeber handelt, davon gingen Anwälte und Beschuldigte aber schon länger aus, weil dessen Ausführungen aus einem Abhörprotokoll nahezu ident auf dem Durchsuchungsbefehl für die dutzenden Razzien in der Causa landeten. Fraglich ist, wie seriös die Informationen des Mannes tatsächlich waren. Zumindest im Fall eines Beschuldigten befand das Oberlandesgericht Graz, dass es sich primär um Einschätzungen handle. (Vanessa Gaigg, Jan Michael Marchart, 18.1.2022)