Im vergangenen Jahr jährten sich die Anschläge in Oslo und auf Utøya zum zehnten Mal.

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Wenn am Dienstag der rechtsextreme Massenmörder Anders Breivik wieder in den Gerichtssaal tritt, dann werden Überlebende der Anschläge und Angehörige der Toten in Oslo die Liveübertragung des Prozesses beobachten. Etwa Lisbeth Røyneland, deren Tochter Synne heute ihren 29. Geburtstag feiern würde, oder Miriam Einangshaug, die den Schüssen entkommen konnte. Viele werden den Prozess aber auch ignorieren, wie es vorab bei Verbänden der Überlebenden hieß. Zu schmerzhaft sei es, den Mörder wiederzusehen.

Breivik selbst wird in der Region Telemark vor Gericht treten, nachdem er in der Haftanstalt Skien einsitzt. Mehr als zehn Jahre nachdem er 77 Menschen im Osloer Regierungsviertel und im Jugendlager auf Utøya getötet hat, kann er zum ersten Mal um vorzeitige Haftentlassung ansuchen.

DER STANDARD

Sein Anwalt Øystein Storrvik ließ die Medien vorab über die Strategie seines Mandanten im Dunkeln. Er sprach aber in Interviews von einer "umfassenden Begründung", die der 42-Jährige vorlegen möchte.

Staatsanwältin Hulda Karlsdottir hielt mit ihrer Strategie hingegen nicht hinterm Berg. Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur NTB erklärte sie, dass von Breivik noch immer eine große Gefahr ausgehe. Das sei ihre Erkenntnis, nachdem sie das Material gesichtet habe, das ihr die Haftanstalt und jene Psychiaterin vorgelegt hätten, die Breivik bereits öfter untersucht habe.

Unwahrscheinliche Entlassung

Prinzipiell wurde der Massenmörder zu 21 Jahren verurteilt – mit Aussicht auf Verlängerung bis zu seinem Tod. Die Mindesthaftzeit betrug eben zehn Jahre. Eine vorzeitige Entlassung werde nur dann ermöglicht, wenn der Gefangene keine Gefahr mehr für die Gesellschaft darstellt, erklärt dazu der Osloer Anwalt Thomas Horn dem STANDARD.

Dabei berücksichtigt das Gericht auch die Schwere der Verbrechen, das Verhalten des Gefangenen in Haft und die Behandlungen, denen er sich unterzogen hat. Horn geht davon aus, dass Breivik – so wie es ihm das Gesetz ermöglicht – alle fünf Jahre um vorzeitige Haftentlassung ansuchen wird. "Aber ich denke, dass es unwahrscheinlich ist, dass er entlassen wird. Für eine sehr, sehr lange Zeit", schreibt der Anwalt.

Für ihn ist es aber ebenso wichtig, dass Norwegen dem Massenmörder diese Möglichkeit bietet. Das sei der Beweis dafür, dass Breiviks Angriff auf die Demokratie gescheitert sei.

Debatte um Videoaufnahmen

Die Nachrichtenagentur NTB wird das gesamte Verfahren, das auf vier Tage ausgelegt ist, auch filmen. Nachdem Breivik selbst sein Ansuchen vorbringen wird, befürchten viele, dass er den Großteil der Zeit dafür nutzen wird, seine rechtsextreme Ideologie zu verbreiten. Bereits vor einigen Jahren hob er während eines Verfahrens die rechte Hand zum Hitlergruß. Staatsanwältin Karlsdottir hatte deshalb einen Antrag eingebracht, dass NTB die Ausführungen des Mörders nicht aufnehmen darf. Der Antrag wurde abgelehnt.

Die TV-Stationen Norwegens, die alle über das Filmmaterial verfügen werden, haben sich eigene Strategien zurechtgelegt. Der Sender TV 2 etwa will Breivik zeitverzögert ausstrahlen. Die Verantwortlichen behalten sich das Recht vor, einzelne Ausschnitte auszulassen, um sie später mit passendem Kontext veröffentlichen zu können. Die Zeitung VG und der dazugehörige Kanal VGTV wollen ebenfalls das Material nutzen. Aber nicht live.

Debatte um Haftbedingungen

Bereits in den vergangenen Jahren war der Massenmörder Breivik vor Gericht erschienen. 2016 klagte er den Staat, weil er der Ansicht war, dass seine Isolationshaft in Skien eine Verletzung seiner Rechte darstelle. Er forderte mehr Kontakt mit Gleichgesinnten außerhalb der Gefängnismauern und auch innerhalb der Haftanstalt.

Das zuständige Osloer Bezirksgericht sah eine Menschenrechtsverletzung durch die Isolationshaft gegeben, das Berufungsgericht sah die Sache anschließend aber anders. Der Fall ging durch die Instanzen. Das Oberste Gericht Norwegens wies Breiviks Klage ab, ebenso der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.

Der Massenmörder lebt nun in drei miteinander verbundenen Zellen, in die Tageslicht gelangt. Sie sind außerdem mit einem TV-Gerät, einer Dusche, Toilette, einem Kühlschrank, einem PC, Fitnessgeräten, einer Musikanlage und einer Spielekonsole ausgestattet. Eine Stunde pro Tag darf Breivik in den Hof, und er erhält täglich Zeitungen. Zugang zu Universitätskursen wird ihm obendrein gewährt. (Bianca Blei, 18.1.2022)