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Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sprach bei einem Nato-Treffen in Riga über russische Cyberangriffe auf sein Land.

Foto: AP / Roman Koksarov

Es mag eine bewährte Verhandlungstaktik sein: immer ein bisschen mehr zu fordern, als man erreichen zu können glaubt. Wer jedoch die Latte allzu hoch ansetzt und seinen Wunschzettel noch dazu der gesamten Weltöffentlichkeit präsentiert, bevor überhaupt Gespräche begonnen haben, der verkleinert den eigenen Handlungsspielraum – und geht ein hohes Risiko ein, das Gesicht zu verlieren.

Im Konflikt um die Ukraine muss Russland von Anfang an gewusst haben, dass die eigenen Forderungen zu weit gehen. Würde die Nato zusagen, keine Truppen oder Waffen in Ländern zu stationieren, die nach 1997 beigetreten sind, käme das der Einführung einer Mitgliedschaft zweiter Klasse gleich. Auch das Ansinnen Moskaus, zukünftige Erweiterungen explizit auszuschließen, bewegt sich diplomatisch auf allzu dünnem Eis: Die Länder, um die es eigentlich geht, allen voran die Ukraine, würden gar nicht erst gefragt.

Überzogene Erwartungen

Doch auch dem Westen muss klar sein, dass das geopolitisch mit allen Wassern gewaschene Russland seine überzogenen Erwartungen sehenden Auges formuliert. Sie deshalb nicht ernst zu nehmen, ist ebenfalls ein Spiel mit dem Feuer, doch viel Spielraum hatten auch die USA und die Nato nicht. Mit "der Pistole am Kopf " lässt es sich schlecht verhandeln, wie US-Außenminister Antony Blinken es formuliert hat.

Vor diesem Hintergrund war das Scheitern der diversen Gespräche vorige Woche ein Scheitern mit Ansage. Das Ergebnis: Neue Hackerangriffe gegen die Ukraine begleiten das immer lauter werdende Säbelrasseln. Die Kriegsangst steigt, in Europa verstärkt sich die Sorge, dass Russland den Gashahn zudrehen könnte. Insider berichten von Notfallplänen, die hinter den Kulissen bereits geschmiedet werden.

Druck erzeugt Gegendruck

Wer nun kühlen Kopf bewahren und den Spielraum der jeweils anderen Seite nicht weiter einschränken will, sollte jetzt kein Öl ins Feuer gießen. Dass etwa in der Ukraine seit Sonntag alle überregionalen Zeitungen in ukrainischer Sprache erscheinen müssen und das Russische damit weiter zurückgedrängt wird, ist wenig hilfreich. Und auch der Kreml muss erkennen, dass Druck Gegendruck erzeugt. Wenn neulich sogar bei Russlands Nachbarn im Norden, im neutralen Finnland, die Möglichkeit eines Antrags auf eine Nato-Mitgliedschaft diskutiert wird, dann zeigt das: Moskaus Muskelspiele haben geringe Chancen auf Erfolg – aber viel Eskalationspotenzial. (Gerald Schubert, 16.1.2022)