Solange die Parteigänger der extremen Rechten davon ausgehen, dass sie Anspruch auf Dinge haben, die ihnen in Wahrheit nicht gehören, nutzt es wenig, ihnen zu erklären, worum es in der Demokratie wirklich geht, sagt der Politologe Jan-Werner Müller im Gastkommentar.

Die Ermittlungen des Untersuchungsausschusses des US-Repräsentantenhauses zum 6. Jänner sind von einem umfassenden Bericht über den Angriff auf das Kapitol im letzten Jahr noch weit entfernt; vor leichtfertigen Generalisierungen über die Aufrührer sollte man sich daher hüten. Im Idealfall wird der Ausschuss ausreichende Beweise finden, um eine strafrechtliche Verweisung an das Justizministerium auch für die Hauptverschwörer und nicht nur für das Fußvolk vorzunehmen. Trotzdem dürften einige grundlegende Aussagen zu den Aufrührern unstrittig sein. So wissen wir, dass viele der am Angriff auf den Sitz der US-amerikanischen Demokratie Beteiligten sich als standhafte Verteidiger der US-Verfassung betrachteten. Haben sie einfach die Fakten missverstanden?

Privilegierte weiße Männer

Ein Schlüssel zum Verständnis der Vorkommnisse liegt in einem Phänomen, das weit rechts stehende Parteien und Bewegungen länderübergreifend kennzeichnet: dem Versprechen, den privilegierten Status weißer Männer wiederherzustellen, die der Meinung sind, dass Frauen, die Natur und die Maschinerie der Demokratie letztlich ihnen gehören. Das Kapitol wurde von Angreifern "in Besitz genommen", die eine erstaunliche Anspruchsmentalität an den Tag legten und Slogans wie "Wessen Haus? Unser Haus!" skandierten. Beobachter, die anmerkten, dass sich die Aufrührer fast wie Touristen verhalten hätten, interpretierten das Gesehene falsch. Touristen – insbesondere gottesfürchtige konservative – sehen im Allgemeinen davon ab, die Stätten, die sie besuchen, in ungesetzlicher Weise in Beschlag zu nehmen, zu verunstalten oder vorsätzlich zu zerstören.

Eine tiefere Erkenntnis zu den Ereignissen jenes Tages stammt von der deutschen Philosophin Eva von Redecker. Inspiriert von den medizinischen Phänomenen des Phantomschmerzes und der Phantomgliedmaßen prägte sie kürzlich den Begriff "Phantombesitz", um den neuen Autoritarismus unserer Zeit zu erklären.

Der "Phantombesitz"

Jahrhundertelang hatten weiße Männer in den Vereinigten Staaten das Recht, vieles – darunter auch Menschen – als ihr persönliches Eigentum zu beanspruchen. Die natürliche Umgebung konnte einfach in Besitz genommen werden, und von Frauen wurde erwartet, im Einklang mit dem Konzept der "Coverture" – der rechtlichen Unterwerfung gegenüber dem Ehemann – für Sex zur Verfügung zu stehen und verschiedene Formen der Pflege zu erbringen. Dass ihre reproduktiven Kapazitäten der Kontrolle der Männer unterlagen, verstand sich von selbst.

Die nordamerikanischen Kolonisten nahmen Gebiete in Beschlag, die davor zur terra nullius (Land, das niemandem gehört) erklärt worden waren, obwohl dort bereits viele Menschen gelebt hatten. Und während (weiße) Frauen nicht als Eigentum ge- und verkauft werden konnten, hatte die "Coverture" zur Folge, dass Frauen faktisch der Kontrolle der Männer unterstanden.

Wut und Ressentiments

Wie der afroamerikanische Wissenschafter W.E.B. Du Bois festgestellt hat, diente das Recht zur Unterdrückung bestimmter Gruppen lange als Entschädigung für arme Weiße, die selbst einer Form von Herrschaft unterlagen. Ein Gefühl relativer Überlegenheit erzeugte einen "psychologischen Lohn", der dazu beitrug, die bestehende Sozialstruktur intakt zu halten.

Inzwischen hat sich vieles verändert. Und obwohl es sich nicht schnell genug verändert hat – selbst Schweden weist noch immer ein geschlechtsbedingtes Lohngefälle von mindestens fünf Prozent auf –, war der gesellschaftliche Wandel ausreichend stark, um Wut und Ressentiments über Phantombesitztümer hervorzubringen, die politisch weit rechts stehende Bewegungen in aller Welt kennzeichnen.

"Ein Akt der Zerstörung kann dazu dienen, zu beweisen, dass einem etwas gehört."

Ein Markenzeichen des modernen Eigentums ist, dass man damit im Allgemeinen machen kann, was man will. Wie der große britische Jurist William Blackstone im 18. Jahrhundert erklärte, ist Eigentum "jene alleinige und despotische Herrschaft, die ein Mann über die externen Dinge der Welt beansprucht und ausübt". Und gemäß dem Code Napoleon bestand ein Vorrecht des Eigentums darin, es missbrauchen oder sogar zerstören zu dürfen.

Diese rechtliche Vorstellung hat eine psychologische Dimension: Ein Akt der Zerstörung kann dazu dienen, zu beweisen, dass einem etwas gehört. Diese Dynamik zeigt sich in grauenvoller Weise, wenn sich Männer entschließen, die Frauen, die sie zu lieben behaupten, zu töten oder zu verstümmeln, statt ihre Emanzipation zu tolerieren.

So gesehen überrascht es womöglich nicht, dass die meisten der Aufrührer Männer waren, von denen viele sich militärisch ausstaffiert hatten und taten, als befänden sie sich im Gefecht gegen angebliche Feinde der US-Verfassung. Der Mann, der im Büro der Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi seine Füße auf einen Schreibtisch legte, brachte damit seinen Anspruch auf eine "despotische Herrschaft" zum Ausdruck und versuchte, den Phantombesitz Realität werden zu lassen.

Anspruch auf "despotische Herrschaft".
Foto: EPA / Jim Lo Scalzo

Solange die Parteigänger der extremen Rechten davon ausgehen, dass sie Anspruch auf Dinge haben, die ihnen in Wahrheit nicht gehören, nutzt es wenig, ihnen zu erklären, worum es in der Demokratie wirklich geht, oder darauf hinzuweisen, dass sie genau das angreifen, was wertzuschätzen sie behaupten. Wenn sich die US-Demokratie nicht genau so darstellt, wie sie sie sich vorstellen – als ausschließlicher Besitz weißer Männer –, werden sie sie lieber zerstören, als zuzulassen, dass sie den Bedürfnissen von Mehrheiten Rechnung trägt, die People of Color mit einbindet.

Angriff auf Frauenrechte

Natürlich lässt sich eine extrem rechte Politik nicht komplett auf Frauenfeindlichkeit reduzieren. Die Anhängerschaft der extremen Rechten war immer eine Minderheit; was daher am wichtigsten ist, ist, ob weit rechts stehende Parteien und Politiker Koalitionen bilden können, die einen breiter angelegten Kreis von Gruppen zufriedenstellen. Donald Trump etwa sprach ein gewisses Segment der Reichen an, das an Deregulierung und Steuererleichterungen interessiert war.

Trotzdem verspricht, wie Shirin Ebadi und andere Nobelpreisträgerinnen in einem Essay anmerken, "die grundlegende autokratische Übereinkunft" eine "Wiederherstellung der privaten Privilegien von Männern und wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Eliten im Austausch gegen deren Hinnahme der Erosion demokratischer Freiheiten". Sie sieht daher einen systematischen Angriff auf alles vor, was weiblichem Selbsteigentum ähnelt, nicht zuletzt auf die reproduktiven Rechte der Frauen, die in Hochburgen der politischen Rechten – zuletzt in Polen, Mississippi und Texas – massiv eingeschränkt wurden.

Weitere Akte nicht ausgeschlossen

Es ist verführerisch, die Wut der extremen Rechten als Anzeichen dafür zu betrachten, dass sich die Dinge letztlich insgesamt zum Besseren wandeln. In dieser Erzählung sind es die Aufrührer, die in einem aussichtslosen Kampf den "Widerstand" bilden. Doch diejenigen, die unter Trump, dem brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro und Polens faktischem Führer Jarosław Kaczyński gelitten haben, tragen – wie die Opfer der Terroristen vom 6. Jänner und ihre Familien – noch immer die Kosten. Eine komplette Umkehr der Emanzipation von Frauen und Minderheiten mag ein rechtsextremes Hirngespinst sein, doch weitere Akte der Zerstörung durch weiße Männer, die nach alleiniger despotischer Herrschaft streben, sind mehr als wahrscheinlich. (Jan-Werner Müller, Übersetzung: Jan Doolan, Copyright: Project Syndicate, 17.1.2022)