Die Affäre zeigt, wie gespalten die Gesellschaft aufgrund der Pandemie ist, sagt der Schriftsteller Franzobel im Gastkommentar: Es mangelt an Zwischentönen. Lesen Sie dazu auch den Gastkommentar von Politikwissenschafter Vedran Džihić: Eine serbische Heldensaga.

Am Montag beginnen die Australian Open. Ob Novak Djokovic dabei sein wird, ist noch offen. Sein Visum wurde annulliert, am Sonntag soll eine Anhörung vor Gericht Klarheit schaffen.
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Jesus hat Blinde sehend gemacht, eine Ehebrecherin vor der Steinigung gerettet, Fische wie Brot vermehrt und andere Wunder vollbracht, aber er hat keinen einzigen Grand Slam gewonnen. Er konnte übers Wasser gehen, jedoch keinen ordentlichen Slice oder Topspin schlagen. Wahrscheinlich war der Messias überhaupt kein begnadeter Tennisspieler. Auch fällt es schwer, ihn sich in Shorts, weißen Socken und Sportschuhen vorzustellen.

Eltern haben häufig ein verzerrtes Bild von ihren Sprösslingen, aber Srdjan Djokovics Jesus-Vergleich ging weit ins Aus. Sohn Novak verweigert den Stich mit einer Impfnadel, während der Erlöser vierfach gepiesackt worden ist. Auch stellt sich die Frage, als was sich der Vater des serbischen Tenniswunderknaben dann selbst sieht? Als gutmütigen, etwas lendenlahmen Joseph? Oder als Gott? Und wie hält es Mutter Dijana Djokovic mit der unbefleckten Empfängnis? Jessasmaria! Trotzdem gibt es Parallelen zwischen dem Welterlöser und dem Weltranglistenersten. Beide sind fast gleich alt, beide werden gekreuzigt – Letzterer nur medial. Und beide haben Wunder gewirkt.

Eigene Spielregeln

Gut, Jesus hat Tote auferweckt, Novak nur schlafende Hunde. Der Erlöser konnte Kranke heilen, während der Tennisstar bloß einen positiven Corona-Nachweis samt Genesung hervorgezaubert hat. Der Nazarener verwandelte Wasser in Wein, Djokovic ein Abstrichsekret in Spike-Proteine. Beide scheinen bei ihren Zeitgenossen nicht gerade beliebt zu sein – Jesus hat mit seiner Tempelreinigung die Wirtschaftskammer gegen sich aufgebracht, Novak wollte sich als Ungeimpfter über Einreisebestimmungen hinwegsetzen und seine eigenen Spielregeln festlegen.

Der Serbe, sonst ein passabler Volley-Spieler, ist im Netz gelandet und hat sich in einem Kokon aus Widersprüchen verstrickt. Entweder war er am 16. Dezember Corona-positiv und daraufhin ein extrem unverantwortlicher Ignorant von Quarantäneregeln, oder er hat sich, worauf manches hindeutet, die Positivtestung erschlichen, um in Australien einreiten zu dürfen. Beides keine Kavaliersdelikte. Als wissentlich Infizierter herumzureisen und Interviews zu geben ist kriminell. Testergebnisse kaufen ebenso.

Stolz oder Gutgläubigkeit?

Ein Gutteil der Häme, die dem vielleicht besten Tennisspieler aller Zeiten nun um die Ohren gepfeffert worden ist, rührt daher, dass die Menschen es satthaben, dass manche gleicher sind als andere, sich mit ihren Millionen alles kaufen können. Jeder andere einfache Holzklassetourist wird als Ungeimpfter auch nach sechzehnstündiger Flugodyssee auf Nimmerwiedersehen in den erstbesten Retourflug gesetzt. Bootsflüchtlinge kommen für Monate in menschenunwürdige Hotels mit madiger Verköstigung, was auch Djokovic streifen durfte, oder werden in Internierungslagern jahrelang gefangen gehalten.

Die Crux beim fiskusscheuen Wahlmonegassen Djokovic ist, dass er es sich eben nicht gerichtet hat. War es aus Stolz, Dummheit oder Gutgläubigkeit? Jedenfalls hat er sich keinen Impfstatus gekauft, was ihn als Multimillionär nicht viel gekostet hätte. Fast fühlt man sich an Cissy Kraner erinnert, die dereinst gesungen hat: Ob angezogen oder als ein Nackter, der Novak hat am ganzen Leib Charakter.

Aussie als Pontius Pilatus

Geboostert hätte er sich das ganze Theater jedenfalls erspart. So aber musste ihm sein persönlicher Pontius Pilatus, ein australischer Einwanderungsminister namens Alex Hawke (Spitzname Hawk-Eye), das Visum entziehen, und es steht zu befürchten, dass die Sache in einen fünften Satz geht. Mit etwas Pech wird der neunmalige Australien-Open-Champion nicht nur schimpflich vertrieben, sondern obendrein mit dreijährigem Bannfluch belegt. Von seinen Gegnern werden Djokovics Rückschläge gefürchtet. Auf dem Platz ist er dafür bekannt, in Bedrängnis mit unwahrscheinlichen Returns zu kontern. Ob ihm das neben dem Centercourt nun auch beim Supreme Court gelingt? Eher unwahrscheinlich.

Gut, dass es sich nur um einen Sportler handelt, sagte Bruno Kreisky dereinst auf dem Heldenplatz neben Karl Schranz, dem österreichischen Johannes der Täufer in Sachen Sportfanatismus. Nun ist halb Serbien ganz aus dem Häuschen und steht kurz vor einer Kriegserklärung. Mitglieder des britischen Königshauses sollten aktuell besser nicht durch Sarajevo gondeln. Der Export von Ajvar und Ćevapčići Richtung Australien wurde bereits gestoppt, und in Belgrad rotten sich mit Tennisbällen bewaffnete Nationalisten zusammen, um auf Flößen Richtung Melbourne aufzubrechen, die schwerste Demütigung der serbischen Nationalseele seit dem Amselfeld zu tilgen oder zumindest einen Tiebreak zu erzwingen.

Gnadenlose Grabenkämpfe

Gut, die Bibel wird wegen eines Tennisspielers nicht umgeschrieben werden, aber die Affäre zeigt, und das ist wesentlich dramatischer, die Spaltung der Gesellschaft durch die Pandemie. Ob ein Spieler bei einem Turnier antreten darf, ist (außer für Entourage, Sponsoring und Fans) ziemlich Blunzen. Auch die restriktiven, ja beschämenden Einreisebestimmungen eines rechtskonservativ regierten Landes interessieren mich hier Leberwürste, was aber wirklich zu denken gibt, und das zeigt diese leidige Affäre sehr, ist die Unerbittlichkeit, mit der aktuell die Grabenkämpfe der Gläubigen ausgefochten werden. Da gibt es keine Zwischentöne mehr, wird nur noch stöhngebrüllt wie Monika Seles einst.

Von Jesus gibt es mit der Bergpredigt ein Manifest der Liebe. Er hat die Dämonen in Schweine gebannt und eine Klippe hinabgejagt. Der neue Messias kommuniziert mit Instagram. Sein Fall scheint die Schweinereien wieder heraufzubeschwören. Nicht Novak benötigt eine Auferstehung, sondern die pandemiegebeutelte, in Meinungsbastionen verschanzte Gesellschaft. Amen. (Franzobel, 15.1.2022)