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Hat schon bessere Zeiten gesehen: Boris Johnson.

Foto: Reuters / Henry Nicholls

Am Freitag musste sich Regierungschef Boris Johnson beim Staatsoberhaupt, der Queen, entschuldigen: Entgegen geltenden Corona-Bestimmungen und während einer Periode offizieller Staatstrauer hatten am Vorabend von Prinz Philips Begräbnis im April rund 30 Mitarbeiter der Regierungszentrale auf zwei Partys bis in den Morgen hinein gefeiert. Die Episode mache erneut deutlich, kritisierte Labour-Oppositionschef Keir Starmer, dass Johnson "das Amt des Premierministers gravierend beschädigt" habe.

Wird hinter der schwarzen Tür mit der goldenen 10, dem weltbekannten Amtssitz in der Downing Street, gelegentlich auch regiert? Die Frage stellte sich am Freitag, nachdem die Londoner Medien zum wiederholten Mal genüsslich Details von Lockdown-Partys ausgebreitet haben. An jenem Aprilabend verabschiedeten sich ein langjähriger Pressesprecher sowie ein Fotograf von ihren jeweiligen Teams; erlaubt waren zu dieser Zeit keinerlei Feiern außerhalb der eigenen Familie, auch draußen durften sich die Briten lediglich mit Menschen aus zwei anderen Haushalten treffen.

Queen Elizabeth musste sich alleine von ihrem Gemahlen verabschieden. In der Downing Street wurde hingegen trotz Lockdowns gefeiert.

Dem konservativen "Telegraph" zufolge betätigte sich eine enge Mitarbeiterin Johnsons als DJ; ein junger Mitarbeiter wurde mit einem Koffer zur örtlichen Coop-Filiale geschickt, um die sich lichtenden Weinvorräte aufzufrischen. Als mit zunehmender Alkoholisierung im Partykeller zunehmend die Teppiche in Mitleidenschaft gerieten, verlagerte sich das Geschehen in den weitläufigen Garten, der Öffentlichkeit von früheren Partyszenarien wohlbekannt. Johnson selbst weilte mit Frau und einjährigem Sohn auf seinem Landsitz Chequers.

Rasche Reaktion

Wenigstens hielt sich die Regierung diesmal nicht lang mit hinhaltenden Statements auf. Als Erstes entschuldigte sich der Ex-Pressesprecher und heutige Vize-Chefredakteur des Boulevardblatts "Sun", James Slack, bei den Briten für den verursachten "Schmerz": "Die Party hätte nicht stattfinden sollen." Später legte Johnsons amtierender Sprecher nach: Es sei "zutiefst bedauerlich, dass dies in einer Periode der Staatstrauer geschah".

Bereits am Mittwoch hatte sich der Regierungschef im Unterhaus entschuldigt, weil er im Mai 2020 – auch damals gegen alle Corona-Regeln – an einer Party im Garten der Downing Street teilgenommen hatte. Den Rücktrittsforderungen Starmers sowie der anderen Oppositionsparteien haben sich mittlerweile fünf Tory-Abgeordnete angeschlossen, darunter die Vorsitzenden zweier Ausschüsse. Auch der Chef der schottischen Parteigliederung, Douglas Ross, sowie dessen einflussreiche Vorgängerin Ruth Davidson haben Johnsons Demission verlangt. Viele englische Parteimitglieder fürchten sich vor den Kommunalwahlen im Mai; in den Umfragen liegt Labour derzeit um bis zu zehn Prozentpunkte vor den Tories.

Hingegen verweisen Johnson und seine Kabinettsmitglieder auf die Untersuchung der mittlerweile 14 bekannten Lockdown-Partys durch die Spitzenbeamtin Sue Gray. Deren Bericht werde "kein kriminelles Handeln" zutage fördern, behauptete am Freitag die "Times" – ein klarer Versuch der Regierungs-Spindoktoren, den Vorwürfen schon vorab die Spitze zu nehmen. Denn Lockdown-Verstöße wurden generell nicht als Verbrechen behandelt, in Tausenden von Fällen zogen sie aber teils saftige Bußgelder nach sich.

Peinlicher Kontrast

Bei den jüngsten Enthüllungen über die Doppelparty kontrastiert das Verhalten der Mitarbeiter in der Regierungszentrale auf peinliche Weise mit den Vorgängen auf Schloss Windsor. Zum Trauergottesdienst in der riesigen Georgskirche am 17. April waren lediglich 30 Menschen zugelassen, Elizabeth II musste allein in der Kirchenbank Platz nehmen. Das Foto von der trauernden Witwe mit schwarzer Gesichtsmaske ging um die Welt.

Für Johnson entscheidend dürfte sein, welchen Empfang einfache Parteimitglieder und die Bevölkerung den Tory-Abgeordneten in ihren jeweiligen Wahlkreisen bereiten. Die BBC ließ am Freitag zwei Vorsitzende von Ortsvereinen zu Wort kommen. Während Andrea Thorpe (Maidstone bei London) einen neuen Partei- und Regierungschef für nötig hält, sprach ihr Kollege Tom Ashton von "Durchstechereien, die der Regierung schaden sollen". Tatsächlich wirken die Enthüllungen der vergangenen sieben Wochen sorgfältig inszeniert; mindestens einige dürften auf das Konto von Johnsons früherem Chefberater Dominic Cummings gehen, der den Premierminister mittlerweile für "völlig unfähig" hält.

Solange die Unterhausabgeordneten diese Einschätzung nicht teilen, bleibt der 57-Jährige einstweilen, wenn auch geschwächt, im Amt. (Sebastian Borger aus London, 14.1.2022)