Jeder Mensch hinterlässt Spuren in der Atmosphäre.

Illustration: Fatih Aydogdu

Helmut, der täglich von seinem Passivhaus mit dem Auto zur Arbeit pendelt, kommt auf acht Tonnen. Anna, Veganerin mit Schwäche für Wochenenden in London, auf zehn. Der Durchschnittsösterreicher bilanziert mit neun Tonnen. Den eigenen CO2-Fußabdruck kann mittlerweile jeder auf Knopfdruck berechnen. Wer einem der vielen Online-Tools verrät, wie man wohnt, welche Heizung man hat und was auf dem Speise- und Urlaubsplan steht, bekommt eine Zahl ausgespuckt, die darstellen soll, wie klimafreundlich oder -schädlich der eigene Lebensstil ist.

Was kaum bekannt ist: Der CO2-Fußabdruck ist ausgerechnet eine Erfindung der Industrie, die hauptverantwortlich für die Klimakrise ist. 2004 veröffentlichte der Ölkonzern BP auf seiner Website einen Rechner, um den eigenen "Carbon Footprint" zu berechnen – verbunden mit dem Aufruf, ihn zu reduzieren. Zwar sprach man auch davor schon über Treibhausgase, doch sie auf jeden einzelnen Menschen herunterzubrechen, wurde erst von BP groß gemacht, beziehungsweise der Werbeagentur Ogilvy & Mather welche die Kampagne für den Ölkonzern konzipierte.

Der Ölkonzern machte persönliche CO2-Rechner groß.
Screenshot: Archive.org/BP.com

Klimaschutz: Dein Problem!

Dass sich Produzenten gesundheits- oder umweltschädlicher Produkte aus der Affäre ziehen wollen, ist nichts Neues: Bereits der Tabak- und Waffenindustrie gelang es oft, die Verantwortung auf die Konsumentinnen und Konsumenten umzuwälzen. Nicht laxe Waffengesetze seien das Problem, sondern Menschen, die sie benutzen, um andere Menschen zu töten, so die Argumentationslinie. Auch umweltfreundliche Verpackungen, etwa Mehrwegflaschen für Getränke, bekämpfte die Industrie erfolgreich. Die Flut an Einwegplastik, die damit einherging, sei das Problem der Menschen, die ihre Verpackungen nicht richtig recyceln. Die Botschaft: Umwelt- und Klimaschutz ist in erster Linie dein Problem.

Fakt ist aber auch: Die Klimakrise ist nicht nur das wahrscheinlich größte Problem der jüngeren Menschheitsgeschichte, sondern auch eine Herausforderung für unsere Gehirne, sagen Psychologinnen und Klimakommunikatoren. Ein einzelner Autokilometer oder eine Flugstunde tun dem Klima kaum etwas – erst die Summe macht das Gift für die Atmosphäre.

Dazu kommt, dass die Auswirkungen des heute gegessenen Steaks und der heurigen Heizsaison erst in Jahrzehnten sichtbar wird. Das alles führt dazu, dass wir den Klimawandel nicht als drängendes Problem wahrnehmen. Ist es da nicht Glück im Unglück, dass die Klimaforschung mit Tonnen CO2 eine Messgröße gefunden hat, die sich für jeden und alles und überall anwenden lässt?

Motivation, aber nicht für jeden

Tatsächlich kann der Fußabdruck dabei helfen, Bewusstsein für Klimaschutz zu schaffen. Gerade für Menschen, die eine gewisse Offenheit gegenüber dem Thema mitbrächten, sei der Fußabdruck durchaus ein sinnvolles Instrument, sagt die Umweltpsychologin Isabella Uhl-Hädicke von der Universität Salzburg. "Der Fußabdruck kann bei jenen für Aha-Effekte sorgen und einen Anstoß geben, gewisse Lebensbereiche zu ändern", sagt sie.

Konfrontiere man hingegen Personen, die sich nicht für Klimaschutz interessieren, mit ihrer CO2-Bilanz, könne das sogar den gegenteiligen Effekt haben: Menschen würden dann noch mehr auf Distanz gehen und ihren Einfluss herunterspielen, wie Studien zeigen. Es sei auch nicht empfehlenswert, Menschen per Fußabdruck in gut und böse einzuteilen. "Es soll nicht darum gehen, sich oder andere zu geißeln", sagt Umweltpsychologin Uhl-Hädicke. Wichtiger sei, dass man sich selbst gegenüber ehrlich sei – und sich bewusst werde, in welchen Lebensbereichen es noch Optimierungsbedarf gebe, ohne nach Ausreden zu suchen.

Denn selbst wer auf kleinem Fuße lebt, hat nicht unbedingt einen klimaverträglichen Fußabdruck. Ein fiktiver Österreicher, der in einer kleinen Stadtwohnung lebt, Fernwärme und Ökostrom bezieht, vegan isst, kein Auto hat, keine Flugreisen unternimmt und sich beim Konsum zurückhält, kommt laut gängigen CO2-Rechnern immer noch auf drei bis vier Tonnen. Klimaverträglich wären aber rund 1,5 Tonnen.

Kaum erreichbare Ziele

Für Menschen, die halbwegs normal am gesellschaftlichen Leben teilnehmen wollen, ist dieser Wert fast unerreichbar. Allein die öffentliche Infrastruktur, die wir benutzen, ist für Emissionen verantwortlich, die wir persönlich kaum beeinflussen können. Das ist auch die große Kritik am Fußabdruck: Er bewertet nur den Lebensstil des Einzelnen und ist blind für das, was die Gesellschaft gemeinsam schafft – etwa durch politische Entscheidungen. Stellt etwa ein Land seine gesamte Strom- und Wärmeversorgung auf erneuerbare Energien um, wird auch der Fußabdruck jeder Person kleiner.

Sich für mehr Klimaschutz zu engagieren wirkt sich auf den "Climate Handprint" aus.
Foto: imago images/SEPA.Media

Jeder Einzelne kann dazu beitragen, mehr Klimaschutz auf politischer Ebene durchzusetzen. "Der Fußabdruck lässt aber die Rolle des aktiven Bürgers, der aktiven Bürgerin außen vor", sagt Uhl-Hädicke. Wenn jemand seine Stimme erhebt, ein Volksbegehren unterschreibt oder demonstrieren geht, schlägt sich das nicht im persönlichen Fußabdruck nieder.

Zumindest noch nicht – denn der Thinktank Klimaktiv, der unter anderem den CO2-Rechner für das deutsche Umweltbundesamt konzipiert hat, will den Fußabdruck weiterentwickeln.

Nicht in Schockstarre verfallen

Viele Nutzer der gängigen Rechner hätten rückgemeldet, dass die Bilanz einfach nicht kleiner werde, so sehr sie sich auch bemühen, erzählt Julia Siewert von Klimaktiv. Das habe zu Demotivation geführt. "Es kann nicht das Ziel sein, in eine Schockstarre zu verfallen", sagt Siewert.

Aus diesen Überlegungen entstand der Klima-Handabdruck, der auf das aus Indien stammende Nachhaltigkeitskonzept des Handprints zurückgeht und den klassischen Fußabdruck ergänzt. Statt nur Treibhausgase zu zählen, misst der Handprint das bereits Erreichte und bezieht auch den Impact mit ein, den man durch seine Handlungen verursacht. Ein klassisches Beispiel ist etwa der Klimawissenschafter, der beruflich viel fliegen muss, aber überdurchschnittlich viel Einfluss auf die Klimapolitik hat.

Auch wer über eine eigene Solaranlage Strom ins Netz einspeist, vergrößert seinen Handabdruck – weil er anderen die Teilnahme an der Energiewende ermöglicht. Gleiches gilt für nachhaltig angelegtes Geld oder einen Job, in dem Produkte für die ökologische Wende entwickelt werden. Teilweise hat Klimaktiv bereits solche Eingabefelder in ihren CO2-Rechner integriert.

Freilich lässt sich nicht alles seriös quantifizieren, doch darum geht es gar nicht. Der Handabdruck soll auch symbolisieren, dass es eine Grenze bei dem gibt, was man privat als Individuum an CO2-Einsparungen erreichen kann.

Sich ganz rauszuhalten und die Schuld nur auf "die Großen" zu schieben sei weder für Umweltpsychologin Uhl-Hädicke noch für Siewert der richtige Weg. Doch die letzten Jahre hätten gezeigt, wie viel Einfluss die Stimme der vielen hat. "Bei der Nationalratswahl 2017 hatte nicht jede Partei ein Klimaschutzprogramm", erinnert sich Uhl-Hädicke. "2019 führte kein Weg daran vorbei." (Philip Pramer, 18.1.2022)