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Russische Militärübungen nahe der ukrainischen Grenze sorgen nicht nur in Kiew für Unruhe. Die Angst vor einem Krieg ist in den vergangenen Tagen nicht kleiner geworden.

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Die Woche der Krisendiplomatie war noch gar nicht zu Ende, da hagelte es im Konflikt zwischen Russland und dem Westen bereits neue Anschuldigungen. Wie Sicherheitsforscher von Microsoft in der Nacht auf Sonntag berichteten, sei auf mehreren Computern ukrainischer Regierungsbehörden eine Schadsoftware entdeckt worden, die die Geräte auf Befehl des Angreifers zerstören könne.

Zum möglichen Ursprung der Attacke äußerten sich die Experten nicht. Bei früheren Cyberangriffen gegen die Ukraine war der Verdacht westlicher Behörden immer wieder auf russische Hacker gefallen, die zum Teil mit Geheimdiensten in Verbindung stünden.

Erst am Freitag hatten ukrainische Behörden einen massiven Cyberangriff auf staatliche Institutionen gemeldet. Betroffen waren etwa die Websites des Regierungskabinetts, des Außenministeriums sowie des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft.

Spiel mit der Angst

Der Sicherheits- und Verteidigungsrat in Kiew, selbst ebenfalls Opfer der Attacke, vermutete die Urheber zunächst im Umfeld belarussischer Geheimdienste. Die Software ähnle allerdings einem Programm, das auch Hacker aus dem Dunstkreis russischer Geheimdienste nutzen würden. Moskau wiederum weist jede Verwicklung in die Vorfälle zurück.

Nicht nur, dass das Tauziehen um die Schuldzuweisung der aktuellen Krise rund um die Ukraine neue Nahrung gibt. Anlass zur Sorge gab auch der Wortlaut jener Botschaft, die für einige Zeit auf der Internetseite des ukrainischen Außenministeriums zu lesen war: "Habt Angst und rechnet mit dem Schlimmsten", stand da in ukrainischer, russischer und polnischer Sprache.

Gespräche ohne Annäherung

Das "Schlimmste", das wäre wohl ein Kriegsausbruch im Osten Europas. Und die Verhandlungen, die vergangene Woche auf gleich mehreren Ebenen geführt wurden, haben kaum zur Beruhigung beigetragen. Am Montag hatten sich Vertreter Russlands und der USA in Genf getroffen, am Mittwoch berieten, erstmals seit zweieinhalb Jahren, die Nato-Staaten und Russland miteinander. Am Donnerstag schließlich wurde in Wien auch noch im Rahmen der OSZE verhandelt.

Greifbare Ergebnisse blieben aus. Nach wie vor fordert Russland vom Westen "Sicherheitsgarantien", insbesondere einen Stopp der Nato-Erweiterung. Die Ukraine, einst Teil der Sowjetunion, dürfe niemals Mitglied der Nato werden. Der Westen wiederum lehnt diese Forderungen ab: Jedes Land könne selbst entscheiden, ob es sich einem Bündnis anschließen wolle oder nicht.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow nannte die Situation in einem am Sonntag ausgestrahlten Interview mit dem US-Sender CNN "beunruhigend". In einigen Punkten herrsche Einigkeit, sagte er zwar. In Grundsatzfragen bestünden jedoch weiterhin "völlig gegensätzliche" Positionen. Auf die Frage nach einer möglichen russischen Invasion in der Ukraine sagte Peskow, dies wäre "verrückt". "Niemand bedroht irgendjemanden mit einer Militäraktion." Wenn die Nato nicht auf die Forderungen eingehe, sei Russland aber "bereit, Vergeltungsmaßnahmen zu ergreifen", sagte Peskow weiter.

Sorge um Gaslieferungen

Viele befürchten nun, dass die Diplomatie bereits in der Sackgasse gelandet sei. Jen Psaki, die Sprecherin des Weißen Hauses, berichtete von "Informationen, die darauf hindeuten, dass Russland bereits eine Gruppe von Agenten aufgestellt hat, um eine False-Flag-Operation im Osten der Ukraine durchzuführen". So könnten von Moskau eingesetzte Agenten unter ukrainischer Flagge gegen prorussische Separatisten in der Ostukraine vorgehen und Russland einen offiziellen Grund dafür liefern, im Donbass einzumarschieren.

Die USA und die EU versuchen angesichts der verhärteten Standpunkte, ihr Vorgehen zu koordinieren. US-Außenminister Antony Blinken und EU-Chefdiplomat Josep Borrell seien entschlossen, "eine starke, klare und vereinte transatlantische Front zu bilden", erklärte der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) am Samstagabend nach einem Telefonat der beiden.

Im Fall eines russischen Angriffs auf die Ukraine hat der Westen mit Sanktionen gedroht. Um umgekehrt mögliche Engpässe bei russischen Gaslieferungen nach Europa auszugleichen, sondiert die US-Regierung laut Insidern mit Energiekonzernen bereits Notfallpläne. Die EU bezieht rund ein Drittel ihres Gases aus Russland. (Gerald Schubert, 16.1.2022)