In seinem Gastblog überlegt der Ökonom Herbert Walther, welche Anreize besser geeignet wären, um die Menschen zur Impfung zu bewegen.

Alle seriösen Experten, die Regierung und Teile der Opposition sind sich einig, dass es unbedingt notwendig wäre, die Impfquote zu erhöhen, um eine weitere Phase der drohenden Überlastung der Intensivkapazitäten (mit entsprechenden Kollateralschäden für alle auf Intensivbetten angewiesenen Patienten und Patientinnen) und weitere Lockdowns zu vermeiden. Mit der am Sonntag präsentierten Impfpflicht ist klar, dass am Ende ein enorm kompliziertes, aufwendiges Verfahren steht, das zu zahlreichen Berufungsverfahren gegen verhängte Strafbescheide führen und viele weitergehende, komplizierte Rechtsfragen aufwerfen wird. In einem pessimistischen Szenario wird am Ende der Verfassungsgerichtshof, der gelegentlich dem Prinzip "Es soll Gerechtigkeit geschehen, und gehe die Welt darüber zugrunde" zu folgen scheint, einzelne Bestimmungen aufheben: mit der absehbaren Folge, dass verhängte Geldstrafen zurückgezahlt werden müssen und die Regierung blamiert ist.

Wer eine Impfpflicht per Verwaltungsstrafrecht durchsetzen will, muss zuallererst die zentrale Frage beantworten, wie man mit Menschen, die sich in einer quasi-religiösen, fundamentalistischen Impfgegnerschaft seelisch eingebunkert haben, umgehen will. Bis zum Existenzminimum pfänden, auch wenn es sich um eine alleinerziehende Mutter von drei Kindern handelt? Zuletzt ab ins Gefängnis und wie lange? Das alles ist natürlich – Gott sei Dank – weder politisch noch rechtlich möglich. Überdies würde man durch überharte Sanktionen die Radikalisierung der Impfgegner nur befördern: Geht man nach den Plakaten und Abzeichen auf Demonstrationen, dürften sich manche Impfgegner ja geradezu danach sehnen, endlich einen Märtyrerkranz zu erlangen …

Der Weg über das Verwaltungsstrafrecht hat aber auch noch den Nachteil, dass eine sehr große Zahl von Verfahren das System der Sanktionierung selbst über längere Zeit lahmlegt, eine Schwäche, die radikale politische Nutznießer der Situation selbstverständlich ausnützen werden. Dazu kommt, dass stichprobenartige Kontrollen einer Lotterie gleichen, bei der die wenigen, die es zufällig als erste erwischt, sich besonders ungerecht behandelt fühlen. Auch die Vorgangsweise der Kontrollorgane wird sicher nicht einheitlich sein, emotionale Eskalationen sind möglich. Ein Rechtsstaat, der seine Normen nicht in fairer Weise durchsetzen kann, verliert aber an Glaubwürdigkeit – genau das, was sich diese radikalen Kräfte wünschen.

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Welche Anreize könnten Impfgegner überzeugen, sich impfen zu lassen?
Foto: AP/Kristopher Radder

Anreize für jene, die die Impfung vor sich herschieben

Gibt es einen einfacheren Weg, um die Spreu jener, die sich aus sektiererischer Überzeugung partout nicht impfen lassen wollen, von der Mehrheit jener zu trennen, die eine Entscheidung "nur" vor sich herschieben, aber im Prinzip für eine Impfung doch noch zu gewinnen wären?

Manche aus der letzteren, "weichen" Kategorie rechtfertigen ihre "Aufschieberitis" mit subjektiv rationalen, rein egoistischen Gründen ("wenn alle anderen sich impfen lassen, wird die Pandemie eh von alleine verschwinden, dann bin ich sowieso geschützt"); manche verdrängen die Gefahr ("mir wird schon nichts passieren, mein Immunsystem ist zu stark"), manche verkrampfen sich in einer allgemeinen, aber (noch nicht absolut) "fundamentalistischen" Protesthaltung gegenüber "denen da oben". Manche würden sich vielleicht sogar impfen lassen, stehen aber unter dem Druck von Familienmitgliedern oder ihrer sozialen Bezugsgruppe. Und manche warten nur deshalb ab, weil sie durch "Fake-News" und selbsternannte Pseudoexperten in sozialen Medien so sehr verunsichert wurden, dass sie die weitere Entwicklung einfach nur abwarten wollen.

Ein Teil dieser Impfverweigerer wäre möglicherweise mit – verhaltensökonomisch sinnvoll konzipierten – Anreizen zu motivieren, sich doch noch impfen zu lassen. Solche Anreize müssten negative und positive Elemente enthalten, jeder einseitig konzipierte Ansatz hat demgegenüber gravierende Nachteile. Mein Vorschlag lautet: Alle Ungeimpften (mit Ausnahme jener, die sich, amtsärztlich (!) bestätigt, nicht impfen lassen können) müssen befristet einen um 30 Prozent erhöhten Krankenversicherungsbeitrag entrichten, bis sie sich freiwillig vollständig impfen lassen. Wenn sie dies tun, können sie sich aber 90 Prozent des gesamten bis zum Impfzeitpunkt einbezahlten Sonderbeitrags wieder zurückholen.

Dies hätte erstens den Vorteil, dass sich die Gruppe der Ungeimpften den finanziellen Impfanreiz selbst finanziert, was aus Sicht der Geimpften gerechter wäre. Zweitens würde der positive Anreiz im Lauf der Zeit immer stärker – weil ja der "angesparte" Betrag nicht verfällt und monatlich wächst. Drittens wäre so ein Sonderbeitrag automatisch einkommensabhängig, sodass der Vorwurf, dass sich Reiche leichter freikaufen können, ins Leere zielt. Viertens würde man "gläubige" Impfgegner zwar auch mit solchen Anreizen nicht zu einer Impfung bewegen können. Möglicherweise würden sie es aber vorziehen, sich "freizukaufen" und heldenmütig auf die mögliche Auszahlung des gesamten angesparten Betrags verzichten. Aber sie sollen dies im Versicherungsmodell auch dürfen.

Bessere Lösungen als Verwaltungsstrafen?

Ist dies wirklich die schlechtere Lösung, als mit dem klobigen Instrument sich wiederholender und verschärfender Verwaltungsstrafen gegen fixe Ideen – garniert mit Verschwörungsfantasien – vorzugehen? Wir wissen nicht wirklich, wie groß der Prozentsatz der radikalen Impfgegner tatsächlich ist, Umfragen bezüglich der Selbsteinstufung sind da sehr unzuverlässig. Es könnte sein, dass schon vergleichsweise milde ökonomische Anreize via Versicherung einiges in Bewegung setzen. Denn: "The proof of the pudding is in the eating."

Ein fünfter wesentlicher Vorteil, Anreize über die Versicherung zu setzen, besteht darin, dass die unmittelbaren Kosten, die die Impfverweigerer für die Versichertengemeinschaft aufgrund der weit höheren Spitalsinzidenz verursachen, wenigstens zu einem (sehr!) kleinen Teil durch einen "Selbstbehalt" in Form des nicht rückzahlbaren Teils der Sonderprämie abgedeckt werden. Nur am Rande: Ein Tagesaufenthalt auf einer Intensivstation kostet im Schnitt etwa 6.000 Euro, ein durchschnittlicher Covid-Patient liegt dort etwa 30 Tage – und das Risiko, dort zu landen, ist laut britischen Studien für Ungeimpfte bis zu sechzigmal so hoch wie für voll Geimpfte!

Aber öffnet man mit dem nicht rückzahlbaren (kleinen) Teil des Sonderbeitrags nicht die Büchse der Pandora, indem das Prinzip der solidarischen Krankenversicherung infrage gestellt wird? Selbstverständlich darf die "Schuldfrage" im Krankheitsfall beim Recht auf ärztliche Hilfe keinen Unterschied machen – der betrunkene Unfalllenker hat dasselbe Recht auf Hilfe wie sein Opfer, und der MFG-Politiker, der gegen die Impfung agitiert hat, hat genauso einen Anspruch auf ein Intensivbett wie die überlastete Pflegekraft, die einen Herzinfarkt erlitten hat.

Oder gleich einen Sonderbeitrag einheben

Wir sanktionieren allerdings betrunkene Autofahrer zu Recht, und zwar schon bevor sie einen Schaden anrichten, weil sie für sich und andere eine Gefahr darstellen, die durch verantwortungsvolles Verhalten vermieden werden kann. Wir kassieren auch von Rauchern und Alkoholkonsumenten bereits seit langem signifikante (!) steuerliche Sonderabgaben, die mit den schädlichen Folgen des Konsums dieser Substanzen gerechtfertigt werden.

Legt man dieses Kriterium an die – gesunden – Impfverweigerer an, dann darf man wohl auch einen maßvollen, einkommensabhängigen, teilweise nicht rückzahlbaren Sonderbeitrag in der Krankenversicherung einheben – die im Übrigen wegen der Pandemie ohnehin in tiefrote Zahlen schlittert. Man könnte dann abwarten, ob es tatsächlich noch härterer Maßnahmen bedarf oder ob ein regelmäßiger Brief der Versicherung ("Die bislang einbehaltenen X Euro könnten wir Ihrem Konto jederzeit gutschreiben, wenn Sie sich endlich voll impfen lassen!") ausreichen würde, um eine hinreichend hohe Impfquote zu erreichen.

Und sofern man den Mut hätte, so etwas politisch umzusetzen, sollte man eine verpflichtende Masernimpfung gleich dazupacken – die nachlassende Impfbereitschaft ist auch bei dieser gefährlichen Krankheit ein gravierendes Problem. Besteht die Hoffnung, dass so ein Weg via Versicherungsanreize beschritten werden könnte? Ich bin pessimistisch: So wie es aussieht, sind die Würfel zugunsten eines Systems, welches einseitig auf Verwaltungsstrafen setzt, schon gefallen. (Herbert Walther, 18.1.2022)